Annette Kelm: Die Bücher (Ausstellung)
Am 10. Mai 1933 verbrannten nationalsozialistische Studenten rund 30.000 Bücher auf dem ehemaligen Opernplatz mitten in Berlin: politische Literatur, wissenschaftliche Bücher, Romane und Gedichte, selbst Kinderbücher. Die Liste der Autor*innen umfasst viele bekannte Namen – unter ihnen Magnus Hirschfeld, Kurt Hiller und Else Lasker-Schüler –, aber auch solche, die seitdem aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden sind. Annette Kelms (*1975) Fotografien dieser Bücher folgen einer dezidiert sachlichen Ästhetik und zeigen die Bücher einzeln als flacher Gegenstand, frontal abgelichtet, vor neutralem Hintergrund. Dieser konzeptuelle Ansatz, die hohe Bildschärfe und das neutrale Licht verleihen den Covern eine weit über das Dokumentarische hinausgehende Präsenz.
Es gibt kein Archiv der verfemten Bücher, das hier fotografiert worden wäre. Kelm hat mit verschiedenen privaten und öffentlichen Sammlungen gearbeitet. Es geht auch nicht um Vollständigkeit. Ihre Bilder sind vielmehr reduzierte und zugleich formalisierte Kompositionen, in denen Sehen und Lesen im Sinne einer Zuweisung von Bedeutung ineinander fallen. In der 2019/20 entstandenen Serie Die Bücher ist der Blick auf die historischen Artefakte sachlich und lädt das Gesehene mit einer Bedeutung auf, die auch in unserem Wissen über sie liegt. Es sind Abstraktionen, bei denen etwas verschwindet und an anderer Stelle als visueller Überschuss hinzutritt. Der präzise fotografische Blick auf das Buch und seine Gestaltung steht damit stellvertretend für die damals verfolgten Autor*innen und lässt uns gleichermaßen über die Möglichkeiten der Repräsentation von Geschichte und der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nachdenken, wenn wegen des Verschwindens der Zeitzeug*innen Objekte für die Erinnerung immer wichtiger werden.