Institut für Sexualwissenschaft (1919-1933)eine Online-Ausstellung der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft

Zwischenstufen des Geschlechtstriebs

Als Zwischenstufen des Geschlechtstriebs faßt Hirschfeld auf:

Metatropismus 1 und Homosexualität

Metatropismus

Der Begriff “Metatropismus” ist eine Wortschöpfung Hirschfelds. In Anlehnung an den Heliotropismus von Pflanzen (ihre Ausrichtung nach dem Licht) versteht er unter “sexuellem Tropismus” die Ausrichtung des Sexualverhaltens. Männer seien sexuell angreifend, werbend, erobernd, beweglich und keimstreuend, also aktiv, Frauen dagegen umworben, gewährend, empfangend, im Koitus unten liegend, d.h. passiv.

“Bezeichnen wir das normale Verhalten der Geschlechter untereinander als sexuellen Tropismus, so können wir ein derartig abnormales Verhalten, in dem das Weib die aktive, der Mann die passive Rolle spielt, Metatropismus nennen.” (Hirschfeld 1917)

(Hirschfeld übersetzt die Vorsilbe “meta” eigenwillig als “umgekehrt”, “gegen”; tatsächlich heißt sie jedoch: “nach”; “hinter”.)

Mit dem Begriff “Metatropismus” versucht Hirschfeld das bereits etablierte Krafft-Ebingsche Konzept des Sadismus – Masochismus zu ersetzen. Masochismus beim Mann und Sadismus – oder auch nur: die führende Rolle – bei der Frau begreift er als “Metatropismus”, als Umkehrung des “natürlichen” Sexualverhaltens; Sadismus des Mannes gegenüber der Frau und Masochismus der Frau gegenüber dem Mann versteht er hingegen lediglich als “Exzeß”, als eine Steigerung des geschlechtstypischen Verhaltens.

Homosexualität

1895 wird Oscar Wilde 1 zu zwei Jahren Zwangsarbeit wegen homosexueller Handlungen verurteilt. Hirschfeld führt den Fall immer wieder als ein skandalöses Beispiel gegen die bestehenden Sexualstrafgesetze an und nennt ihn als (s)ein Motiv, sich mit Homosexualität zu befassen. Fast 40 Jahre setzt Hirschfeld sich mutig für die Entkriminalisierung und gesellschaftliche Anerkennung der Homosexuellen ein. Für ihn gibt es nur ein einziges, wirklich schlagkräftiges Argument gegen die Strafverfolgung homosexueller Männer: Gleichgeschlechtliche Handlungen sind nicht die Folgen eines “lasterhaften Lebenswandels” oder von “Verführung”, sondern die Auswirkungen einer “gänzlich unverschuldeten, meist sogar unerwünschten Sexualkonstitution”.(siehe Adaptionstherapie)

An den wissenschaftlichen Belegen des Arguments schmiedet er sein ganzes Leben. Dazu greift er die These von Karl-Heinrich Ullrichs (1825-1895) auf, der vom “Urning” als “drittes Geschlecht” oder “sexuelle Zwischenstufe” spricht, als angeborene Mischung der Geschlechtscharaktere. Hirschfeld zeichnet den männlichen Homosexuellen als effeminierte “Sonderart” in Körper und Seele. Als Elemente spüren er und seine Kollegen auf: zarte Haut, weiches Haar, breites Becken, “feminine” Handschrift, schwache Muskulatur, trippelnder Gang usw.

“Die Muskeln der Uranier sind schwächer als die männlichen. Infolgedessen besteht meist ein natürlicher Trieb zu ruhigen Bewegungen, wie Fußtouren, Wandersport, Bergsport, Radfahren, Schwimmen und Tanzen. Wo die Körpermuskulatur zu wünschen übrig läßt, zeigt gewöhnlich die Zungenmuskulatur eine starke Aktivität, und so finden wir denn, daß bei Urningen, ähnlich wie bei den Frauen, die Redseligkeit oft eine recht beträchtliche ist. (…)
Es finden sich oft kleine, trippelnde, tänzelnde, oft geziert erscheinende Schritte, auch ein leicht schwebender Gang (…) Die Gangart ist so charakteristisch, daß ich es sehr oft von meinem Sprechzimmer aus am Auftreten erkannte, wenn ein Urning ins Wartezimmer kam (…)
Auch die urnischen Armbewegungen sind meist typisch, insbesondere sind es auch diejenigen Bewegungen, aus denen die Handschrift resultiert.” (Hirschfeld 1926)

Das Hirschfeldsche Bild bleibt nicht unwidersprochen. In der frühen Homosexuellenbewegung in Deutschland ist es nicht nur eine Identifikations-, sondern auch eine Schreckfigur. Besonders Blüher (Wandervögel) Adolf Brand (Gemeinschaft der Eigenen) und Radszuweit (Freundschaftsbund) polemisieren gegen Hirschfelds “Mannweiber”.
Von Wissenschaftlern wird die Theorie vom Angeborensein der Homosexualität einerseits verteidigt, andererseits verworfen.

Homosexualität – Der Körper

Die Institutsmitarbeiter vertreten in Theorie und Praxis die Ansicht, jede seelische Eigenschaft habe ihren körperlichen Ausdruck. Das treffe auch auf homosexuelle Männer und Frauen zu. Beispielsweise sei bei homosexuellen Männern nicht nur die sexuelle Lust wie die von heterosexuellen Frauen auf Männer gerichtet, sondern auch ihr Körper ähnele dem weiblichen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Arzt Arthur Weil, der 1921 die Körpermaße einiger Homosexueller und Heterosexueller vergleicht: Bei homosexuellen Männern seien die Becken im Verhältnis zu den Schultern breiter als bei heterosexuellen 4 . Auch das Verhältnis von Unter- zu Oberkörper neige zum “weiblichen” 1 2 3 . Als Ursache vermutet Weil, dass bei homosexuellen Männern die Funktion der Hoden in der Wachstumsphase gestört sei, so dass die Körperproportionen mehr “weiblich” ausgeformt würden.

Homosexualität – Die Handschrift

In der Handschrift wie auch in Zeichnungen und anderen Handfertigkeiten lassen sich – so Hirschfeld – die Auswirkungen von Männlichkeit und Weiblichkeit erkennen.

“Es zeigt sich, in wie hohem Grade die Hand das Ausführungsinstrument der Seele ist. So seltsam es klingt, die Berufsneigung und Berufswahl des Menschen wird in erster Linie von seinen Geschlechtsdrüsen geleitet.” (Hirschfeld 1930)

Homosexualität – Die Hoden

Auf Eugen Steinach geht die Theorie zurück, nach der die Homosexualität nicht im Kopf, sondern in den Hoden lokalisiert ist. Steinach erzeugt durch Kastration und anschließende Hoden- und/oder Eierstocktransplantationen an Meerschweinchen und Ratten künstliche Zwischenstufen. In seinem Artikel “Willkürliche Umwandlung von Säugetier-Männchen in Tiere mit ausgeprägt weiblichen Geschlechtscharakteren und weiblicher Psyche” (1912) berichtet er, dass die Ausbildung männlicher Geschlechtsmerkmale durch die Hoden gesteuert werde, und zwar nicht durch den spermienbildenden Teil, sondern durch das hormonbildende Zwischenzellengewebe. Weil dieses erst mit der Pubertät wirksam ist, gibt er ihm den Namen “Pubertätsdrüse”.

In den Eierstöcken einer “homosexuellen” Ziege vermeint Steinach “männliche” Zellen zu entdecken. Seitdem glauben er und die Institutsmitarbeiter, in den Hoden homosexueller Männer seien “weibliche” und in den Eierstöcken homosexueller Frauen “männliche” Zellen vorhanden. Hirschfeld untersucht die Hoden von homosexuellen Männern, und kommt zu dem Ergebnis, dass sie Abweichungen zeigen würden.

Durch die Kastration homosexueller Männer und die Einpflanzung von “heterosexuellen” Hodenscheiben versuchen verschiedene Chirurgen (u. a. Prof. Dr. med. Richard Mühsam) Homosexuelle ‘umzupolen’. Auch Hirschfeld überweist Patienten für solche Operationen, die sich später als “erfolglos” herausstellen.

Wie Hirschfeld und andere an die Hodenpräparate gekommen sind, wird nicht berichtet. Zu den Hodentransplantantionen haben sich die Institutsmitarbeiter nie kritisch geäußert.

Zwischenstufen des Geschlechtstriebs
Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Zwischenstufen des Geschlechtstriebs

Als Zwischenstufen des Geschlechtstriebs faßt Hirschfeld auf:

Metatropismus 1 und Homosexualität

Metatropismus

Der Begriff “Metatropismus” ist eine Wortschöpfung Hirschfelds. In Anlehnung an den Heliotropismus von Pflanzen (ihre Ausrichtung nach dem Licht) versteht er unter “sexuellem Tropismus” die Ausrichtung des Sexualverhaltens. Männer seien sexuell angreifend, werbend, erobernd, beweglich und keimstreuend, also aktiv, Frauen dagegen umworben, gewährend, empfangend, im Koitus unten liegend, d.h. passiv.

“Bezeichnen wir das normale Verhalten der Geschlechter untereinander als sexuellen Tropismus, so können wir ein derartig abnormales Verhalten, in dem das Weib die aktive, der Mann die passive Rolle spielt, Metatropismus nennen.” (Hirschfeld 1917)

(Hirschfeld übersetzt die Vorsilbe “meta” eigenwillig als “umgekehrt”, “gegen”; tatsächlich heißt sie jedoch: “nach”; “hinter”.)

Mit dem Begriff “Metatropismus” versucht Hirschfeld das bereits etablierte Krafft-Ebingsche Konzept des Sadismus – Masochismus zu ersetzen. Masochismus beim Mann und Sadismus – oder auch nur: die führende Rolle – bei der Frau begreift er als “Metatropismus”, als Umkehrung des “natürlichen” Sexualverhaltens; Sadismus des Mannes gegenüber der Frau und Masochismus der Frau gegenüber dem Mann versteht er hingegen lediglich als “Exzeß”, als eine Steigerung des geschlechtstypischen Verhaltens.

Homosexualität

1895 wird Oscar Wilde 1 zu zwei Jahren Zwangsarbeit wegen homosexueller Handlungen verurteilt. Hirschfeld führt den Fall immer wieder als ein skandalöses Beispiel gegen die bestehenden Sexualstrafgesetze an und nennt ihn als (s)ein Motiv, sich mit Homosexualität zu befassen. Fast 40 Jahre setzt Hirschfeld sich mutig für die Entkriminalisierung und gesellschaftliche Anerkennung der Homosexuellen ein. Für ihn gibt es nur ein einziges, wirklich schlagkräftiges Argument gegen die Strafverfolgung homosexueller Männer: Gleichgeschlechtliche Handlungen sind nicht die Folgen eines “lasterhaften Lebenswandels” oder von “Verführung”, sondern die Auswirkungen einer “gänzlich unverschuldeten, meist sogar unerwünschten Sexualkonstitution”.(siehe Adaptionstherapie)

An den wissenschaftlichen Belegen des Arguments schmiedet er sein ganzes Leben. Dazu greift er die These von Karl-Heinrich Ullrichs (1825-1895) auf, der vom “Urning” als “drittes Geschlecht” oder “sexuelle Zwischenstufe” spricht, als angeborene Mischung der Geschlechtscharaktere. Hirschfeld zeichnet den männlichen Homosexuellen als effeminierte “Sonderart” in Körper und Seele. Als Elemente spüren er und seine Kollegen auf: zarte Haut, weiches Haar, breites Becken, “feminine” Handschrift, schwache Muskulatur, trippelnder Gang usw.

“Die Muskeln der Uranier sind schwächer als die männlichen. Infolgedessen besteht meist ein natürlicher Trieb zu ruhigen Bewegungen, wie Fußtouren, Wandersport, Bergsport, Radfahren, Schwimmen und Tanzen. Wo die Körpermuskulatur zu wünschen übrig läßt, zeigt gewöhnlich die Zungenmuskulatur eine starke Aktivität, und so finden wir denn, daß bei Urningen, ähnlich wie bei den Frauen, die Redseligkeit oft eine recht beträchtliche ist. (…)
Es finden sich oft kleine, trippelnde, tänzelnde, oft geziert erscheinende Schritte, auch ein leicht schwebender Gang (…) Die Gangart ist so charakteristisch, daß ich es sehr oft von meinem Sprechzimmer aus am Auftreten erkannte, wenn ein Urning ins Wartezimmer kam (…)
Auch die urnischen Armbewegungen sind meist typisch, insbesondere sind es auch diejenigen Bewegungen, aus denen die Handschrift resultiert.” (Hirschfeld 1926)

Das Hirschfeldsche Bild bleibt nicht unwidersprochen. In der frühen Homosexuellenbewegung in Deutschland ist es nicht nur eine Identifikations-, sondern auch eine Schreckfigur. Besonders Blüher (Wandervögel) Adolf Brand (Gemeinschaft der Eigenen) und Radszuweit (Freundschaftsbund) polemisieren gegen Hirschfelds “Mannweiber”.
Von Wissenschaftlern wird die Theorie vom Angeborensein der Homosexualität einerseits verteidigt, andererseits verworfen.

Homosexualität – Der Körper

Die Institutsmitarbeiter vertreten in Theorie und Praxis die Ansicht, jede seelische Eigenschaft habe ihren körperlichen Ausdruck. Das treffe auch auf homosexuelle Männer und Frauen zu. Beispielsweise sei bei homosexuellen Männern nicht nur die sexuelle Lust wie die von heterosexuellen Frauen auf Männer gerichtet, sondern auch ihr Körper ähnele dem weiblichen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Arzt Arthur Weil, der 1921 die Körpermaße einiger Homosexueller und Heterosexueller vergleicht: Bei homosexuellen Männern seien die Becken im Verhältnis zu den Schultern breiter als bei heterosexuellen 4 . Auch das Verhältnis von Unter- zu Oberkörper neige zum “weiblichen” 1 2 3 . Als Ursache vermutet Weil, dass bei homosexuellen Männern die Funktion der Hoden in der Wachstumsphase gestört sei, so dass die Körperproportionen mehr “weiblich” ausgeformt würden.

Homosexualität – Die Handschrift

In der Handschrift wie auch in Zeichnungen und anderen Handfertigkeiten lassen sich – so Hirschfeld – die Auswirkungen von Männlichkeit und Weiblichkeit erkennen.

“Es zeigt sich, in wie hohem Grade die Hand das Ausführungsinstrument der Seele ist. So seltsam es klingt, die Berufsneigung und Berufswahl des Menschen wird in erster Linie von seinen Geschlechtsdrüsen geleitet.” (Hirschfeld 1930)

Homosexualität – Die Hoden

Auf Eugen Steinach geht die Theorie zurück, nach der die Homosexualität nicht im Kopf, sondern in den Hoden lokalisiert ist. Steinach erzeugt durch Kastration und anschließende Hoden- und/oder Eierstocktransplantationen an Meerschweinchen und Ratten künstliche Zwischenstufen. In seinem Artikel “Willkürliche Umwandlung von Säugetier-Männchen in Tiere mit ausgeprägt weiblichen Geschlechtscharakteren und weiblicher Psyche” (1912) berichtet er, dass die Ausbildung männlicher Geschlechtsmerkmale durch die Hoden gesteuert werde, und zwar nicht durch den spermienbildenden Teil, sondern durch das hormonbildende Zwischenzellengewebe. Weil dieses erst mit der Pubertät wirksam ist, gibt er ihm den Namen “Pubertätsdrüse”.

In den Eierstöcken einer “homosexuellen” Ziege vermeint Steinach “männliche” Zellen zu entdecken. Seitdem glauben er und die Institutsmitarbeiter, in den Hoden homosexueller Männer seien “weibliche” und in den Eierstöcken homosexueller Frauen “männliche” Zellen vorhanden. Hirschfeld untersucht die Hoden von homosexuellen Männern, und kommt zu dem Ergebnis, dass sie Abweichungen zeigen würden.

Durch die Kastration homosexueller Männer und die Einpflanzung von “heterosexuellen” Hodenscheiben versuchen verschiedene Chirurgen (u. a. Prof. Dr. med. Richard Mühsam) Homosexuelle ‘umzupolen’. Auch Hirschfeld überweist Patienten für solche Operationen, die sich später als “erfolglos” herausstellen.

Wie Hirschfeld und andere an die Hodenpräparate gekommen sind, wird nicht berichtet. Zu den Hodentransplantantionen haben sich die Institutsmitarbeiter nie kritisch geäußert.