Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Patrick Henze: Schwule Emanzipation und ihre Konflikte

Freiheitsvorstellungen von Revolution bis Ehe für alle

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Patrick Henze, © Dragan Simicevic Visual Arts.

Die westdeutsche Schwulenbewegung der 1970er Jahre formulierte ihre Forderung nach einer Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse anders als die reformerisch orientierte Bewegung Magnus Hirschfelds. Der Anspruch, durch Aufklärung auf eine größere Freiheit hinzuwirken, eint jedoch die beiden zeitlich versetzten Bewegungen. Für die junge Schwulenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland war Hirschfeld noch eine Figur, die es zu erforschen galt, und einige der bewegten Schwestern machten sich auf die Suche und stilisierten ihn zur Bewegungsvorfahrin. Dabei entzieht sich nicht nur der historische Hirschfeld dem Wunsch nach geschichtlicher Kohärenz.

Was unter Emanzipation zu verstehen sei, war bereits innerhalb der frühen Schwulenbewegung der 1970er Jahre umstritten. Patrick Henze widmet sich in seinem Vortrag dem aktivistischen und theoretischen Umgang mit unterschiedlichen Verständnissen von (schwuler) Emanzipation. Anhand von Interviews und Archivmaterial beleuchtet er analytisch den Zusammenhang zwischen in Konflikt stehenden Emanzipationsbegriffen und der Konfliktneigung des Subjekts. Sein Blick zurück streift die politischen Vorstellungen neuer queerer Bündnispolitik, homosexueller Bürgerrechtsbewegung und AIDS-Aktivismus.

Patrick Henze ist Autor sexualpolitischer Schriften und promoviert derzeit in Gender Studies zur westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Seine nächste Publikation Psychoanalyse und männliche Homosexualität. Beiträge zu einer sexualpolitischen Debatte, die er gemeinsam mit Aaron Lahl und Victoria Preis verfasst hat, erscheint im Frühjahr 2019 im Psychosozial-Verlag.

Rainbow Lectures in Berlin
Magnus Hirschfeld zum 150. Geburtstag: Vorträge zu Fragen der queeren Zeit

Keine soziale Bewegung kann heute auf eine ähnlich wechselvolle Geschichte zurückblicken wie die Bürgerrechtsbewegung, die gemeinhin unter dem Kürzel LSBTI* verstanden wird: Es ist die Bewegung des Aufbruchs von lesbischen Frauen, schwulen Männern, Trans*- und Inter-Menschen, die, allen bitteren Rückschlägen zum Trotz, eine fast globale Erfolgsgeschichte aufweist. Ihre größten Erfolge konnten indes erst in den letzten Jahrzehnten eingefahren werden. Doch noch immer harren einige Ansprüche der Bewegung ihrer Verwirklichung.

Im Mai 2018 wäre der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld 150 Jahre alt geworden, und im Juli 2019 ist es 100 Jahre her, dass sein Institut für Sexualwissenschaft in Berlin gegründet wurde. Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (MHG) veranstaltet zusammen mit der Initiative Queer Nations (IQN) von November 2018 bis Juni 2019 eine Vortragsreihe, die aus sechs Lectures besteht: sechs Interventionen zur Würdigung des Erbes Hirschfelds, des nicht einzigen, aber bis zur NS-Machtübernahme in Deutschland prominentesten Kämpfers für sexuelle Selbstbestimmung und politische wie gesellschaftliche Anerkennung von Menschen aus dem ‚queeren‘ Spektrum.

Es sind sechs Vorträge von Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Bürgerrechtler*innen aus aller Welt: Ulrike Lunacek (Österreich), Katarzyna Remin (Polen), Anna Hájková (Großbritannien), Patrick Henze (Deutschland), Aeyal Gross (Israel) und Dennis Altman (Australien).

Sie alle markieren gedankliche und zur politischen Praxis einladende Perspektiven: gesellschaftspolitische Momentaufnahmen, Rückblicke auf die Vergangenheit und Ausblicke in die Zukunft. Im Fokus stehen dabei die Lebenswelten von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen heute und morgen. Untersucht wird, inwiefern sich ihre rechtliche und soziale Situation seit Hirschfelds Zeiten verändert hat – und wie, vor allem in globaler Hinsicht, Möglichkeitsräume von und für ‚queere‘ Menschen noch erweitert werden können.