Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Katarzyna Remin: Zwei Schritte vor und einen zurück

Wie die polnischen Lesben und Schwulen trotz religiösem Rechtsruck mit der konservativen Gesellschaft ins Gespräch kommen

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Katarzyna Remin

In Polen blüht ein neuer Autoritarismus. Verachtung gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten ist populär. Und doch wächst das Selbstbewusstsein der LSBTI*-Community quer durchs Land – und die gesellschaftliche Akzeptanz gleich mit. Auch wenn es seit dem EU-Beitritt Polens für Lesben und Schwule keinen einzigen Fortschritt in rechtlichen Fragen gegeben hat, ist die polnische Realität differenziert.

Öffentlich präsent sind auch ein offen schwuler Politiker, der Bürgermeister einer kreisfreien Großstadt ist; eine prominente Trans*-Frau, die ins Warschauer Landesparlament gewählt wurde; eine lesbische Frau, die zusammen mit ihrer Partnerin eine Tochter erzieht und in einem Dorf als Ortsvorsteherin erfolgreiche Arbeit leistet; CSD-Umzüge in 15 polnischen Städten … All dies wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Die Gründe für diese neue Diversität in Polen sind vielschichtig, der Beitrag der LSBTI*-Gruppen in der polnischen Gesellschaft ist nicht mehr zu übersehen.

Katarzyna Remin ist seit 2009 in der größten polnischen LSBTI-Organisation Kampania Przeciw Homofobii (Kampagne gegen Homophobie, KPH) aktiv. Seit 2012 zeichnet sie für die Öffentlichkeitsaktionen der KPH verantwortlich. Die jüngste Kampagne, die Katarzyna Remin unter dem Slogan „Reichen wir uns das Zeichen des Friedens“ mitorganisiert hat, mobilisierte prominente Katholiken, sich innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben einzusetzen.

Rainbow Lectures in Berlin
Magnus Hirschfeld zum 150. Geburtstag: Vorträge zu Fragen der queeren Zeit

Keine soziale Bewegung kann heute auf eine ähnlich wechselvolle Geschichte zurückblicken wie die Bürgerrechtsbewegung, die gemeinhin unter dem Kürzel LSBTI* verstanden wird: Es ist die Bewegung des Aufbruchs von lesbischen Frauen, schwulen Männern, Trans*- und Inter-Menschen, die, allen bitteren Rückschlägen zum Trotz, eine fast globale Erfolgsgeschichte aufweist. Ihre größten Erfolge konnten indes erst in den letzten Jahrzehnten eingefahren werden. Doch noch immer harren einige Ansprüche der Bewegung ihrer Verwirklichung.

Im Mai 2018 wäre der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld 150 Jahre alt geworden, und im Juli 2019 ist es 100 Jahre her, dass sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin gegründet wurde. Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (MHG) veranstaltet zusammen mit der Initiative Queer Nations e.V. von November 2018 bis Juni 2019 eine Vortragsreihe, die aus sechs Lectures besteht: sechs Interventionen zur Würdigung des Erbes Hirschfelds, des nicht einzigen, aber bis zur NS-Machtübernahme in Deutschland prominentesten Kämpfers für sexuelle Selbstbestimmung und politische wie gesellschaftliche Anerkennung von Menschen aus dem ‚queeren‘ Spektrum.

Es sind sechs Vorträge von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Bürgerrechtler*innen aus aller Welt: Ulrike Lunacek (Österreich), Katarzyna Remin (Polen), Anna Hájková (Großbritannien), Patrick Henze (Deutschland), Aeyal Gross (Israel) und Dennis Altman (Australien).

Sie alle markieren gedankliche und zur politischen Praxis einladende Perspektiven: gesellschaftspolitische Momentaufnahmen, Rückblicke auf die Vergangenheit und Ausblicke in die Zukunft. Im Fokus stehen dabei die Lebenswelten von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen heute und morgen. Untersucht wird, inwiefern sich ihre rechtliche und soziale Situation seit Hirschfelds Zeiten verändert hat – und wie, vor allem in globaler Hinsicht, Möglichkeitsräume von und für ‚queere‘ Menschen noch erweitert werden können.