Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Ulrike Lunacek: „Es ist normal, anders zu sein“

LSBTIQ* in Zeiten illiberaler Demokratien – Wie in Europa die offene Gesellschaft bewahrt werden kann

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Ulrike Lunacek

100 Jahre nach der Gründung des Instituts für Sexualwissenschaft durch Magnus Hirschfeld haben Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle in weiten Teilen Europas an gesetzlicher und gesellschaftspolitischer Gleichstellung viel erreicht. Die EU und europäische Gerichte haben vielfach LSBTI*-Rechte befördert. Mehr noch: In Irland wurde per Volksabstimmung mit starker Mehrheit die „Ehe für alle“ durchgesetzt. Im nationalkonservativ regierten Polen wünschen sich viele, dass ein offen schwuler Politiker, heute Bürgermeister einer Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern, 2020 Präsidentschaftskandidat wird. Gleichzeitig sehen Anhänger*innen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus durch „Gender-Ideologie“ und angebliche „Privilegien für Lesben und Schwule“ sogenannte traditionelle Werte bedroht. Wie kann es in Europa gelingen, Mut statt Angst zu fördern sowie Demokratie und Freiheiten weiter zu entwickeln? Ulrike Lunacek, bekennende Europäerin, setzt sich in ihrem Vortrag mit dieser Frage zum Auftakt der „Rainbow Lectures“ auseinander.

Ulrike Lunacek war von 2014 bis 2017 Vizepräsidentin des Europaparlaments und dort von 2009 bis 2017 Ko-Vorsitzende der LSBTI-Intergroup. Während ihrer Amtszeit widmete sie sich besonders der Erweiterung und Bewahrung von Menschenrechten sowie dem Engagement gegen Vorstellungen von illiberaler Demokratie. Als Ulrike Lunacek 1995 zum ersten Mal für den österreichischen Nationalrat kandidierte, war sie die erste Politikerin ihres Heimatlandes, die offen zu ihrer Homosexualität stand.

Rainbow Lectures in Berlin
Magnus Hirschfeld zum 150. Geburtstag: Vorträge zu Fragen der queeren Zeit

Keine soziale Bewegung kann heute auf eine ähnlich wechselvolle Geschichte zurückblicken wie die Bürgerrechtsbewegung, die gemeinhin unter dem Kürzel LSBTI* verstanden wird: Es ist die Bewegung des Aufbruchs von lesbischen Frauen, schwulen Männern, Trans*- und Inter-Menschen, die, allen bitteren Rückschlägen zum Trotz, eine fast globale Erfolgsgeschichte aufweist. Ihre größten Erfolge konnten indes erst in den letzten Jahrzehnten eingefahren werden. Doch noch immer harren einige Ansprüche der Bewegung ihrer Verwirklichung.

Im Mai 2018 wäre der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld 150 Jahre alt geworden, und im Juli 2019 ist es 100 Jahre her, dass sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin gegründet wurde. Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (MHG) veranstaltet zusammen mit der Initiative Queer Nations e.V. von November 2018 bis Juni 2019 eine Vortragsreihe, die aus sechs Lectures besteht: sechs Interventionen zur Würdigung des Erbes Hirschfelds, des nicht einzigen, aber bis zur NS-Machtübernahme in Deutschland prominentesten Kämpfers für sexuelle Selbstbestimmung und politische wie gesellschaftliche Anerkennung von Menschen aus dem ‚queeren‘ Spektrum.

Es sind sechs Vorträge von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Bürgerrechtler*innen aus aller Welt: Ulrike Lunacek (Österreich), Katarzyna Remin (Polen), Anna Hájková (Großbritannien), Patrick Henze (Deutschland), Aeyal Gross (Israel) und Dennis Altman (Australien).

Sie alle markieren gedankliche und zur politischen Praxis einladende Perspektiven: gesellschaftspolitische Momentaufnahmen, Rückblicke auf die Vergangenheit und Ausblicke in die Zukunft. Im Fokus stehen dabei die Lebenswelten von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen heute und morgen. Untersucht wird, inwiefern sich ihre rechtliche und soziale Situation seit Hirschfelds Zeiten verändert hat – und wie, vor allem in globaler Hinsicht, Möglichkeitsräume von und für ‚queere‘ Menschen noch erweitert werden können.