Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft

Obleute des WhK – Gesamtverzeichnis

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Im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) gab es ab 1904 Bestrebungen, eine Art kollektives Führungsgremium zu bilden. Es erhielt zunächst die Bezeichnung „Obmännerkommission“ und bestand aus sieben Personen. Später wuchs die Zahl auf siebzig Mitglieder. Das Obmännerkollegium wählte den Vorstand des WhK, und gemäß den Statuten der Organisation sollten in ihm möglichst viele Bevölkerungs- und Berufsgruppen vertreten sein. Auf der nachfolgenden Namensliste finden sich dementsprechend nicht nur Ärzte und Rechtsanwälte, sondern auch Schriftsteller, Industrielle, Kaufleute, Ingenieure, Mechaniker und andere. Grundsätzlich währte die Obmannschaft im WhK fünf Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit konnte sich jedes Mitglied der Wiederwahl stellen, und wer das Amt zehn Jahre bekleidet hatte, konnte zum Obmann auf Lebenszeit ernannt werden.

Es gab ab 1911 auch Obfrauen, die jedoch nicht so genannt wurden, und auch die neutrale Bezeichnung „Obleute“ wurde nicht verwendet. Außerhalb Deutschlands hatte das Kollegium Mitglieder, die in Ländern wie Belgien, China, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Niederländisch-Indien (Indonesien), Österreich, Polen, Russland, Schweden, der Schweiz, Spanien und der Tschechoslowakei lebten und tätig waren.

Leider gibt es in den zeitgenössischen Quellen weder eine vollständige Liste der Mitglieder des Obmännerkollegiums noch genaue Angaben darüber, wie lange die einzelnen Mitglieder in dem Gremium vertreten waren. Diese Angaben lassen sich in vielen – aber nicht in allen – Fällen nur indirekt erschließen. Ausgangspunkt für und Grundlage des hier vorgelegten Verzeichnisses war die Kopie eines unveröffentlichten Manuskripts „Aufbau und Organisation des WhK“ (Version vom 18. September 1996), das Manfred Herzer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft vor langer Zeit überlassen hat. In dieser Zusammenstellung hatte Herzer die Namen aller Personen aufgeführt, die in irgendeiner organisatorischen Beziehung zum Wissenschaftlich-humanitären Komitee standen.

Wir haben versucht, anhand der in den Veröffentlichungen des WhK aufgeführten Namen und Berufsangaben – in manchen Fällen auch der vorhandenen Ortsangaben – der Obleute weitere Informationen über diese Personen zu finden: ihre Lebensdaten, Wohnorte, Berufstätigkeiten und eventuelle Veröffentlichungen. Wie leicht zu erkennen ist, sind die gefundenen Angaben sehr unterschiedlicher Natur und bedürfen in vielen Fällen noch der Korrektur oder Vervollständigung. Wir laden zur Mitarbeit ein und freuen uns über jeden Hinweis auf zusätzliche oder genauere Angaben.

Amundson, Torsten (Dr. med., Arzt) geb. 15.6.1878 (Hudiksvall, Schweden) – gest. 11.5.1940 (Ytterjärna, Schweden)

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Torsten Amundson, o.J. Quelle: Sörmlands museum, Nyköping.
Torsten Amundson war von 1908 bis 1925 Leiter eines Röntgen- und elektromedizinischen Instituts, hielt Vorlesungen an der Stockholmer Navigationsschule und schrieb eine Reihe von populärmedizinischen Artikeln. Er blieb zeit seines Lebens unverheiratet und war ab 1924 Eigentümer von Engsholms Slott in der Gemeinde Mörkö südlich von Södertälje.

Torsten Amundson stand ab etwa 1905 nicht nur mit Magnus Hirschfeld im Austausch, er war später auch mit Felix Abraham (1901–1937), Hirschfelds Mitarbeiter am Institut für Sexualwissenschaft, befreundet und machte sich für die wissenschaftliche Forschung zum Thema Homosexualität stark. Dabei scheute er allerdings vor jeglicher Form von Aktivismus in seinem Heimatland zurück. Torsten Amundson wurde 1911 zum ersten schwedischen Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.

Der schwedische Metallarbeiter und Homosexuellen-Aktivist Eric Thorsell (1898–1980) erhielt eine eher enttäuschende Antwort, als er sich 1932 hilfesuchend an Amundson wandte. Amundson schrieb ihm: „Ich habe auch gegenüber dem Sanitätsrat [Magnus Hirschfeld] immer betont, dass es meiner Ansicht nach am besten wäre, wenn in Schweden keine Propaganda betrieben würde, da die Schweden den Engländern in Heuchelei auf diesem Gebiet gleichen, und dass ich hoffe, dass eine Gesetzesänderung wie in Dänemark und Norwegen leichter erreicht werden könne, wenn nicht die große Allgemeinheit durch Agitation dazu gebracht würde, vermutlich auf jede Art und Weise einer glücklichen Reform entgegenzuwirken.”

Vor seinem Tod verfügte Amundson testamentarisch, dass ein Großteil seines Vermögens in einen Fonds einfließe, der von der Königlich Schwedischen Wissenschaftsakademie in Stockholm verwaltet und für „Studien über die Homosexualität, deren Entstehung und Erklärung sowie für die Aufklärungsarbeit zur Beseitigung von Vorurteilen und unrichtigen Auffassungen über dieselbe“ verwendet werden solle. Die Stockholmer Wissenschaftsakademie nahm die Gelder an, verwendete sie aber zunächst für andere Zwecke, bis sie 1993 auf Druck von Angehörigen Amundsons die ursprüngliche testamentarische Verfügung umsetzte. In den Folgejahren hat unter anderem die schwedische LSBTI-Zeitschrift Lambda Nordica finanzielle Mittel aus dem Amundson-Fonds erhalten.

Einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen wurden in Schweden 1944 entkriminalisiert.

Weiterführende Literatur

Dubout, Kevin; Wolfert, Raimund (2013) „Eigentümliche Städte, sympathische Völker und Sehenswürdigkeiten von großer Schönheit“. Zur Skandinavien-Rundreise des WhK-Aktivisten Eugen Wilhelm 1901, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten (Jg. 15), S. 9-44.

Söderström, Göran (1995): Torsten Amundson och hans forskningsfond, in: lambda nordica (Jg. 2), Nr. 1, S. 6-8.

Söderström, Göran (1999): En aktiviströrelse växer fram, in: Söderström, Göran u. a. (Hg.): Sympatiens hemlighetsfulla makt. Stockholms homosexuella, 1860–1960, Stockholm: Stockholmia Förlag, S. 388-399.

Wolfert, Raimund (2000): Eric Thorsell: ein schwedischer Arbeiter am Institut für Sexualwissenschaft. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 31/32, S. 11-26.

Andræ, Poul (Amtsverwalter) geb. 26.8.1843 (Kopenhagen, Dänemark) – gest. 5.6.1928 (Kopenhagen, Dänemark)

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Poul Andræ, 1923. Quelle: Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen.
Poul Andræ war seit 1879 persönlich mit Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) bekannt, er suchte 1891 den deutsch-österreichischen Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1840–1902) auf und veröffentlichte 1892 unter dem Pseudonym „Tandem” einen Aufsatz über die „konträre Sexualempfindung” und war damit der erste Däne, der in einer medizinischen Fachzeitschrift für die Gleichberechtigung Homosexueller das Wort ergriff.

Andræ wurde 1903 Mitglied des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Offenbar hatte er sich wenig zuvor erstmals an das WhK gewandt, um die Möglichkeiten eines persönlichen Besuches in Berlin auszuloten. Bereits um diese Zeit bestellte er auch eine Reihe von Aufklärungsschriften der Organisation. In der Folge bedachte er das WhK wiederholt mit kleineren oder größeren Geldbeiträgen.

Poul Andræ wurde im August 1907 zum Obmann des WhK gewählt. Er nahm die Wahl wenige Tage später an, hatte jedoch gewisse Bedenken. Magnus Hirschfeld versuchte, diese Bedenken bei ihm zu zerstreuen, und versicherte, besondere Pflichten und Lasten würden Andræ aus dem Amt nicht erwachsen. Das WhK behalte sich lediglich vor, in wichtigen Angelegenheiten den Rat seiner Obmänner einzuholen. Zudem wünsche man, den WhK-Mitgliedern vor Ort „in etwa vorkommenden Fällen” einen Obmann als Vertrauensmann empfehlen zu können. Als ein Beispiel für diese Art der Hilfe von Seiten des WhK mag der Fall eine jungen, stellenlosen Dänen aus Slagelse (Sjælland) dienen, der sich um 1909 mit der Frage an das WhK in Berlin gewandt hatte, ob man ihm bei der Beschaffung einer neuen Stellung behilflich sein könne. Max Tischler (1876–1919) leitete diese Bitte an Poul Andræ weiter, doch ist unbekannt, ob dieser seinem jungen Landsmann helfen konnte.

Unbekannt ist auch, wie lange Poul Andræ für das WhK war tätig war, denn schon auf einer Obmänner-Liste aus dem Jahre 1910 war sein Name nicht mehr verzeichnet. Offenbar hatte er das Amt schon noch kurzer Zeit niedergelegt. Eine Abkehr Andræs vom WhK erfolgte damit allerdings nicht. Noch in seinem Testament berücksichtige er 1926 die Organisation mit 1.000 Kronen. Hier verfügte er auch, dass derjenige, der Magnus Hirschfelds Broschüre Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen? ins Dänische übersetzte und herausgab, weitere 500 Kronen erhalten sollte. Die Publikation erschien noch in Andræs Sterbejahr 1928 unter dem Titel Det tredie Køn (Das dritte Geschlecht). Es sollte die einzige Übersetzung der Broschüre noch zu Lebzeiten Magnus Hirschfelds werden.

Über die Rezeption von Det tredie Køn im skandinavischen Sprachraum liegen bislang keine Angaben vor. Es ist aber anzunehmen, dass die Aufnahme weitgehend positiv war. Im Sommer 1930 beschloss das Kopenhagener Parlament mit dem § 225 des dänischen Strafgesetzbuches die Entkriminalisierung der einvernehmlichen Homosexualität unter Erwachsenen. Der neue Paragraf trat am 1. Januar 1933 in Kraft, elf Jahre bevor in Schweden und 39 Jahre bevor in Norwegen ähnliche Gesetzesänderungen vollzogen wurden.

Schriften (Auswahl)

Tandem [d.i. Andræ, Poul] (1892): Den kontrære Sexualfornemmelse. Fragmenter til Oplysning. In: Bibliotek for Læger, S. 205-222 und 247-281.

Weiterführende Literatur

Pedersen, Karl Peder (2014): „Ich bin ein höchst vollständiges und makelloses Exemplar der Rasse und wurde deshalb auch wie ein kostbarer Schatz empfangen.” Über den dänischen Amtsverwalter Poul Andræ (1843–1928), die Konträrsexualität und die Ärzte. In: Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 16, S. 38-68.

Pedersen, Karl Peder (2021): Poul og kærligheden. En kontrærseksuels bekendelser. København: Gads Forlag.

Wolfert, Raimund (2014): Poul Andræs Briefwechsel mit dem WhK, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 50/51, S. 78-88.

Asnaourow, Felix (Pädagoge) geb. 6.6.1874 (Kol. Morgenthau, Russland) – gest. nach 1944 (vermutlich in Buenos Aires, ARG)

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Felix Asnaourow, o.J. Editorial Claridad.
Die näheren Lebensumstände Felix Asnaourows sind nach wie vor unbekannt. In den wenigen Quellen, die zu ihm vorliegen, wird er als russisch-armenischer Pädagoge und Sexualwissenschaftler bezeichnet. Belegt ist, dass er mindestens einen Bruder namens Rafael hatte (Рафаил Моисеевич Азнаворианц), die Mutter hieß mit Vornamen Luise, und der Vater muss vor 1903 verstorben sein. Felix Asnaourow wurde 1874 in der Kolonie Morgenthau (Verwaltungsbezirk Samara) in Russland geboren. Sein eigentlicher Geburtsname war Wolfgang Amadeus Felician Asnaworian-Asnaourow. Insbesondere im deutschen Sprachraum bediente er sich aber in der Regel der „Kurzform“ seines Namens „Felix Asnaurow“ bzw. „Felix Asnaourow“. Er führte bisweilen den Titel eines Professors, doch war mit „Prof.“ die französische Bezeichnung für Lehrer gemeint.

Vermutlich war Felix Asnaourow jüdischer Herkunft, denn in russischsprachigen Quellen wird sein Name auch als Felix Moiseevich Asnaurov (Феликс Моисеевич Азнауров) wiedergegeben. Asnaourow bekannte sich zur evangelisch-lutherischen Religion. Er absolvierte das Lasarewsche Institut für orientalische Sprachen in Moskau und wurde zunächst als Erzieher der Kinder des russischen Palais-Kommandanten tätig. Später wurde er Oberlehrer („professeur”) an verschiedenen Gymnasien für Jungen und Mädchen, ab 1907 im Schweizerischen Genf. 1912 trat er eine Stelle als Lektor für Russisch, Türkisch und Persisch an der Universität Heidelberg an, bat aber schon im Mai 1913 aus gesundheitlichen Gründen um eine Beurlaubung. Offenbar nahm er seine Tätigkeiten in Heidelberg daraufhin nicht wieder auf, sondern kehrte nach Genf zurück.

Felix Ansaourow veröffentlichte seinerzeit mehrere populärwissenschaftliche Artikel und Broschüren zu Themen wie Masochismus und Sadismus vornehmlich auf Deutsch, und auf dem Ersten Internationalen Kongress für Sexualforschung, der vom 31. Oktober bis zum 2. November 1914 in Berlin stattfand, hielt er einen Vortrag unter dem Titel „Sexualanalyse und Psychoanalyse“. Felix Asnaourow stand der von Alfred Adler (1870–1937) geleiteten individualpsychologischen Bewegung nahe und war in Kontakt mit dem österreichischen Anarchisten Pierre Ramus (eigentlich Rudolf Großmann, 1882–1942).

1918 ließ sich Felix Asnaourow schließlich in Argentinien nieder. Hier lebte er zeitweise in San Juan und in Humahuaca. Im Juli 1937 war er Mitunterzeichner des Aufrufs Declaración inicial del Comité contra el Racismo y el Antisemitismo de la Argentina (Erste Erklärung des Argentinischen Komitees gegen Rassismus und Antisemitismus). Das letzte bislang bekannte Lebenszeichen Felix Asnaourows stammt aus dem Jahr 1945. Demnach wurde er im März 1944 als Fremdsprachenlehrer am „Colegio No. 3 Mariano Moreno“ in Buenos Aires tätig.

Schriften (Auswahl)

Asnaurow, Felix (1909): Passivität und Masochismus in der Kulturgeschichte Russlands, in: Sexual-Probleme. Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik (Jg. 5), Nr. 5, S. 801-808.

Asnaurow, Felix (1910): Algolagnie und Verbrechen, in: Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik, herausgegeben von Dr. Hans Gross in Graz, (Bd. 38), S. 289-297 [erschienen auch unter dem Titel „Passivisme et criminalité” in Archives d’Anthropologie criminelle, Lyon/Paris].

Asnaurow, Felix (1910): Die sexuelle Seuche in Russland, in: Sexual-Probleme. Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik (Jg. 6), Nr. 7, S. 497-503.

Asnaurow, Felix (1912): Der Selbstmord auf sexueller Basis, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik, Nr. 8, S. 621-636.

Asnaourow, Felix (1913): Sadismus, Masochismus in Kultur und Erziehung (Schriften des Vereins für freie psychoanalytische Forschung 4), München: Verlag Reinhardt.

Asnaourow, Félix (o.J.): El Choque de Dos Mundos. Buenos Aires: Editorial Claridad.

Weiterführende Literatur und Quellen

Comité contra el Racismo y el Antisemitismo de la Argentina*. Declaración fundacional auf Nuestra Memoria, hier S. 103-105.

Baars, Ernst Georg (Pastor) geb. 26.11.1864 (Bremerhaven) – gest. 25.9.1949 (Bremen)

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Ernst Georg Baars, o.J. Foto: Johann Meyer.
Ernst Georg Baars wurde als Sohn eines Schiffbaumeisters in Bremerhaven geboren. Nach dem Abschluss seiner Schulausbildung studierte er evangelische Theologie an den Universitäten in Halle, Jena und Straßburg. Als Vikar war er zunächst im süddeutschen Raum tätig. 1893 heiratete er Maria Streccius, die Tochter des preußische Offiziers und Sprachforschers Johannes Streccius. Aus der Ehe gingen ein Sohn und fünf Töchter hervor.

1895 wurde Ernst Georg Baars zum Pastor der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Kirchengemeinde zu Bremen-Vegesack gewählt. Hier blieb er als Seelsorger bis 1928 tätig. 1911 wurde Baars Obmann des Berliner WhK, und in dieser Funktion war er Ansprechpartner für in Bedrängnis geratene Homosexuelle. Baars war auch Mitglied im Deutschen Monistenbund und gehörte als Beisitzer dem regionalen Vorstand im Bund für Mutterschutz, Ortsgruppe Bremen, von Helene Stöcker (1869–1943) an.

Im Zuge eines Amtsvergehens strengte die Bremische Evangelische Kirche ein kirchliches Verfahren gegen Ernst Georg Baars an, das Anfang 1928 zu seiner Amtsenthebung führte. In den Folgejahren engagierte sich Baars maßgeblich in der Deutschen Friedensgesellschaft und war bis zur Auflösung der Bremer Ortsgruppe deren letzter Vorsitzender. Nach dem Tod seiner Ehefrau 1942 zog Baars für einige Jahre zu einer seiner Töchter nach Hessen, kehrte jedoch 1949 nach Bremen zurück, wo er wenig später verstarb.

Schriften (Auswahl)

„Pastor Ernst Baars schreibt”, in: Plock, Georg. Hrsg. (1918): Zum 50. Geburtstag von Dr. Magnus Hirschfeld. Wissenschaftlich-humanitäres Komitee. Leipzig: Max Spohr [= Vierteljahresberichte des Wissenschaftlich-humanitären Komitees während der Kriegszeit (Jg. 18), Nr. 2-3], S. 55-57.

Weiterführende Literatur

Begerow, Thomas (2014): Der lange Weg vom Kriegsbefürworter zum Pazifisten. Pastor Ernst Baars und der Erste Weltkrieg. In: Eva Schöck-Quinteros und Nils Steffen (Hrsg.): „Wie glücklich müssen wir sein, den Krieg nicht im Lande zu haben!“ Feldpost an Pastor Ernst Baars in Vegesack (1914–1918), Bremen: Universität Bremen, Institut für Geschichtswissenschaften (Aus den Akten auf die Bühne, Bd. 7), S. 25-42.

Steilen, Dietrich u.a. (o.J.): Pastoren der Vegesacker Gemeinde.

Wolfes, Matthias (2002): Baars, Ernst Georg. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon [nach kostenpflichtiger Anmeldung] (BBKL, Bd. 20). Nordhausen: Bautz, Sp. 79-83.

Baenisch, Georg (Kunstmaler)

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Die Lebensdaten Georg Baenischs sind nach wie vor unbekannt. Auch sonst liegen kaum verwertbare Angaben vor. Georg Baenisch wurde 1912 in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Im Berliner Adressbuch war er um diese Zeit mit der Adresse „SW 11, Hallesche Str. 27 IV” verzeichnet. Magnus Hirschfeld dankte Baenisch im Vorwort von Die Homosexualität des Mannes und des Weibes (1914, hier S. XII) für Informationen.

Vermutlich handelte es sich bei dem Obmann Georg Baenisch um den Architekten Georg Kurt Paul Baenisch aus dem schlesischen Adelsdorf (heute Zagrodno, Polen). Er wurde um 1860 geboren und starb am 31. März 1924 im städtischen Krankenhaus am Urban in Berlin. Da war er 64 Jahre alt und nach wie vor ledig. Der Architekt Georg Baenisch wohnte zuletzt in der Großbeerenstraße 41 in Berlin.

Bente, Carl Wilhelm (Verlagsbuchhändler, Druckereibesitzer) geb. 22.12.1875 (Wattenscheid?) – gest. 1929 (Ort nicht belegt)

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Über den Lebensweg und die Identität „Carl Wilhelm Bentes“ liegen nur bruchstückhafte Erkenntnisse vor. „Bente“ wurde zwischen 1907 und 1920 mehrfach als Mitglied des Obmännerkollegiums des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. Bei seinem Namen handelte es sich um ein Pseudonym für Carl Wilhelm Busch aus Gelsenkirchen, einen Sohn des Wattenscheider Zeitungsverlegers und Druckereibesitzers Carl Busch sen. (1836–1927). „Bente“ unterstützte maßgeblich das Rheinisch-Westfälische Subkomitee des WhK mit Hauptsitz in Düsseldorf. Nach Angaben des antisemitischen Machwerks Sigilla Veri (1929) soll er sich bereits in frühen Jahren in Berliner Abgeordnetenkreisen für die Abschaffung des § 175 RStGB eingesetzt haben. Als die Bochumer Staatsanwaltschaft um 1907 ein Strafverfahren gegen ihn einleitete, soll er vorübergehend ins Ausland geflüchtet sein, vermutlich nach Amsterdam.

Als „Carl Wilhelm Bente“ 1929 starb, ließ das WhK verlauten, „Bente“ habe dem Komitee seit fast dreißig Jahren angehört: „Er war einer der hilfsbereitesten und opfermutigsten Mitglieder. Da ihm seine soziale Position ein offenes Eintreten für unsere Sache unmöglich machte, so half er im Stillen, und seine beträchtlichen Zuwendungen, die er Jahrzehnte hindurch immer wieder bis in die letzten Wochen hinein leistete, haben dem Komitee oft in schwerer Bedrängnis geholfen. Darüber hinaus hat er keine Zeit und Mühe gescheut, um beratend der Leitung des Komitees zur Seite zu stehen. Noch in letzter Zeit, trotz seines leidenden Zustandes, half er in kritischer Zeit die Geschicke des Komitees zum Guten zu wenden.“

Weiterführende Literatur

Anonym (1929/30): „Nachruf auf Carl Wilhelm Bente (und August Jaeckel)”, in: Mitteilungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees Nr. 26 [als Reprint: Pfäfflin, Friedemann. Hrsg. (1985): Mitteilungen des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees 1926–1933. Faksimile-Nachdruck. Hamburg: C. Bell, S. 243].

Ekkehard, E. [d.i. Kraeger, Heinrich]. Hrsg. (1929): Sigilla Veri (Ph. Stauff’s Semi-Kürschner). Lexikon der Juden, -Genossen und -Gegner aller Zeiten und Zonen, insbesondere Deutschlands, der Lehren, Gebräuche, Kunstgriffe und Statistiken der Juden sowie ihrer Gaunersprache, Trugnamen, Geheimbünde usw. Zweiter Band. Zweite, um ein Vielfaches vermehrte und verbesserte Auflage. o.O.: U. Bodung-Verlag, S. 1173.

In het Panhuis, Erwin (2006): Anders als die Anderen. Schwule und Lesben in Köln und Umgebung 1895–1918. Köln: Emons, S. 12, 101, 214 und 246.

Bertz, Eduard (Schriftsteller) geb. 8.3.1853 (Potsdam) – gest. 10.12.1931 (Potsdam)

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Eduard Bertz, 1912. Verlag von W. Spemann.vergrößern
Eduard Bertz war ein anerkannter Schriftsteller, Philosoph und Übersetzer, als er 1910 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt wurde. Seine ersten Veröffentlichungen hatte er in Form von Gedichten 1871/72 vorgelegt. Es folgten Artikel unter anderem für die linkssozialistische Berliner Freie Presse und ab 1884 Bücher wie The French Prisoners. A Story for Boys, Das Sabinergut (1896), Philosophie des Fahrrads (1900) und Der blinde Eros (1901). Als Übersetzer machte Bertz beispielsweise durch die Persischen Briefe Montesquieus (1885) auf sich aufmerksam. Seine profunden Sprachkenntnisse hatte er sich während langjähriger Auslandsaufenthalte, vor allem in Großbritannien und den USA, erworben. Er wohnte aber zeitweise auch in Paris.

Während seines Aufenthaltes in der französischen Hauptstadt (1878) wurde Eduard Bertz wegen vermeintlicher Beleidigung des preußischen Militärs in einem Artikel für die Berliner Freie Presse in Abwesenheit zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Seine vollen Bürgerrechte wurden erst 1890 wiederhergestellt.

Befreundet war Eduard Bertz unter anderem mit dem englischen Schriftsteller George Robert Gissing (1857–1903), dem Schweizer Literaturkritiker Josef Viktor Widmann (1842–1911) und dem britischen Sexualwissenschaftler Edward Carpenter (1844–1929). Eduard Bertz lernte Magnus Hirschfeld bereits Ende des 19. Jahrhunderts kennen und engagierte sich früh im Aufbau des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Schon 1898 unterzeichnete er die Petition des WhK gegen den § 175 RStGB, der männliche Homosexualität mit Strafe belegte.

1905 bekannte sich Bertz brieflich zu seiner Homosexualität, und im selben Jahr legte er im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen eine Studie über den amerikanischen Dichter Walt Whitman (1819–1892) und dessen vermutete Homosexualität vor. In dieser Studie kritisierte Bertz Whitman, mit dem er selbst noch korrespondiert hatte, dafür, dass er seine eigene Homosexualität verleugnet und sich öffentlich sogar gegen die Homosexualität ausgesprochen habe. Weitere Veröffentlichungen und Vorträge zu dem Themenkomplex folgten, so etwa Bertz‘ „Abrechnung mit Johannes Schlaf“: das Buch Whitman-Mysterien (1907). Der Schriftsteller Johannes Schlaf (1862–1941) hatte zuvor in einer Monografie über Whitman Bertz‘ Ausführungen über den amerikanischen Dichter zurückgewiesen.

Eduard Bertz starb 1931 weitgehend vergessen. In den letzten zehn Jahren seines Lebens waren keine Schriften mehr von ihm erschienen.

Schriften (Auswahl)

Bertz, Eduard (1905): Walt Whitman. Ein Charakterbild. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 7 (1. Band), S. 153–287.

Bertz, Eduard (1906): Der Yankee-Heiland. Ein Beitrag zur modernen Religionsgeschichte. Dresden: Carl Reissner.

Bertz, Eduard (2012): Philosophie des Fahrrads. Erweiterte Neuausgabe, herausgegeben von Wulfhard Stahl. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag.

Weiterführende Literatur

Stahl, Wulfhard (2008): „Denker Ihrer Art hat Deutschland mehr als jemals nötig.” Eduard Bertz (1853–1931). Eine Spurenlese, in: Aus dem Antiquariat (NF 6), Nr. 3, S. 155-161.

Stahl, Wulfhard (2010): Eduard Bertz – ein Bekenntnis. In: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte (43), S. 21-28.

Stahl, Wulfhard (2016): Eduard Bertz – Edward Carpenter – Josef Viktor Widmann. Korrespondenzen 1906–1908. In: Thomas Fuchs, Katrin Löffler und Christine Haug (Hrsg.): Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte. Unter Mitarbeit von Mark Lehmstedt und Lothar Poethe. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag (24), S. 111-160.

von Beulwitz, Rudolf (Gutsbesitzer) geb. 25.11.1874 (Trier) – gest. 3.12.1916 (Berlin)

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Nicolaus Alexander Rudolf von Beulwitz war ein Sohn des Gutsbesitzers Richard von Beulwitz und dessen Frau Emma geb. Warrand aus Mariahütte im Kreis Trier. Er war seit 1910 Mitglied im Obmännerkollegium des WhK. 1905 übersetzte er das Vorwort Émile Zolas (1840–1902) zu dem anonym erschienenen Roman eines Konträrsexuellen aus dem Französischen ins Deutsche und behauptete bei der Gelegenheit, Zola sei zu früh verstorben, um „uns Uraniern” den „wahren Roman des Uraniers” zu schenken.

1907 erschien ebenfalls ein Beitrag von Rudolf von Beulwitz über Émile Zola im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Dem Artikel zufolge muss von Beulwitz in Kontakt mit dem französischen Militärarzt Georges Saint-Paul (1870–1937) gestanden haben, der sich in seinen Schriften zur Homosexualität des Pseudonyms „Dr. Laupts” bediente.

Rudolf von Beulwitz schied Ende 1916 durch Selbstmord aus dem Leben. Er wurde tot auf der Toilette eines Berliner Lokals gefunden. Magnus Hirschfeld, der zur Identifizierung des Toten ins Leichenschauhaus gerufen wurde, hielt in Von einst bis jetzt fest: „‚Selbstgerichtet?’ fragte mich leise der Leichenwärter. ‚Nein, selbstbefreit!’ erwiderte ich ihm, des Entseelten kalte Hand zum letzten Mal fassend.” Rudolf von Beulwitz hatte zuletzt in Illowo (Kreis Flatow, Westpreußen), heute Iłowo-Osada (Polen), gewohnt.

Schriften (Auswahl)

Beulwitz, Rudolf von (1905): Ein Brief Emil Zolas an Dr. Laupts über die Frage der Homosexualität, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 7), S. 371-386.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Bd. 1). Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 99.

Bloch, Iwan (Dr. med., Arzt und Sexualwissenschaftler) geb. 8.4.1872 (Delmenhorst) – gest. 19.11.1922 (Berlin)

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Iwan Bloch. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Iwan Bloch wurde 1872 als Sohn eines jüdischen Bauern und dessen Ehefrau in Delmenhorst geboren. Nach dem Abschluss des Gymnasiums in Hannover studierte er ab 1891 Medizin und Philosophie in Bonn, Heidelberg und Berlin. Die Promotion schloss er 1896 in Würzburg ab. Im selben Jahr heiratete er, doch wurde die Ehe bereits 1905 wieder geschieden.

Iwan Bloch ließ sich 1898 als „Spezialarzt für Haut- und Sexualleiden“ in Charlottenburg bei Berlin nieder. Seine Praxis betrieb er in der Joachimsthaler Straße 9/Ecke Kurfürstendamm. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit war Bloch umfassend publizistisch tätig, in zahlreichen kulturhistorischen und anthropologischen Studien widmete er sich etwa Missbildungen bei Neugeborenen, der Lebensgeschichte des Marquis de Sade oder dem „Geschlechtsleben in England“ im 18. Jahrhundert. Dabei bediente er sich mehrerer Pseudonyme, so „Dr. Eugen Dühren“ und „Dr. Albert Hagen“. Offenbar wollte Bloch seine Schriften über sexuelle Praktiken nicht immer unter seinem Klarnamen veröffentlicht sehen. Doch waren seine Pseudonyme schon früh „offene Geheimnisse“, da sie zum Teil durch seinen Verleger zeitnah „entschlüsselt“ wurden.

Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt wurde Iwan Bloch 1901 durch seine Studie Der Ursprung der Syphilis. In Ihr begründete er die These, die Krankheit sei Ende des 15. Jahrhunderts durch die Mannschaft Christoph Kolumbus‘ nach Europa eingeschleppt worden. Bis dahin war man davon ausgegangen, die Syphilis habe ihren Ursprung im europäischen Altertum gehabt. Ein besonderer Erfolg war Blochs Das Sexualleben unserer Zeit von 1907, das bis 1919 in zwölf Ausgaben erschien, in mehrere Sprachen übersetzt wurde und Blochs Ruf als „Vater der modernen Sexualwissenschaft“ begründete.

Über das Privatleben Iwan Blochs liegen nur wenige Angaben vor. Bloch war Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften und Zusammenschlüssen, etwa in der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung, der „Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ und im Bund für Mutterschutz Helene Stöckers (1869–1943). 1913 gründete er zusammen mit Magnus Hirschfeld, Albert Eulenburg (1848–1917) und anderen die „Ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik“, 1914 zusammen mit Eulenburg die Zeitschrift für Sexualwissenschaft.

Im Ersten Weltkrieg wurde Iwan Bloch zum Militärdienst eingezogen, und nach 1918 gelang es ihm nicht mehr, an seine publizistischen Erfolge von vor 1914 anzuknüpfen. 1921 erkrankte er an der Grippe, die sich bei ihm zu einer bakteriellen Endokarditis mit Sepsis ausweitete. Infolgedessen mussten ihm beide Beine oberhalb der Knie amputiert werden. Noch im Krankenhaus heiratete Iwan Bloch ein zweites Mal.

Iwan Bloch starb 1922 an den Folgen einer Hirnembolie. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee (Feld A4, Erbbegräbnis N. 3221) beigesetzt.

Schriften (Auswahl)

[u.d. Pseudonym] Dühren, Eugen (1900): Der Marquis de Sade und seine Zeit. Ein Beitrag zur Cultur- und Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts. Berlin, Leipzig: Barsdorf.

Bloch, Iwan (1901/1911): Der Ursprung der Syphilis. Eine medizinische und kulturgeschichtliche Untersuchung. Jena: Fischer.

Bloch, Iwan (1907): Das Sexualleben unserer Zeit in seiner Beziehung zur modernen Kultur. Berlin: Marcus

Bloch, Iwan (1912): Die Prostitution (Bd. 1). Berlin: Marcus.

Bloch, Iwan und Georg Loewenstein (1925): Die Prostitution (Bd. 2). Berlin: Marcus.

Weiterführende Literatur

Grau, Günter (2007): Iwan Bloch. Hautarzt – Medizinhistoriker – Sexualforscher (Jüdische Miniaturen, 57). Berlin: Hentrich & Hentrich.

Grau, Günter (2009): Iwan Bloch, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 52-61.

Kaldewei, Gerhard (2022): Der jüdische Sexualwissenschaftler Dr. med. Iwan Bloch (Delmenhorst 1872–1922 Berlin) und „das Sexualleben unserer Zeit in seiner Beziehung zur modernen Kultur” (Oldenburger Forschungen Neue Folge, 37). Oldenburg: Isensee Verlag.

Archivalien

Ein Restnachlass aus dem Besitz der Schwiegertochter Erika Bloch befindet sich im Archiv der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft.

Bohn, Erich (Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 11.2.1874 (Ruben, Niederlausitz) – gest. 28.12.1948 (Friedberg, Hessen)

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Erich Bohn, o.J. Quelle: Bundesarchiv Berlin, Signatur 102-13579.
Erich Bohn wurde als Sohn des Musikwissenschaftlers Emil Bohn und dessen Frau Selma in Ruben in der Niederlausitz geboren. Nach der Promotion zum Dr. jur. arbeitete er als Rechtsanwalt und Notar in Breslau. Er war zwei Mal verheiratet und Vater von zwei Kindern. Neben seinem Beruf betätigte er sich literarisch und beschäftigte sich mit Okkultismus, Archäologie, Malerei, Graphik, Architektur und Biologie.

Erich Bohn wurde im März 1907 Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Aussagen über sein Engagement in der und für die Organisation können heute nur aufgrund weniger erhaltener Mitteilungen gemacht werden. So widmete sich Bohn 1907 in einem öffentlichen Vortrag unter dem Titel „Modernes Erpressertum” einem Thema, das in Breslau „besondere Aktualität” besaß. Erst 1905 hatte der Breslauer Landgerichtsdirektor August Hasse (1848–?) weit über die Grenzen der Stadt hinaus traurige Berühmtheit erlangt, als er versuchte, seinen Erpresser, der ihn einer „in einer öffentlichen Anstalt provozierten Betastung” bezichtigte, zu erschießen.

Für Bohn waren Homosexuelle in der Regel „weichliche, sensibel veranlagte Naturen”. Erpresser sah er als „arbeitsscheue Subjekte” an, „die leicht Geld erwerben wollen und die Furcht anderer vor der strafrechtlichen Verantwortung ausnützen.” Es gebe nichts Falscheres, als einem Erpresser Geld zu geben, weil dies in dessen Augen einem Schuldbekenntnis gleichkomme und nur Anlass zu immer weiteren Forderungen sei.

Wie lange Erich Bohn mit dem WhK in Kontakt stand, ist nicht belegt. Aber noch 1927 hieß es in einem Artikel der Breslauer Neuesten Nachrichten, die Verbrechensrate bei Erpressungen in der schlesischen Hauptstadt sei seit einigen Jahren steigend. Habe die Breslauer Kriminalpolizei 1923 „nur” 127 Fälle von Raub und Erpressung zu bearbeiten gehabt, müsse allein im ersten Halbjahr 1926 mit einer Zahl von über 200 gerechnet werden. Die Polizei werde indes von einem Rechtsanwalt unterstützt, der als „Spezialist für psychologische Grenzzustände” bekannt sei. Ein Name wurde nicht genannt, doch dürfte mit der Umschreibung Erich Bohn gemeint gewesen sein.

Es ist anzunehmen, dass Erich Bohn auch die Petition des WhK für die Abschaffung des § 175 RStGB an den deutschen Reichstag unterschrieben hat, doch hat sich hierfür noch kein Nachweis finden lassen.

Weiterführende Literatur

Wolfert, Raimund (2009): „Spezialist für psychologische Grenzzustände“: Erich Bohn, Breslauer Obmann des WhK, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 43/44, S. 35-42.

Brand, Adolf (Schriftsteller) geb. 14.11.1874 (Berlin) – gest. 26.2.1945 (Wilhelmshagen)

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Adolf Brand um 1930. Fotopostkarte.
Adolf Brand wurde als Sohn eines Glasermeisters in Berlin geboren. Er wollte zunächst Lehrer werden, ergriff dann aber den Beruf des Buchhändlers und gründete im Umfeld des sogenannten Friedrichshagener Dichterkreises 1895 einen eigenen Verlag. In ihm gab er unter dem Titel „Der Eigene” ab dem Folgejahr die weltweit erste Zeitschrift für Homosexuelle heraus. Zeitweise trug die Zeitschrift den Untertitel „Ein Blatt für männliche Kultur”.

1903 gründete Brand zusammen mit Benedict Friedlaender (1866–1908) und Wilhelm Jansen (1866–1943) die Gemeinschaft der Eigenen (GdE), die die homosexuelle Liebe viriler Männer und die Knabenliebe nach griechischem Vorbild zu ihren Idealen erhob und deren Mitglieder auch der Idee Gustav Wynekens vom pädagogischen Eros nahestanden. Die Gemeinschaft der Eigenen lehnte medizinische Theorien über die Homosexualität und insbesondere die Zwischenstufentheorie Magnus Hirschfelds ab. Sie widersprach der Existenz eines „Dritten Geschlechts” und wehrte sich gegen die Zuschreibung vermeintlich „weiblicher” Züge Homosexueller. Obwohl Brand als erbitterter Gegner Hirschfelds auftrat, stellte er sich insbesondere in den 1920er Jahren mehrfach an die Seite Hirschfelds. Die Abschaffung des Paragrafen 175 RStGB war ein gemeinsames Ziel der GdE wie des WhK.

Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Adolf Brand 1920 gewählt.

Nach 1933 gab Brand seine Herausgebertätigkeit und seinen homosexuellen Aktivismus auf. Er wurde mehrfach Opfer von Angriffen durch die Nazis. Die Beschlagnahme vieler seiner Bücher und auch der Unterlagen der Zeitschrift Der Eigene bedeutete für ihn den finanziellen Ruin. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Brand sehr zurückgezogen. Er verarmte zunehmend und litt unter Krankheiten. Adolf Brand kam zusammen mit seiner Frau, die er 1920 geheiratet hatte, und etlichen anderen ums Leben, als sein Haus in Wilhelmshagen (Bismarckstraße 7) am 26. Februar 1945 von einer Bombe getroffen wurde.

Schriften (Auswahl)

Brand, Adolf (1923): Die Bedeutung der Freundesliebe für Führer und Völker. Eine Flugschrift für männliche Kultur. Berlin-Wilhelmshagen: A. Brand.

Brand, Adolf (1927): Gefährliche Polizeilisten. In: Der Eigene (Jg. 11), Nr. 9, S. 273-283 und Der Eigene (Jg. 11), Nr. 10, S. 313-316.

Brand, Adolf (1931): Georg Plock, dem treuen Mitkämpfer, zum Andenken. In: Die Freundschaft (Jg. 13), Nr. 11, S. 165.

Brand, Adolf (1994): Fürst Bülow und die Abschaffung des § 175. In: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte, Nr. 17, S. 17-20.

Weiterführende Literatur

Keilson-Lauritz, Marita (1997): Die Geschichte der eigenen Geschichte. Literatur und Literaturkritik in den Anfängen der Schwulenbewegung am Beispiel des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen und der Zeitschrift Der Eigene. Berlin: Verlag rosa Winkel.

Keilson-Lauritz, Marita (2009): Adolf Brand (1874–1945), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 78-80.

Pretzel, Andreas (1999): „Ich habe eingesehen, daß eine Fortsetzung meiner Arbeit im heutigen Deutschland nicht mehr möglich ist …“ Aus der letzten Strafakte gegen den Verleger und Schriftsteller Adolf Brand, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 29/30, S. 25-38.

Burchard, Ernst (Dr. med., Arzt) geb. 9.9.1876 (Heilsberg, heute Lidzbark Warmiński, Polen) – gest. 30.1.1920 (Berlin)

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Ernst Burchard mit einem Freund. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Ernst Burchard stammte aus einem protestantischen Elternhaus. Schon sein Vater war Arzt und trug den Titel eines Sanitätsrats. Offenbar wuchs aber Burchard bei Pflegeeltern auf. Nach dem Besuch dreier Gymnasien begann er in Tübingen Jura zu studieren. Er wechselte jedoch schon nach einem Semester zur Medizin und führte sein Studium in Würzburg und Kiel fort. Nachdem er das medizinische Staatsexamen abgelegt hatte, wurde er Volontärarzt zunächst in Kiel und dann Hilfsarzt in Uchtspringe (Altmark). Nach seiner Promotion ließ er sich 1901 als Spezialarzt für psychische und nervöse Leiden in Berlin-Moabit nieder.

Bereits um diese Zeit muss Ernst Burchard in Kontakt mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) getreten sein. Er gehörte dem Präsidium der Organisation für mehrere Jahre an und gilt als einer der engsten Mitarbeiter Magnus Hirschfelds, betätigte sich aber auch im anarchistischen „Bund für Menschenrechte” und veröffentlichte Gedichte etwa in der von Adolf Brand (1874–1945) herausgegebenen Zeitschrift Der Eigene. Er trat als Sachverständiger in zahlreichen Prozessen nach § 175 RStGB auf. Als Mitglied in der Obmännerkommission des WhK wurde Ernst Burchard ab 1907 geführt.

Ernst Burchard schied am 14. Dezember 1908 aus Krankheitsgründen aus dem Vorstand des WhK aus, seine Stelle nahm Max Tischler (1876–1919) ein. Bekannt ist gleichwohl, dass Burchard am neu gegründeten Institut für Sexualwissenschaft ab 1919 eine Vorlesungsreihe über „Die kulturelle Bedeutung der seelisch Abnormalen” halten sollte. Sein früher Tod war aber der Grund dafür, dass sie mit nur einer Veranstaltung stattfand.

Ernst Burchard arbeitete als psychiatrisch-forensischer Sachverständiger und praktisch-ärztlicher Sexualberater eng mit Magnus Hirschfeld zusammen. Gemeinsam erstellten die zwei Gutachten, die in die Praxis der seinerzeit neuen „Transvestitenscheine” mündeten. In eigenen Schriften widmete sich Burchard unter anderem dem Problem der homosexuellen „Erpresserprostitution”. Mit dem Lexikon des gesamten Sexuallebens (1914) legte er das erste Nachschlagewerk zur Sexualwissenschaft im Taschenbuchformat vor.

Ernst Burchard wurde am 5. Februar 1920 auf dem Luisenfriedhof in Berlin-Westend bestattet. Das Grab existiert nicht mehr.

Schriften (Auswahl)

Burchard, Ernst und Magnus Hirschfeld (1912): Zwei Gutachten über Beziehungen homosexueller Frauen. In: Zeitschrift für Kriminalanthropologie 50, S. 49-61.

Burchard, Ernst (1914): Lexikon des gesamten Sexuallebens. Berlin: Adler-Verlag.

Burchard, Ernst (1916): Weibliche Soldaten. In: Berliner Illustrirte Zeitung vom 6.8.1916 (Jg. 25, Nr. 32), S. 477-479.

Burchard, Ernst (1920): Vivat Fridericus! Dramatisches Gedicht in 5 Bildern, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 20), Nr. 1/2, S. 3-35.

Weiterführende Literatur

Bornemann, Georg (2022): Facettenreich und fast vergessen. Über den Sexualwissenschaftler Ernst Burchard (1876–1920), in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 68, S. 8-12.

Bornemann, Georg und Holger Steinberg (2022): Die Beiträge des Nervenarztes Ernst Burchard (1876–1920) zur Sexualforschung im frühen 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Sexualforschung 35 (3), S. 148-153.

Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Bd. 1). Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 19.

Kühl, Richard (2009): Ernst Burchard (1876–1920), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt: Campus, S. 98-99.

Cesar, Max

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Die Lebensdaten und alle weiteren Angaben zu Max Cesar sind unbekannt. Vermutlich handelte es sich bei dem Namen um ein Pseudonym. Max Cesar wurde 1907 in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Er war zugleich Kassenrevisor des WhK. Im Berliner Adressbuch von 1907/08 ist sein Name nicht nachgewiesen. Da ab Februar 1907 neben Siegfried Salomon Gabriel (1859–1932) auch Siegfried Merzbach (1870–1936) als Kassenrevisor des WhK fungierte, ist es möglich, dass sich hinter dem Namen Max Cesar eben Siegfried Merzbach verbarg.

Chodziesner, Siegfried (Rechtsanwalt) geb. 18.7.1872 (Woldenberg, heute Dobiegniew, PL) – gest. 4.5.1948 (Montevideo, UY)

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Siegfried Chodziesner studierte von 1894 bis 1897 Jura in Berlin. Er scheint um 1903 in Kontakt mit Magnus Hirschfeld gekommen zu sein – möglicherweise aufgrund einer Versandaktion der WhK-Petition an 7.300 Rechtsanwälte in Deutschland Anfang 1903. Chodziesner wurde Mitglied des WhK und verteidigte Hirschfeld 1904 gemeinsam mit Justizrat Wronker gegen den Vorwurf, mit seiner Umfrage zur sexuellen Orientierung die befragten Studenten beleidigt zu haben. Seine umfangreichen Schriftsätze hierzu sind im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Bd. 6, 1904) abgedruckt. 1908 trat Chodziesner zusammen mit Justizrat Sello als Verteidiger des Verlegers Bernhard Zack und des Schriftstellers John Henry Mackay auf: Pastoren, die sich von einer Flugschrift Mackays belästigt fühlten, hatten beide wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften verklagt.

Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) war Siegfried Chodziesner ab 1907.

1910 war Siegfried Chodziesner beim Landgericht III in Charlottenburg als Rechtsanwalt zugelassen. Seine letzte bekannte Praxisadresse (1922) war Berlin W 50, Tauentzienstraße 19a. 1933 verlor er seine Zulassung als Anwalt. 1934/35 wohnte er in Charlottenburg, Kastanienallee 23. 1938 emigrierten Chodziesner und seine Frau Minnie, geb. Nord, nach Florenz. Die Familie ging später nach Montevideo, Uruguay.

Siegfried Chodziesner wird in den Gründungsurkunden der Magnus-Hirschfeld-Stiftung von 1918/19 als eines der drei Vorstandsmitglieder mehrfach erwähnt, zuletzt bei der Satzungsänderung am 19. November 1921, deren Wortlaut er Anfang 1922 dem Polizeipräsidenten mitteilte. Dem am 18. Februar 1924 neu zusammengesetzten Stiftungskuratorium, das die Vorstandsfunktionen im Falle der Verhinderung Hirschfelds oder seines Todes wahrnehmen sollte, gehörte Chodziesner aus bisher unbekannten Gründen nicht mehr an.

Siegfried Chodziesner war der jüngste Bruder des „Prominentenanwalts“ Ludwig Chodziesner (1861–1943), der 1942 zusammen mit seiner Tochter, der Lyrikerin Gertrud Kolmar (1894–1943), in einem Berliner „Judenhaus” ghettoisiert wurde. Ludwig Chodziesner wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort wenig später; Gertrud Kolmar wurde im Februar 1943 während der Berliner „Fabrikaktion” verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Weiterführende Literatur

Chosińska, Danuta, Sebastian Chosiński und Marcin Moeglich (2017): Śladami (nie)pamięci. Historia Żydów wągrowieckich. Wągrowiec.

Kolmar, Gertrud (1997): Briefe. Hrsg. von Johanna Woltmann. Göttingen: Wallstein.

Ladwig-Winters, Simone (2007): Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933 (zweite, erweiterte und ergänzte Auflage, erstmals erschienen 1998). Berlin: be.bra, S. 134-135.

Woltmann, Johanna (1995): Gertrud Kolmar. Leben und Werk. Göttingen: Wallstein.

Danielsen, Max H. (Redakteur) geb. 2.12.1885 (Kiel?) – gest. nach 1928 (Ort nicht belegt)

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Quelle: Sammlung Jens Dobler, Berlin.
Zur Biografie Max H. Danielsens liegen nur wenige Angaben vor. Danielsen wurde 1920 Leiter der Kieler Ortsgruppe des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), und um diese Zeit wohnte er unter der Anschrift Schuhmacherstr. 30 II. Ob Kiel auch seine Geburtsstadt war, ist nicht bekannt. Möglicherweise handelte es sich lediglich um seinen damaligen Wohnort.

Ebenfalls 1920 wurde Danielsen Chefredakteur der Zeitschrift Die Freundschaft, und wenig später wurde er Mitglied im Deutschen Freundschaftsverband (DFV) und im Bund für Menschenrecht (BfM). 1922 wurde Danielsen wegen „Verbreitung unzüchtiger Inserate” zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, doch offensichtlich ließ er sich durch diese Verurteilung in seinem Engagement für die homosexuelle Emanzipation nicht beirren. Zwei Jahre später versuchte er, den DFV auf überregionaler Basis als Konkurrenzunternehmen zum BfM neu aufzubauen. Er veröffentlichte jetzt auch in der Zeitschrift Die Fanfare, und 1928 trat er als Herausgeber einer weiteren neuen Zeitschrift in Erscheinung, die unter dem Namen Neue Freundschaft allerdings nur mit zwei Ausgaben erschien. Danach verlieren sich alle Spuren zu Max H. Danielsens Lebensweg.

Seit den 1940er Jahren und bis 1978 gab es einen Gebrauchsgrafiker Max Danielsen in Hamburg, der in Kiel geboren wurde. Es ist aber noch nicht geklärt, ob es sich bei ihm um den ehemaligen Leiter der Kieler WhK-Ortsgruppe Max H. Danielsen handelte.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 251.

Zu Danielsens Redakteurstätigkeit in Berlin siehe Micheler, Stefan (2008): Zeitschriften, Verbände und Lokale gleichgeschlechtlich begehrender Menschen in der Weimarer Republik.

Dencker, J. Heinrich (Fabrikbesitzer) geb. 9.11.1860 (Sulingen) – gest. 25.2.1921 (Sulingen)

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J. Heinrich Dencker leitete 1902 das Subkomitee des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) im Raum Hannover, das zu jenem Zeitpunkt neben den Geschäftsstellen in Berlin und Leipzig die einzige Dependance des WhK war. Wohl erst im Jahr 1903 kam das Subkomitee München hinzu. Das Hamburger Subkomitee unter Carl Theodor Hoefft (1855–1927) scheint zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr bestanden zu haben. Wie lange die Hannoversche Gruppe als solche existierte, ist nicht bekannt. 1903 hieß es im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, die Hannoveraner hätten wie die anderen Ortsgruppen „bisher nennenswerte Erfolge nicht aufzuweisen”.

J. Heinrich Dencker stammte aus einer alteingesessenen Bürgerfamilie in Sulingen, 80 km nordwestlich von Hannover. Das „J.” in seinem Namen ist nicht geklärt. Möglicherweise beruht es auf einem Schreibfehler – oder es sollte pseudonymisierend wirken, denn Denckers voller Name lautete Konrad Ludwig Heinrich Dencker.

Dencker blieb zeit seines Lebens unverheiratet, und da er sich als Fabrikbesitzer bezeichnete, kann davon ausgegangen werden, dass er vermögend war. Im WhK scheint er sich früh eine bedeutende Position erworben zu haben, denn schon 1900 ging den Berliner Reichstagsabgeordneten eine zweite Petition des WhK zur Abschaffung des § 175 RStGB zu, die diesmal von Magnus Hirschfeld, Ferdinand Karsch-Haack und J. Heinrich Dencker unterzeichnet war.

Ab 1902 (und bis mindestens 1904) war Dencker auch Kassenprüfer des WhK, und 1904 gehörte er der ersten siebenköpfigen „Obmännerkommission” des WhK an. Er wurde 1907, 1909 und 1912 wiedergewählt und blieb vermutlich bis zu seinem Tod 1921 WhK-Obmann.

Als Magnus Hirschfeld am 13. März 1904 in Hannover einen Vortrag über „Die homosexuelle Frage im Lichte der Wissenschaft” hielt, dürfte J. Heinrich Dencker zu den Organisatoren desselben vor Ort gehört haben. Noch ein Jahr zuvor hatte der Hannoveraner Polizeipräsident einen anderen geplanten Vortrag aus den Reihen des WhK wegen der vermeintlichen „für die Zuhörer zu befürchtenden sittlichen Gefahren” in der Stadt verboten.

Weiterführende Literatur

Hoffschildt, Rainer (2014): J. Heinrich Dencker (1860–1921), in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 50/51, S. 92-95.

Dettmering, E. (Dr. jur., Landgerichtsrat)

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Die Lebensdaten von E. Dettmering sind unbekannt. Bei seinem Namen dürfte es sich um ein Pseudonym gehandelt haben, denn als ehemaliger Landgerichtsrat müsste er heute in der einschlägigen Literatur zu ermitteln sein. E. Dettmering wurde zwischen 1904 und 1923 regelmäßig in den Abrechnungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) oder bei den Beitragsquittungen genannt. Er wurde im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen als Dr. jur. und Landgerichtsrat bezeichnet, einmal (JfsZ 1908: 449) fiel sein Name in Zusammenhang mit Hannover.

E. Dettmering wurde 1920 zusammen mit seinem Rechtsanwaltskollegen Walther Niemann (1880–?) und dem Arzt Friedrich Helmbold (1869–1932) in eine Kommission des WhK berufen. In den Verlautbarungen der Vereinigung wurde wiederholt betont, dass sich E. Dettmering bei Aussprachen im Anschluss an Vorträge Magnus Hirschfelds und anderer rege beteiligt habe. In das Obmännerkollegium des WhK er wurde 1923 gewählt.

Doederlein, Fritz (Dr. med., Arzt, Chirurg) geb. 23.5.1882 (Ansbach, Bayern) – gest. 1959 (Stuttgart)

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Fritz bzw. Friedrich Doederlein war württembergischer Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). Er war ab Mitte der 1920er Jahre am Stuttgarter Ludwigspital als Oberarzt tätig und gab verschiedenen homosexuellen Männern, die sich hilfesuchend an ihn gewandt hatten, schriftlich und telefonisch Auskunft. In Bezug auf die schriftliche Korrespondenz mit diesen Männern war Doederlein sehr vorsichtig. Wie er 1923 aus Anlass einer bei ihm durchgeführten Wohnungsdurchsuchung mitteilte, vernichtete er bei ihm eingehende Briefe umgehend, sobald er sie beantwortet hatte. Doederlein, der verdächtigt wurde, gegen den § 175 RStGB verstoßen zu haben, bestritt bei der Vernehmung durch die Polizei nicht, homosexuell zu sein, doch hob er hervor, dass er sich in sexueller Hinsicht noch nie strafbar gemacht habe.

Offenbar versuchte Doederlein, sein homosexuelles Begehren vornehmlich auf Reisen und in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden und Italien auszuleben.

Fritz Doederlein wurde 1929 zum Chefarzt der chirurgischen Abteilung im Stuttgarter Ludwigspital befördert, und 1936 wurde er zum Direktor der Abteilung ernannt. Um 1940 zog er nach Stetten im Remstal. Nach den verheerenden alliierten Luftangriffen auf Stuttgart wurde auch das Ludwigspital als Ausweichkrankenhaus nach Stetten verlegt, wo Doederlein nach wie vor als Leiter der chirurgischen Abteilung tätig war. Im September 1949 wurde er zum Professor ernannt.

Doederlein blieb zeit seines Lebens unverheiratet und starb 1959 als hoch angesehener Bürger in Stuttgart an den Folgen eines Schlaganfalls. Gegenüber seinen Familienangehörigen konnte er offenbar vor allem in den 1950er Jahren relativ offen mit seiner Homosexualität umgehen. So war diesen bekannt, dass Doederlein einen jüngeren festen Freund hatte und mit ihm ausgedehnte Reisen unternahm.

Weiterführende Literatur

Munier, Julia Noah (2021): Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg. Stuttgart: Kohlhammer; hier vor allem S. 66-69.

Dost, Margarete (Verkäuferin) geb. 1.4.1879 (Berlin) – gest. 6.12.1956 (Berlin)

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Margarete Dost gehörte zu den engsten Vertrauten Magnus Hirschfelds. Sie – „meine Freundin Margarete Dost“ – ist neben seinem früheren Angestellten Franz Wimmer und seinem ärztlichen Freund Leopold Hönig in Karlsbad (Karlovy Vary) die einzige Person, die in Hirschfelds Testament mit einem größeren Legat bedacht wurde, ohne Mitglied seiner weitläufigen Familie zu sein oder dass Hirschfeld ihr noch einen versprochenen Betrag schuldig gewesen wäre, wie dies bei Ellen Bækgaard der Fall war, die Karl Gieses Ausbildung finanziert hatte.

Angeblich war Margarete Dost Hirschfelds Freundin aus jungen Jahren. Adelheid Schulz erinnerte sich, dass sie zu Zeiten des Instituts für Sexualwissenschaft immer Zugang zu Hirschfeld hatte. Margarete Dost war spätestens seit 1907 Mitglied des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), sie wurde 1911 zur „Obmännin” gewählt und gehörte zwischen 1920 und 1926 als erste Frau vorübergehend dem Vorstand des WhK an. Die letzten Jahre seines Bestehens (1926–1933) hatte das WhK wieder einen reinen „Männervorstand”.

Überliefert ist auch, dass Hirschfeld Margarete Dost bestimmte, den bulgarischen Transvestiten Michael Dimitroff beim Einkauf seiner Frauenkleider in Berlin zu begleiten und zu beraten, was dieser sehr bedauerte – er wäre lieber mit Adelheid Schulz einkaufen gegangen.

Außer dass sie dem Obmännerkollegium und später zeitweilig dem Vorstand des WhK angehörte, ist wenig über Margarete Dost bekannt. Sie war eine Schwester des Fotografen und Fotografie-Historikers Wilhelm Dost (1886–1964), der vor 1913 die Fotografien für Hirschfelds Bilderwand der sexuellen Zwischenstufen angefertigt hat. Sie wohnte zeitlebens in Berlin und war nicht verheiratet. Die Einwohnermeldekartei notiert als ihre Adressen: „Berlin-Mitte, Gerhardstr. 13”, „Berlin-Friedrichshain, Stendaler Str. 12”, „Berlin-Tiergarten, Unionstr. 2” und zuletzt „Berlin-Tiergarten, Derfflingerstr. 21”.

Margarete Dost nahm gemeinsam mit Magnus Hirschfeld am 12. August 1919 an der Trauerfeier für Ernst Haeckel in Jena teil (vgl. Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1919, S. 90). Hirschfeld sprach dort im Namen der Humboldt-Hochschule und der Berliner Ortsgruppe des Monistenbundes. Später hat Margarete Dost Hirschfeld zweimal in Paris besucht – zu Weihnachten 1933 und im Sommer 1934, wie aus ihren Einträgen in Hirschfelds Exil-Gästebuch hervorgeht.

1934 vermittelte Margarete Dost Magnus Hirschfeld den Rückkauf von über 2.000 Kilogramm Büchern, Manuskripten, Dokumenten, Fragebögen, Bildern und anderen Gegenständen, die sich einst im Institut für Sexualwissenschaft befunden hatten, aus einer Berliner Zwangsversteigerung. Der nationalsozialistische Zwangsverwalter hatte der Dr. Magnus Hirschfeld-Stiftung zuvor angeboten, sie könne ihre „wissenschaftlichen Sachen” für einen Gegenwert von 4.000 Reichsmark zurückerhalten.

Möglicherweise war Margarete Dost lesbisch. Als der Publizist und langjährige Mitarbeiter Hirschfelds im WhK Kurt Hiller Ende der 1940er Jahre die lesbische Journalistin Eva Siewert (1907–1994) kennenlernte und diese ihn brieflich nach Frauen aus dem Umfeld Hirschfelds fragte, nannte Hiller ihr gegenüber den Namen Dosts und den von Gertrud Topf. Eva Siewert antwortete: „Die Damen Dost und Topf dürften schwer wiederzufinden sein. Schade, schade. Ich kannte sie nicht.“

1965 hieß es in der Zeitschrift für Freikörperkultur Helios, Magnus Hirschfeld habe sich stets für Frieden und Verständigung unter den Menschen sowie den Schutz von Minderheiten eingesetzt: „Das bezog sich auch auf die uneheliche Mutterschaft und die Homosexuellen. Zu Unrecht ist er deswegen selbst als homosexuell angesehen worden. Seine Frau starb 1954 in Berlin; er selbst als Flüchtling und Jude im Exil 1936.” Diese Bemerkungen sind gleich in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Mit Hirschfelds Frau war offenbar Margarete Dost gemeint, die am 6. Dezember 1956 in Berlin verstarb.

Weiterführende Literatur

Anonym (1965): Wussten Sie das schon? In: Helios – Sonnenstrahl. Schriftenreihe für natürliche Lebensgestaltung. Nr. 158, S. 28.

Bergemann, Hans, Ralf Dose und Marita Keilson-Lauritz. Hrsg. (2019): Magnus Hirschfelds Exil-Gästebuch. Unter Mitarbeit von Kevin Dubout. Leipzig, Berlin: Hentrich & Hentrich, S. 209-210.

Herzer, Manfred (2017): Magnus Hirschfeld und seine Zeit. Berlin/Boston: De Gruyter Oldenbourg, S. 102, 375-376.

Drumm, Else (Pianistin, Klavierlehrerin) geb. 8.1.1892 (Kaiserslautern) – gest. 18.5.1954 (Heidelberg)

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„Fräulein” Else Drumm gehörte neben Gertrud Topf, Toni Schwabe, Johanna Elberskirchen und Helene Stöcker als eine der ersten „weiblichen Obmänner” ab 1914 dem Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) an. In dieser Funktion wurde sie 1920 bestätigt. Im Übrigen liegen über die Identität Else Drumms nur wenig verlässliche Angaben vor. Es könnte sich um die Heidelberger Klavierlehrerin Elisabetha Friederike Dorothea Amalie Drumm gehandelt haben, Tochter des Musiklehrers Rudolph Drumm und seiner Ehefrau Amalie Martha geb. Fickeisen.

Else Drumm hat in Berlin das Stern’sche Konservatorium der Musik besucht. Von September 1906 bis Ende August 1908 findet sie sich im Schülerverzeichnis, das in den Jahresberichten abgedruckt ist. Sie stammte gebürtig aus Kaiserslautern und wurde Schülerin des Pianisten Otto Voss (1875–1946), der ab 1909 Direktor eines Konservatoriums in Heidelberg war. Anscheinend hat sie ihren Vornamen zu „Else” verkürzt, denn mit diesem Namen steht sie sowohl im Schülerverzeichnis des Stern’schen Konservatoriums als auch im Heidelberger Adressbuch. Nach Heidelberg ist Else Drumm 1917 von Kaiserslautern kommend gezogen – zusammen mit ihrer Mutter, die 1920 in Heidelberg verstorben ist. Im Heidelberger Adressbuch ist sie mit wechselnden Adressen verzeichnet: 1924/25 Kornmarkt 2, 1930 Kornmarkt 8, 1935 Landfriedstr. 16 und 1940 Märzgasse 16.

Anfang der 1910er Jahre galt Else Drumm als eine „eminent begabte Pianistin”, die von den Musikkritikern des General-Anzeigers der Stadt Mannheim und Umgebung wiederholt in höchsten Tönen gelobt wurde. Die Nennung ihres Namens zusammen mit denen anderer hervorragender Künstler und Künstlerinnen bei Ankündigungen von Symphoniekonzerten genüge, um etwa den „großen und prächtigen Saal” in Neustadt an der Weinstraße bis auf den letzten Platz zu füllen. Am 19. Juli 1913 wirkte Else Drumm zusammen mit der Pianistin Alwine Möslinger – die zwei Frauen spielten auf zwei Klavieren – an einer Prüfungsaufführung der Heidelberger Musikakademie mit, die laut dem Kritiker des General-Anzeigers der Stadt Mannheim und Umgebung „weit über das hinausragte, was man sonst von Schülerproduktionen zu hören gewohnt ist.”

Da Else Drumm ihre Ausbildung in Berlin im Alter von vierzehn Jahren begonnen hat, könnte sie bei Verwandten der Familie gelebt haben: väterlicherseits etwa den Kaufleuten Julius oder Max Drumm, mütterlicherseits bei dem Kaufmann Gustav Fickeisen, dem Mützenmacher Jacob Fickeisen oder auch bei der Witwe Fickeisen in Rixdorf. Sie wäre dann sehr jung mit dem WhK in Verbindung gekommen und kurz nach ihrer Volljährigkeit Obfrau geworden.

Quellen und weiterführende Literatur

Boxhammer, Ingeborg und Christiane Leidinger (2020): Ereignisse im Kaiserreich rund um Homosexualität und „Neue Damengemeinschaft“ (hier: ND). LGBTI-Selbstorganisierung und Selbstverständnis, S. 8. Online hier.

ck. (1910): Theater, Kunst und Wissenschaft, in: General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung, 20.7.1910, S. 4.

ck. (1913): Kunst, Wissenschaft und Leben, in: General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung, 21.7.1913, S. 3.

N. (1913): Kunst, Wissenschaft und Leben, in: General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung, 9.4.1913, S. 3-4.

Eekhoud, Georges (Schriftsteller) geb. 27.5.1854 (Antwerpen, Belgien) – gest. 29.5.1927 (Schaerbeek, Belgien)

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Der belgische Schriftsteller und Kunstkritiker Georges Eekhoud entstammte einer bürgerlichen Familie und wuchs in eher bescheidenen Verhältnissen auf. 1880 ließ er sich in Brüssel nieder, wo er Redakteur der Tageszeitung L’Étoile belge wurde und zum Umfeld der Zeitschrift La Jeune Belgique gehörte, an der er von der ersten Ausgabe an (1881) aktiv mitwirkte. Später schloss er sich der Pariser Zeitschrift Mercure de France bzw. deren Vorläufer an und fungierte zwanzig Jahre als deren belgischer Korrespondent.

1883 erschien Georges Eekhouds erster Roman, Kees Doorik, der 1893 ins Deutsche übersetzt wurde. Es folgten mehrere Werke, in denen er das harte Leben der Bauern und Schicksale von Menschen beschrieb, die sich gegen die bürgerliche Moral auflehnten. Eekhoud wurde vor allem durch seinen Roman Escal-Vigor (1899) bekannt, der 1903 von Richard Meienreis (1865–1926) ins Deutsche übersetzt wurde und bei Max Spohr (1850–1905) in Leipzig erschien. Mit Escal-Vigor löste Eekhoud 1899 einen Skandal aus, da es sich um den ersten Roman in der französischsprachigen Literatur Belgiens handelte, in dem Homosexualität offen thematisiert wurde. In der Folge kam es zu einem Prozess gegen Eekhoud in Belgien.

Georges Eekhoud hatte 1891 den jungen Buchdrucker Alexandre (Sander) Pierron (1872–1945) kennengelernt, und die Begegnung sollte beider Leben grundlegend ändern. Eekhoud stellte Pierron als Sekretär ein, um ihm aus der prekären Lage als Arbeiter zu helfen. Die 250 Briefe, die sie zwischen 1892 und 1927 miteinander wechselten, und das Tagebuch Eekhouds wurden 2001 in dem Buch Mon bien aimé petit Sander (Mein geliebter kleiner Sander) veröffentlicht. Die Dokumente zeugen von einer echten Liebesbeziehung, die von den beiden verheirateten Männern diskret gelebt und von ihren jeweiligen Ehefrauen gebilligt wurde.

Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen bemühte sich Numa Praetorius (Eugen Wilhelm, 1866–1951) bereits 1900, den deutschsprachigen Lesern das Werk Georges Eekhouds vorzustellen. Selbst steuerte Eekhoud im selben Jahr einen Beitrag unter dem Titel „Un illustre uraniste du XVII siècle. Jérôme Duquesnoy“ in französischer Sprache für das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen bei.

Um 1905 nahm Georges Eekhoud den niederländischen Schriftsteller Jacob Israël de Haan (1881–1924) bei sich auf, nachdem dieser vor Kritik und Angriffen von Seiten niederländischer Sozialisten und Künstler geflohen war. De Haans homoerotische Erzählung Pijpelijntjes (1904) hatte ähnlich wie Eekhouds Escal-Vigor zuvor einen Skandal ausgelöst, weil der Autor in ihr sein eigenes Leben und Erleben mit zahlreichen homosexuellen Affären offen schilderte. Georges Eekhoud und Jacob Israël de Haan verband fortan eine tiefe Freundschaft, die sich auch in ihren literarischen Arbeiten niederschlug.

Schriften (Auswahl)

Eekhoud, Georges (1903/2007): Escal-Vigor. Roman. Deutsch von Dr. Richard Meienreis, Leipzig: Max Spohr; Neuausgabe Hamburg: Männerschwarm 2007 [im Anhang S. 199-242 die Erzählungen „Liebesselbstmord“ und „Eine schlimme Begegnung“].

Eekhoud, Georges (1996): Un illustre uraniste. Lille: Cahiers Gay Kitsch Camp.

Weiterführende Literatur

Schlagdenhauffen, Régis (2012): À propos d’une rencontre. Numa Praetorius et Georges Eekhoud. In: M. Lucien und Patrick Cardon (Hg.): Georges Eekhoud: Un illustre uraniste: GayKitschCamp (Question de Genre), S. 77-81.

Setz, Wolfram (2016): Oscar Wilde & Co. Historisch-literarische Spurensicherungen. Hamburg: Männerschwarm Verlag (Bibliothek rosa Winkel, Sonderreihe Wissenschaft, 5).

Eickhoff, Egon (Diplom-Ingenieur) geb. 3.5.1875 (Meschede, Sauerland) – gest. 26.3.1958 (Paderborn)

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Egon Eickhoff (links) mit seinem Bruder Heinrich und seinem Vetter Martin Eickhoff, 1955. Foto in Privatbesitz.
Egon Eickhoff wurde 1912 in das Obmännerkollegium des WhK gewählt. Er gehörte der Organisation seit etwa 1902 an und unterzeichnete in diesem Jahr auch die Petition des WhK gegen den § 175 RStGB. Magnus Hirschfeld zählte Eickhoff noch 1929 zu dem „treuen Kreis alter und neuer Freunde”, doch der Schwerpunkt von Eickhoffs Aktivitäten im WhK scheint in den Jahren um 1902 gelegen zu haben.

Egon Eickhoff wurde in eine wohlhabende Fabrikantenfamilie im Sauerland geboren. Er studierte ab 1895 Maschinen-Ingenieurwissenschaft und Elektrotechnik in Charlottenburg (bei Berlin) und wohnte spätestens ab 1902 in Leipzig. Hier kam er in Kontakt mit dem Verleger Max Spohr (1850–1905) und leitete zusammen mit diesem die Leipziger Ortsgruppe des WhK. Seit dieser Zeit war Eickhoff auch mit Martin Fiedler (1870–1946) befreundet.

Eickhoff und Fiedler sandten der Leipziger Polizeibehörde 1902 ein Flugblatt zur „wohlwollenden Prüfung” zu, mit dem die Bevölkerung über das „Wesen der Homosexualität” aufgeklärt werden sollte. Gleichwohl griff die Polizei unverzüglich ein, als das Flugblatt verteilt wurde, und gegen Eickhoff wurde Anklage wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften erhoben.

Eickhoff arbeitete in Leipzig auch mit dem Psychiater Paul Näcke (1851–1913) zusammen, und als er sich Ende 1902 erneut an die Leipziger Polizei wandte, um einen bevorstehenden Vortrag Magnus Hirschfelds unter dem Vorsitz Näckes anzumelden, wurde die geplante Veranstaltung verboten.

Belegt ist ferner, dass Egon Eickhoff vor 1902 in Verhandlungen mit dem Essener Industriellen Friedrich Alfred Krupp (1854–1902) stand.

Der Lebensweg Egon Eickhoffs war wechselhaft. Eickhoff wohnte in Städten wie Leipzig, Berlin, Halle, Staßfurt und München und hielt sich aus beruflichen Gründen zeitweise auch in Russland und Persien (Iran) auf. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er unter eher prekären Verhältnissen in der Nähe seiner Sauerländer Heimat. In Briefen etwa an Kurt Hiller (1885–1972) und Peter Martin Lampel (1894–1965), mit denen er befreundet war, klagte er nun, er sei weitgehend isoliert und vereinsamt. Zu seinem „homosexuellen Netzwerk” in der Nachkriegszeit gehörte aber auch der frühere Obmann im WhK, der Frankfurter Hermann Weber (1882–1955). Weber bemühte sich ab 1949 in Zusammenarbeit mit dem Arzt Hans Giese (1920–1970) in Frankfurt, das einstige WhK wiederzubeleben.

Weiterführende Literatur

Wolfert, Raimund (2020): Egon Eickhoff – eine biographische Skizze, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 65/66, S. 26-41.

Elberskirchen, Johanna (Naturärztin) geb. 11.4.1864 (Bonn) – gest. 17.5.1943 (Rüdersdorf bei Berlin)

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Johanna Elberskirchen, um 1905. Quelle: CC BY-SA 3.0 (Creative Commons).
Johanna Carolina Elberskirchen wurde am 11. April 1864 als Tochter eines Bonner Kaufmanns und dessen Ehefrau geboren. Nach der absolvierten Schulausbildung arbeitete sie zunächst als Buchhalterin in Rinteln und nahm dann ein Studium der Medizin, später der Jura in der Schweiz auf. In Deutschland war Elberskirchen als Frau Anfang der 1890er Jahre nach wie vor der Zugang zu den Universitäten verwehrt. Vermutlich aus Kostengründen schloss Elberskirchen ihr Studium aber nie ab.

Nachdem sie in ihre Heimatstadt Bonn zurückgekehrt war, engagierte sich Johanna Elberskirchen in der SPD, in der sie für einige Jahre den Vorsitz des Jugendausschusses übernahm. Sie wurde jedoch 1913 aus der Partei ausgeschlossen, da sie zeitgleich in einem bürgerlichen Frauenstimmrechtsverein aktiv war. Diese beiden Engagements galten damals aus sozialdemokratischer Sicht als nicht vereinbar.

1914 wurde Johanna Elberskirchen als Naturärztin in einem Sanatorium in Finkenwalde bei Stettin (heute Zdroje, ein Vorort von Szczecin, Polen) tätig. Wenig später zog sie nach Berlin, wo sie sich maßgeblich in der Säuglingsfürsorge engagierte. Zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Hildegard Moniac (1891–1967) wohnte Elberskirchen ab 1920 in Rüdersdorf, südöstlich von Berlin. Hier engagierte sie sich wieder in der SPD und betrieb eine Homöopathische Praxis. Diese Praxis konnte sie bis an ihr Lebensende führen, auch wenn sie von Seiten der Nazis nach 1933 Berufseinschränkungen hinnehmen musste.

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Sonderstempel der Deutschen Post, 2016.
Johanna Elberskirchen war als feministische Schriftstellerin, Rednerin und Aktivistin ausgesprochen produktiv. Sie widmete sich Themen wie dem Frauenwahlrecht, dem Frauenstudium, der Gewalt gegen Mädchen und Frauen sowie Fragen der Kinderheilkunde. Anfangs publizierte sie unter dem Pseudonym „Hans Carolan“. Sie „outete” sich 1904 in ihrer Schrift Was hat der Mann aus Weib, Kind und sich gemacht? indirekt mit den Worten: „Sind wir Frauen homosexual – nun dann lasse man uns doch! Dann sind wir es doch mit gutem Recht! Wen geht’s an? Doch nur die, die es sind.“ In Hinblick auf die Homosexualität lehnte Johanna Elberskirchen zeittypische Vorstellungen einer gewissen Männlichkeit lesbischer Frauen ab. Sie wurde 1914 und 1920 als Mitglied im Obmännerkollegium des WhK genannt, damit gehörte sie neben Gertrud Topf, Else Drumm und Helene Stöcker zu den ersten weiblichen „Obmännern” der Organisation. 1928 hat sie in Kopenhagen, 1929 in London und 1930 in Wien an den Kongressen der Weltliga für Sexualreform (WLSR) teilgenommen.

Johanna Elberskirchens Redebeitrag auf dem Wiener WLSR-Kongress wurde von den Zeitgenossen offenbar weitgehend übergangen, doch verstören ihre Worte vom September 1930 nach wie vor. In einer Zeit, in der sich die Weimarer Republik in einer tiefen Krise befand, prangerte die einstige Vorkämpferin der lesbischen Liebe eine „ungeheuerliche Zügellosigkeit der Libido sexualis“ in der Gegenwart an, sie wandte sich gegen die „Überbewertung des Sexualen in der Kultur“ und beschwor die Wiederkehr der „Reinheit der altgermanischen Jungfrauen und Jungmänner“.

Johanna Elberskirchen starb am 17. Mai 1943 im Alter von 79 Jahren. Die Urne mit ihren sterblichen Überresten wurde 1975 – über dreißig Jahre nach ihrem Tod – von zwei Frauen heimlich im Grab ihrer Lebensgefährtin Hildegard Moniac auf dem Rüdersdorfer Friedhof beigesetzt. Seit 2002 steht die gemeinschaftliche Grabstätte der beiden Frauen unter Schutz.

Schriften (Auswahl)

Elberskirchen, Johanna (1904): Was hat der Mann aus Weib, Kind und sich gemacht? Revolution und Erlösung des Weibes. Eine Abrechnung mit dem Mann – ein Wegweiser in die Zukunft! Berlin: Magazin-Verlag.

Gedenken

2003 fand auf dem Rüdersdorfer Friedhof eine Gedenkveranstaltung statt, an der einhundert Personen teilnahmen. Für Johanna Elberskirchen und ihre Lebensgefährtin Hildegard Moniac wurden Gedenktafeln aufgestellt. Seit Ende 2005 erinnert außerdem am Geburtshaus Elberskirchens in Bonn (Sternstraße 37, früher Nr. 195) eine Gedenktafel an die streitbare Feministin. Weiteres zur Rüdersdorfer Grabstätte siehe hier.

Weiterführende Literatur

Eggeling, Tatjana (o.J.): Johanna Elberskirchen, auf: Webseite der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.

Leidinger, Christiane (2001): Johanna Elberskirchen und ihre Rüdersdorfer Zeit. Eine erste Skizze, in: Forum Homosexualität und Literatur, Nr. 39, S. 79-106.

Leidinger, Christiane (2003): Eine Urne im Pferdestall oder: die Geschichte einer geschützten Grabstätte und zweier Grabtafeln für Johanna Elberskirchen (1964–1943) und Hildegard Moniac (1891–1967), in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 35/36, S. 51-57.

Leidinger, Christiane (2008): Keine Tochter aus gutem Hause. Johanna Elberskirchen (1864–1943). Konstanz: UVK (Universitätsverlag Konstanz).

Leidinger, Christiane (2009): Johanna Elberskirchen, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 125-127.

Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Hrsg. (2015): Persönlichkeiten in Berlin 1825–2006. Erinnerungen an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Berlin, S. 26-27.

Werkbibliografie zu Johanna Elberskirchen und weiteres Material auf Lesbengeschichte.org.

Emmert (Sanitätsrat)

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Es ist unklar, um wen es sich bei „Sanitätsrat Emmert” gehandelt hat. Der Name taucht in den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen nicht auf, auch nicht im Berliner Adressbuch. „Sanitätsrat Emmert” wurde 1907 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Eulenburg, Albert (Geh. Med.-Rat. Prof. Dr.) geb. 10.8.1848 (Berlin) – gest. 3.7.1917 (Berlin)

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Albert Eulenburg. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Albert (Siegfried Jakob) Eulenburg gehörte zu den ersten, der die Petition des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gegen den § 175 RStGB unterzeichnete, er war Vorsitzender der Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Herausgeber der Zeitschrift für Sexualwissenschaft. Eulenburg wurde 1840 in Berlin in eine jüdische Familie geboren, die aus dem östlichen Brandenburg stammte. 1847 trat sie indes in Berlin zum evangelischen Christentum über.

Der Vater Albert Eulenburgs war praktischer Arzt in Wriezen, er zog aber mit seiner Familie im Geburtsjahr seines ältesten Sohnes Albert nach Berlin. Hier gelangte er durch die Gründung eines Instituts für Heilgymnastik und Orthopädie zu einem gewissen Renommee, 1869 wurde er zum Sanitätsrat ernannt. Albert Eulenburg hatte einen jüngeren Bruder, Ernst Eulenburg (1847–1926), der zu einem erfolgreichen Musikverleger wurde. Sein Cousin Franz Eulenburg (1867–1943) war nach 1929 Rektor der Berliner Handelshochschule. Albert Eulenburg legte 16jährig in Berlin das Abitur ab und nahm anschließend das Studium der Medizin auf. Nach einem vorübergehenden Studienaufenthalt in Bonn promovierte er 1861 mit einer Arbeit über die Reizbarkeit der Muskeln. Seine medizinhistorische Habilitation legte er 1864 in Greifswald vor.

1874 wurde Albert Eulenburg auf eine ordentliche Professur für Arzneimittellehre an die Universität Greifswald berufen. 1879 ging er daran, eine Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde herauszugeben, die ihn berühmt machen sollte und die bis heute allgemein als „der Eulenburg” bekannt ist. Das Werk erschien von 1880 bis 1883 in der ersten Auflage in 15 Bänden. Spätere Auflagen waren noch umfangreicher. Des Weiteren verfasste Eulenburg mehrere Lehrbücher und veröffentlichte Forschungsergebnisse in Handbüchern und Fachzeitschriften, die Zeugnis von einer enormen Bandbreite und einer herausragenden fachlichen Universalität ihres Autors ablegen.

1882 kehrte Albert Eulenburg von Greifswald zurück nach Berlin, wo er als Privatdozent tätig wurde. Eine ordentliche Professur für Allgemeine Pathologie und Therapie wurde ihm von der Fakultät und dem Ministerium der Berliner Universität aufgrund seiner jüdischen Abstammung verweigert. 1884 ließ sich Eulenburg als Nervenarzt nieder, und in seiner Praxis, die schnell zu einer Poliklinik expandierte, arbeitete vorübergehend auch der junge Sigmund Freud (1856–1939).

1897 wurde Albert Eulenburg zum Geheimen Medizinalrat und 1900 zum außerordentlichen Professor der Berliner Medizinischen Fakultät ernannt. Er befand sich nun auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn und der fachlichen wie gesellschaftlichen Anerkennung. 1912 wurde er in das Obmännerkollegium des WhK gewählt.

Albert Eulenburg war insgesamt drei Mal verheiratet. Sein einziger Sohn, der aus seiner ersten Ehe stammte, schied durch Suizid aus dem Leben. Albert Eulenburg selbst starb 1917 an den Folgen eines Sarkoms. Im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgung seiner Verwandten und durch den Zweiten Weltkrieg sind zahlreiche Dokumente zu seinen persönlichen Lebensumständen verloren gegangen.

Schriften (Auswahl)

Eulenburg, Albert (1871): Lehrbuch der functionellen Nervenkrankheiten auf physiologischer Basis. Berlin: Verlag von August Hirschwald.

Eulenburg, Albert (1895): Sexuelle Neuropathie. Genitale Neurosen und Neuropsychosen der Männer und Frauen. Leipzig: F. C. W. Vogel.

Eulenburg, Albert (1902): Sadismus und Masochismus. Wiesbaden: Bergmann.

Eulenburg, Albert (1916): Moralität und Sexualität. Sexualethische Streifzüge im Gebiete der neueren Philosophie und Ethik. Bonn: Marcus & Weber.

Weiterführende Literatur

Sigusch, Volkmar (2008): Geschichte der Sexualwissenschaft. Frankfurt/New York: Campus, S. 234-246, 612-614.

Sigusch, Volkmar (2009): Albert Eulenburg (1840–1917), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 148-157.

Exler, Marie Jacobus Johannes (Schriftsteller) geb. 28.2.1882 (Schiedam, Niederlande) – gest. 21.9.1939 (Naarden, NL)

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Marie Jacobus Johannes Exler war ein niederländischer Vorkämpfer für die Rechte der Homosexuellen, Schriftsteller, Astrologe, Theosoph und Hühnerzüchter. 1911 veröffentlichte er unter seinem Klarnamen seinen einzigen Roman Levensleed (Lebensleid), für den Magnus Hirschfeld ein Vorwort schrieb. Exler wandte sich in dem Roman gegen die Diskriminierung Homosexueller und forderte, dass ihnen eine humane Behandlung zuteil werde. Der Roman wurde in der niederländischen Literaturzeitschrift Den Gulden Winckel positiv besprochen und erschien 1914 auch in deutscher Übersetzung. In den Niederlanden erlebte er mehrere Auflagen.

Marie Jacobus Johannes Exler wurde 1913 wie Jacob Anton Schorer (1866–1957) und Lucien von Römer (1873–1965) zum Obmann des WhK gewählt, entwickelte in dieser Position aber keine weitergehenden Aktivitäten. Zusammen mit Schorer, von Römer, dem Arzt Arnold Aletrino (1858–1916) und dem Schriftsteller Joannes François gehörte Exler 1912 ferner zu den Gründungsmitgliedern der „Nederlandsche Afdeling van het WhK“, aus der sich 1919 das niederländische WhK (NWHK) entwickelte.

Schriften (Auswahl)

Exler, Marie Jacobus Johannes (1911): Levensleed (psychologische roman). Een boek voor ouders, met inleiding door Magnus Hirschfeld. ‘s-Gravenhage: C. Harms Tiepen.

Exler, Marie Jacobus Johannes (1914): Lebensleid (Ein Buch für Eltern). Psychologischer Roman. Übersetzung von W. H. Akkersdyk. Leipzig: Max Spohr.

Weiterführende Literatur

Lieshout, Maurice van (2001): Exler, Marie Jacobus Johannes, in: Aldrich, Robert und Garry Wotherspoon (Hrsg.): Who is Who in Gay & Lesbian History. From Antiquity to World War II. London und New York: Routledge, S. 156.

Fiedler, Martin (Rittergutsbesitzer) geb. 8.6.1870 (Dresden) – gest. 5.4.1946 (Dresden)

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Über den Lebensweg Martin Fiedlers ist auch heute noch wenig bekannt. Der Vater Karl Moritz Fiedler (1831–1924) hatte als Jurist eine leitende Position im sächsischen Kultusministerium inne, eine Schwester Martin Fiedlers war die Malerin Marianne Fiedler (1864–1904). Die Familie lebte in großbürgerlichen Verhältnissen in Dresden.

Martin Fielder war Anfang des 20. Jahrhunderts Besitzer eines Rittergutes bei Zwenkau (Sachsen). Er arbeitete eng mit dem Leipziger Verleger Max Spohr (1850–1905) und dem Ingenieur Egon Eickhoff (1875–1958) in der Leipziger Ortsgruppe des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) zusammen. So sandten Fiedler und Eickhoff 1902 dem Leiter der Leipziger Polizeibehörde den Korrekturbogen eines von ihnen selbst verfassten vierseitigen Flugblattes zur „wohlwollenden Prüfung und Freigabe” zu. Mit dem Flugblatt, das wenig später vor den Toren der Universität und des Konservatoriums in Leipzig verteilt wurde, sollte die Bevölkerung über das „Wesen der Homosexualität” aufgeklärt werden. Anfang 1903 wurde das Flugblatt von der Staatsanwaltschaft beanstandet, und zumindest gegen Eickhoff wurde Anklage wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften erhoben.

Zum Obmann des WhK wurde Martin Fiedler 1928 gewählt.

Wann genau Martin Fiedler zurück nach Dresden zog, ist nicht belegt. 1934 half er dem befreundeten Kurt Hiller (1885–1972), der kurz zuvor nach neunmonatigen schweren Misshandlungen aus dem Konzentrationslager Oranienburg nördlich von Berlin entlassen worden war, sich über die „grüne Grenze” in die Tschechoslowakei abzusetzen.

Martin Fiedler war auch mit dem Schriftsteller und Obmann des WhK Bruno Vogel (1898–1987) befreundet, solange dieser noch in Deutschland lebte. Vogel stammte gebürtig aus Leipzig.

Weiterführende Literatur

Wolfert, Raimund (2012): Nirgendwo daheim. Das bewegte Leben des Bruno Vogel. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 102, 110 und 134.

Wolfert, Raimund (2020): Egon Eickhoff – eine biographische Skizze, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 65/66, S. 26-41, hier S. 29 und 33.

Fischer, Alfred (Kaufmann)

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Die Lebensdaten und alle weiteren Angaben zu Alfred Fischer fehlen. Fischer wurde 1920 als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. In den Unterlagen der Organisation wurde er als „Kaufmann” geführt.

Fleischner, Jindřich (Oberbaurat) geb. 5.3.1879 (Jitschin, heute Jičín, Tschechien) – gest. 14.8.1922 (Berlin)

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Jindřich (Heinrich) Fleischner wurde in eine tschechischsprachige jüdische Familie geboren. Nach dem Abitur studierte er Chemie an der Technischen Hochschule in Prag und wurde Mitglied der tschechischen sozialdemokratischen Partei.

Von 1904 bis 1919 arbeitete Fleischner in der Zuckerfabrik in Litole bei Lysá nad Labem. Er veröffentlichte nicht nur Aufsätze auf dem Gebiet der Gärchemie, sondern hielt auch öffentliche Vorträge und schrieb Artikel, die sich mit sozialen und philosophischen Aspekten der Technik im Arbeitsleben beschäftigten. Fleischner übersetzte ferner belletristische Werke aus dem Französischen und dem Deutschen ins Tschechische sowie aus dem Tschechischen ins Deutsche.

Als das Prager Ministerium für öffentliche Arbeiten (MVP) nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Herbst 1918 neu organisiert wurde, wurde Jindřich Fleischner in den Ministerialdienst berufen. Er zog nach Prag-Smichow um, arbeitete als Privatsekretär des sozialdemokratischen Ministers Antonín Hampl (1874–1942) und wurde 1920 zum Ministerialrat ernannt. Im selben Jahr wurde er in das Obmännerkollegium des WhK gewählt.

Jindřich Fleischner war homosexuell und unterzog sich bei Iwan Bloch (1872–1922) in Berlin einer längeren Behandlung – wohl durch Suggestion. Bei einer solchen Sitzung ereilte ihn am 11. August 1922 ein linksseitiger Schlaganfall. Drei Tage später verstarb er im Institut für Sexualwissenschaft, In den Zelten 10.

Gedenken

Das Grabmal für Jindřich Fleischner wurde im Oktober 1923, ein Jahr nach seinem Tod, auf dem Jüdischen Friedhof seiner Geburtsstadt Jitschin/Jičín errichtet.

Weiterführende Literatur

Schindler, Franz (2003): František Čeřovský, otec boje za dekrimininalizaci homosexuálů v Československu, in: Souvislosti, Nr. 4, S. 70-79.

Freimark, Hans (Schriftsteller) geb. 29.1.1881 (Berlin) – gest. 9.5.1945 (Söcking)

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Hans Freimark 1915, Grafik von Ludwig Meidner. © Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main.
Hans Freimark war Buchhändler und Autor zahlreicher Schriften vornehmlich zur Esoterik und zum Okkultismus, aber auch zur Sexualwissenschaft. 1905 veröffentlichte er seine erste Broschüre zur Homosexualität, der er den zeitgenössischen Titel „Der Sinn des Uranismus“ gab. Magnus Hirschfeld war von dieser Veröffentlichung so begeistert, dass er Freimark 1907 als Sekretär in dem von ihm mitbegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) einsetzte.

Über die privaten Lebensumstände Hans Freimarks ist heute nur wenig bekannt. Belegt ist, dass Freimark bis März 1907 in Schreiberhau im Riesengebirge (heute Szklarska Poręba, Polen) und von 1910 bis 1912 in Handschuhsheim nördlich von Heidelberg wohnte. Davor, dazwischen und danach war er in Berlin gemeldet. Als Mitglied im Obmännerkollegium des WhK wurde er 1914 und 1920 genannt. 1907 wollte Freimark zusammen mit seinem Freund nach Kopenhagen reisen, um dem dänischen Obmann des WhK Poul Andræ (1843–1928) die „Aufwartung” zu machen.

Ein Jahr zuvor, 1906, hatte Hans Freimark im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen eine Studie über die russlanddeutsche Okkultistin Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) veröffentlicht, die auf nachhaltiges Interesse stieß. Er widmete sich in Artikeln aber auch der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758) und dem russischen Schriftsteller Leo Tolstoi (1828–1910), ferner schrieb er historische Romane und Biografien. Ein größeres Lesepublikum erreichte er mit einem Buch über die Handlesekunst.

Als Hauptwerk Freimarks auf dem Gebiet der Sexualwissenschaft gilt das Buch Okkultismus und Sexualität [1909]. In ihm beschäftigte er sich mit den „verborgenen” Kräften der Sexualität, die er anhand zahlreicher Beispiele aus Mythologie, Philosophie, Volksglaube und magischer Forschung „belegte“. Weitere nennenswerte sexualwissenschaftliche Werke Hans Freimarks sind Das Sexualleben der Afrikaner (1911) und Das erotische Element im Okkultismus (1922).

Vermutlich ab 1924 wohnte Hans Freimark in Bayern. Er soll sich am 9. Mai 1945 in Söcking am Starnberger See vergiftet haben.

Schriften (Auswahl)

Freimark, Hans [1909]: Okkultismus und Sexualität. Beiträge zur Kulturgeschichte der Vergangenheit und Gegenwart. Leipzig: Leipziger Verlag.

Freimark, Hans (1911): Das Sexualleben der Afrikaner (Das Sexualleben der Naturvölker, 2). Leipzig: Leipziger Verlag.

Freimark, Hans (1922): Das erotische Element im Okkultismus. Pfullingen: Johannes Baum Verlag.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 349-350.

Wolfert, Raimund (2014): Poul Andræs Briefwechsel mit dem WhK, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 50/51, S. 78-88, hier S. 79 und 84.

Frommer, Otto (Dr. jur., Kaufmann) geb. 4.1.1866 (Königsberg, heute Kaliningrad) – gest. 28.8.1943 (Sorau, heute Żary, Polen)

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Zum Lebensweg Otto Frommers ist nur wenig bekannt. Offenbar hat Frommer eine Zeit lang in England gelebt. Der Census von 1901 notiert für ihn „living on means” – d.h. er übte keinen Beruf aus, sondern lebte von Vermögen. 1911 ist Frommer als „hardware merchant” verzeichnet. Diese Tätigkeit übte er später auch in Berlin aus. Im Berliner Adressbuch von 1920 ist er mit „W 57, Bülowstr. 69 Erdg., Stahlwaren” eingetragen. 1938 und 1942 ist Otto Frommer in Berlin-Schöneberg unter der Adresse „Hauptstr. 5” verzeichnet. In den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen wird sein Name seit 1912 regelmäßig genannt. In das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1920 gewählt

Otto Frommer starb 1943 in einem Pflegeheim in Sorau in der Niederlausitz (heute Żary, Polen). Seinem Sterbeeintrag lässt sich entnehmen, dass er zum Zeitpunkt seines Todes Kleinrentner war. Er wohnte zuletzt in Berlin, Yorckstraße 84-86. Frommer soll an „arteriosklerotischer Geisteskrankheit. Altersgemäß” verstorben sein. Möglicherweise war Otto Frommers letzter Lebenspartner Hans Buschenhagen, dessen Adresse (Fröaufstraße 8 in Berlin-Friedenau) auf dem Sterbeeintrag Frommers handschriftlich vermerkt ist. Buschenhagen betrieb um 1943 eine Firma für „Werbegeschenke jeder Art”.

Fuld, Ludwig (Justizrat Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 22.12.1859 (Mainz) – gest. 7.9.1935 (Nizza, Frankreich)

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Ludwig Fuld studierte Rechtswissenschaft in Berlin, Heidelberg und Gießen und promovierte 1880 zum Thema „Einfluß der Lebensmittelpreise auf die Bewegung der strafbaren Handlungen”. Er war um 1884 am Amtsgericht in Bingen, am Landgericht in Mainz und am Oberlandesgericht Darmstadt tätig und bemühte sich ab 1885 vergeblich um die Übernahme in den diplomatischen Dienst. Um diese Zeit legte er auch eine Reihe von antisemitischen Schriften vor. 1891 wechselte Fuld als Justizrat in die Anwaltschaft. Er wurde als Syndikus wirtschaftlicher Organisationen und als Aufsichtsratsmitglied industrieller Werke im Rhein-Main-Gebiet tätig. Mit dem WhK dürfte er schon vor der Jahrhundertwende in Kontakt getreten sein. Zwischen 1899 und 1910 wird sein Name regelmäßig im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen genannt.

Ludwig Fuld sprach sich frühzeitig für „das Recht jeder Person über sich ausschließlich verfügen zu können” aus, doch für Magnus Hirschfeld und das WhK dürfte er ein unbequemer Koalitionspartner gewesen sein. In einer Rezension zu Hirschfelds Vom Wesen der Liebe in der Hamburger Zeitschrift Soziale Medizin und Hygiene plädierte Fuld im Herbst 1906 für eine Heraufsetzung des gesetzlichen Schutzalters für männliche wie weibliche Personen, und ein halbes Jahr später behauptete er in derselben Zeitschrift, wenn die Aussichten auf eine Reform des § 175 RStGB mittlerweile ungünstiger geworden seien, sei das auch auf die „maßlosen Übertreibungen zurückzuführen […], in denen sich ein Teil der Homosexuellen und der homosexuellen Literatur erging und ergeht.” Ludwig Fuld wurde am 19. Oktober 1907 in das Obmännerkollegium des WhK gewählt, legte das Amt aber bereits Ende des Jahres wieder nieder. Sein Nachfolger wurde Friedrich Salomo Krauß (1859–1938).

Nachdem Fuld 1920 im Rahmen eines Strafprozesses als Verteidiger dem eingesetzten Untersuchungsrichter mit einer Anzeige gedroht hatte, soll 1933 ein ehrengerichtliches Verfahren gegen ihn eingeleitet worden sein. Er entzog sich der Anklage, indem er sich aus der Anwaltsliste streichen ließ und ins Ausland ging. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft starb Ludwig Fuld am 7. September 1935 im französischen Nizza.

Weiterführende Literatur

Späth, Johannes (2017): Ludwig Fuld (1859–1935). In: Apel, Simon u. a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch des Geistigen Eigentums. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 96-99.

Ausschnitte von Besprechungen Ludwig Fulds in Soziale Medizin und Hygiene (Nr. 9/1906 und Nr. 2/1907) in den Monatsberichten des WhK vom 1.10.1906 (S. 182-183) und 1.4.1907 (S. 64-65).

Gabriel, (Siegfried) Salomon (Buchdruckereibesitzer) geb. 26.11.1859 (Paderborn) – gest. 20.2.1932 (Berlin)

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Salomon Gabriels Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, 2021. Foto: Raimund Wolfert.
(Siegfried) Salomon Gabriel wurde am 26. November 1857 als Sohn des Buchbinders Abraham Adolph Gabriel und dessen Ehefrau Rachel („Rica“) geb. Lobbenberg in Paderborn (Westfalen) geboren. Laut Geburtseintrag führte er nur den Vornamen Salomon. Die Eltern bekannten sich zur mosaischen Religion und hatten 1850 geheiratet. Gabriel hatte mindestens fünf Geschwister, drei Schwestern und zwei Brüder. Er erlernte wie sein Vater das Buchbinderhandwerk und übernahm nach dem Tod des Vaters Anfang 1887 dessen Geschäft. Ende der 1890er Jahre erschienen im Verlag Adolph Gabriel mehrere Foto-Postkarten mit Paderborner Motiven.

Unbekannt ist, warum (Siegfried) Salomon Gabriel im April 1899 gemeinsam mit seiner älteren Schwester Sophie nach Berlin verzog. Mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) muss er relativ früh in Kontakt getreten sein. Zwischen 1903 und 1907 wurde Gabriel im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen bzw. in den Monatsberichten des WhK mehrfach als Beitragszahler genannt. Zum Obmann der Vereinigung wurde er 1907 gewählt. Gleichzeitig übernahm er hier die Funktion des Kassenrevisors.

Ab etwa 1907 betrieb Gabriel, der sich laut Berliner Adressbuch nun des Vornamens Siegfried bediente, eine Buch- und Kunstdruckerei sowie ein Geschäft für Papier und „Kontorutensilien“ in der Alexandrinenstr. 93-94 (Kreuzberg). Er wohnte zunächst in der Gitschiner Str. 95 unweit seines Geschäfts. Ab etwa 1920 war er in der Brandenburgstr. 48 registriert (heute Lobeckstraße). Hier wohnte er offenbar zusammen mit Max Elste, der als Mitinhaber der Druckerei auch sein Geschäftspartner war. Gabriels Tod wurde 1932 durch seinen Neffen, den Werbegrafiker und Kunstmaler Leonhard Fries (1883–1953) angezeigt. Fries‘ Eltern, Isidor Fries und Fanny Gabriel, hatten 1880 in Paderborn geheiratet, wohnten in der Folgezeit aber in Hamburg.

Max Elste führte das Geschäft auch nach dem Tod (Siegfried) Salomon Gabriels bis mindestens 1943 weiter. 1938 zog er nach Charlottenburg (Kaiserdamm 19).

Gedenken

(Siegfried) Salomon Gabriel wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee beigesetzt. Der Grabstein (Feld H1, Reihe 13, Nr. 84485) ist erhalten.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (2003): Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain. Berlin: Bruno Gmünder Verlag, S. 34.

Wolfert, Raimund (2022): Salomon „Siegfried“ Gabriel – Von der Herausforderung, sich „queeren“ Lebensläufen adäquat zu nähern, in: Die Warte. Heimatzeitschrift für die Kreise Paderborn und Höxter, Nr. 193 (Ostern 2022), S. 14-15.

Gaulke, Johannes (Schriftsteller) geb. 25.7.1869 (Kolberg, heute Kołobrzeg, Polen) – gest. 17.11.1938 (Berlin)

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Porträtzeichnung Johannes Gaulke. Unbekannter Zeichner, o. J.
Die Angaben zu Johannes Gaulkes Leben und Werken sind nach wie vor sehr bruchstückhaft. Johannes Gaulke wurde 1869 in Kolberg (heute Kołobrzeg, Polen) geboren und war ein Jugendfreund Magnus Hirschfelds. Anfang der 1890er Jahre fuhr er zusammen mit Hirschfeld und einem befreundeten Bildhauer nach New York, wo er die Innenarchitekturfirma Jaeger & Gaulke gründete. Nach dem geschäftlichen Misserfolg kehrte er nach Berlin zurück und wurde als Schriftsteller und Übersetzer tätig.

Gaulke arbeitete von 1900 bis 1902 als Redakteur des Magazins für Litteratur und war 1901 der erste deutschsprachige Übersetzer von Oscar Wildes Dorian Gray. 1906 wurde er als „bekannter Essayist“ in dem biobibliografischen Standardwerk Führer durch die moderne Literatur von Hanns Heinz Ewers genannt, und ab 1909 gab er drei Bücher unter dem Reihentitel „Kultur- und Menschheitsdokumente“ heraus: Die ästhetische Kultur des Kapitalismus und Im Zwischendeck. Ein Kulturbild aus dem Auswandererleben von Gaulke selbst sowie Sexuelle Jugenderziehung. Briefe an eine Großmutter von Leo Berg.

In seinen Schriften zur Homosexualität bediente sich Gaulke auch des Pseudonyms „Ludwig E. West“. Ferdinand Karsch-Haack (1853–1936) war der erste, der annahm, „West“ und Gaulke seien ein und derselbe Autor. Neuere Forschungen untermauern diese Annahme, und heute kann etwa Gaulkes Aufsatz „Das homosexuelle Problem“ von 1901 als Vorentwurf zu „Wests“ Buch Homosexuelle Probleme von 1903 gelten.

Johannes Gaulke gehörte zu den Erstunterzeichnern der im Dezember 1897 an den Reichstag gerichteten Petition des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gegen den § 175 RStGB. Er veröffentlichte bereits um 1900 in den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen und war seit 1907 Obmann im WhK. 1918 war er der Verfasser eines Beitrags unter dem Titel „Jugenderinnerungen“, der aus Anlass des 50. Geburtstags von Magnus Hirschfeld entstand. Gaulke veröffentlichte auch in der von Adolf Brand (1874–1945) herausgegebenen Zeitschrift Der Eigene, so etwa die Beiträge „Die Homoerotik in der Weltliteratur“ (1903) und „Erotik und Patriotismus“ (1927).

Johannes Gaulke war seit 1910 mit Marie Preiss (1875–nach 1938) verheiratet. Erich Mühsam (1878–1934) beschrieb Gaulke in seinen „Unpolitischen Erinnerungen“ Namen und Menschen, die zwischen 1927 und 1929 entstanden, als „alten Freund“ und „Stirnerianer“.

Schriften (Auswahl)

Gaulke, Johannes (1901): Das homosexuelle Problem, in: Stimmen der Gegenwart, Nr. 12, S. 344-349.

[unter dem Pseudonym] West, Ludwig E. (1903): Homosexuelle Probleme. Im Lichte der neuesten Forschung allgemeinverständlich dargestellt. Berlin: Carl Messer & Co.

Gaulke, Johannes (1918): Jugenderinnerungen. In: Vierteljahreshefte des Wissenschaftlich-humanitären Komitees während der Kriegszeit (Jg. 18), Heft 2-3, S. 13–16.

Weiterführende Literatur

Bauer, J. Edgar (2003): Geschlechtliche Einzigkeit. Zum geistesgeschichtlichen Konnex eines sexualkritischen Gedankens, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte, Nr. 34, S. 22-36.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 382-383.

Georg, Wilhelm (Wäschereibesitzer)

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Die Lebensdaten und alle weiteren Angaben zu Wilhelm Georg fehlen. Georg wurde 1920 in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. In den Unterlagen der Organisation wurde er als „Wäschereibesitzer” geführt.

Goetting, Otto (Rittmeister) geb. ca. 1873 (Ort nicht belegt) – gest. nach 1933 (Ort nicht belegt)

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Über die Lebensumstände und den Lebensweg Otto Goettings ist kaum etwas bekannt. Goetting dürfte um 1873 geboren worden sein, unbekannt ist aber, wo. Spätestens ab 1914 lebte er in Berlin. In diesem Jahr wurde er ins Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt und wurde in den Papieren der Organisation als Oberleutnant geführt. Später trug er die Bezeichnung Rittmeister a.D. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt wurde er zum Kassierer des WhK ernannt. Goetting galt als Musikliebhaber.

Otto Goetting war ab 1927 Mitglied der NSDAP und galt Zeitgenossen gegenüber vorübergehend gleichzeitig als Joseph Goebbels‘ „Vertrauter und rechte Hand“ und als „rechte Hand von Herrn Sanitätsrat Dr. Magnus Hirschfeld“. Offenbar bemühte sich Goetting aber stets, seine Weggefährten in der NSDAP nichts von seinem Engagement im WhK wissen zu lassen. 1928 kam es dann zu einem Skandal um sexuelle Vergehen Goettings, in dessen Zuge er als „schwuler Nazi“ geoutet wurde.

Das Aufsehen, das die Vorgänge erregten, führte dazu, dass Goetting aus der NSDAP austrat – aber nur, um den Ruf der Partei vor Schaden zu bewahren. 1930 bat er um die Wiederaufnahme in die NSDAP, die ihm auch gewährt wurde.

Weiterführende Literatur

Steakley, James (2015): „Die Idee Adolf Hitlers ist und wird mir stets Evangelium sein“. Auf Spurensuche zu dem ‚schwulen Nazi‘ Otto Goetting, in: Mildenberger, Florian (Hrsg.): Die andere Fakultät. Theorie, Geschichte, Gesellschaft. Hamburg: Männerschwarm Verlag, S. 148-167.

Greul, Kaspar (Rechtsanwalt)

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Die Lebensdaten Kaspar Greuls haben sich noch nicht ermitteln lassen. Ebenso fehlen so gut wie alle weiteren Angaben zu seinem Lebensweg und seiner beruflichen Tätigkeit. Um 1900 war Greul Gerichtsassessor zunächst in Lüdenscheid und dann in Schwerte, und in dieser Zeit dürfte er auch geheiratet haben. Anfang 1899 hatte er sich mit Alma Rahmede verlobt, zwei Jahre später wurde dem Paar eine Tochter geboren (laut Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 18.3.1899 und 2.3.1901).

In den Berliner Adressbüchern wird Greul erstmals 1910 als Rechtsanwalt beim Landgericht I genannt. Zu dem Zeitpunkt wohnte er in der Steglitzer Belfortstraße 33. Ebenfalls 1910 wurde er Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), aber schon 1911 trat er aus dem Obmännerkollegium zurück. Sein Nachfolger wurde der Kaufmann Eugen Kunicke (1852–1933). Die Ehefrau verstarb am 25. März 1912. Spätestens 1915 dürfte Kaspar Greul in die Albrechtstraße 11 umgezogen sein, als Rechtsanwalt zugelassen war er jetzt aber beim Landgericht II. Möglicherweise ist Kaspar Greul bereits um 1917 verstorben oder aus Berlin verzogen, in den Folgejahren wird sein Name im Berliner Adressbuch nicht mehr aufgeführt.

Es gab 1930 einen Kaspar Greul, Landrichter a.D., in Heidelberg; 1935 wurde er im dortigen Adressbuch als „Privatier” geführt.

Gude, Walter (Dr. med., Arzt) geb. 2.2.1872 (Ferndorf, Westfalen) – gest. nach 1935 (Ort nicht belegt)

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[Heinrich Wilhelm] Walter Gude wurde 1872 als Sohn des Hüttendirektors Albert Gude (1840–1875) und dessen Ehefrau Johanna geb. Nottebohm (1846–1915) im westfälischen Ferndorf, heute ein Stadtteil von Kreuztal, geboren. Die Eltern waren evangelisch. Walter Gude hatte drei Geschwister, die zwischen 1869 und 1875 geboren wurden. Den ersten Schulunterricht erhielt er nach dem frühen Tod des Vaters in der Elementarschule in Haßlinghausen bei Wuppertal. Nachdem seine Mutter in zweiter Ehe den Geheimen Bergrat Emil Krabler (1839–1909) geheiratet hatte, besuchte er das Gymnasium zunächst in Essen, dann in Burgsteinfurt. Hier erlangte er das Reifezeugnis 1894.

Walter Gude studierte Medizin in Greifswald, Leipzig und München und legte im Sommer 1898 das Tentamen medicum und dann das Examen rigorosum ab. Seine Dissertation unter dem Titel „Über ein retroperitoneales Teratom“ verteidigte er am 30. September 1898 an der Kgl. Universität Greifswald. Die Druckfassung widmete er seinem „lieben Onkel, Herrn Sanitätsrat Dr. Pielsticker in Verehrung“. Theodor Pielsticker (1842–1900) machte sich zu seinen Lebzeiten in seiner Heimatgemeinde Altenessen insbesondere durch seine wohltätige Arbeit für Arme und Bedrängte verdient. Sein Grab ist heute ein Ehrengrab der Stadt Essen.

Über den beruflichen Werdegang und die privaten Lebensumstände Walter Gudes liegen nur wenige Angaben vor. Im Spätherbst 1906 bezog Gude eine Wohnung in der Knappenberger Straße 45 in Dortmund, um als stellvertretender Oberarzt des Knappschaftsvereins in Bochum zu fungieren. Im Reichs-Medizinalkalender von 1912 ist er in Isselburg (Kr. Rees) im Regierungsbezirk Düsseldorf verzeichnet, ab 1914 in Berlin. Hier wohnte er zunächst in der Prinz-Albert-Straße 24 in Berlin-Lichtenberg und ab etwa 1926 in der Kietzer Straße 4 in Berlin-Köpenick. Das Berliner Adressbuch kennt ihn noch 1935 in der Schloßstraße 13 in Köpenick. Danach ist er nicht mehr verzeichnet.

Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen wurde Walter Gude zwischen 1913 und 1921 regelmäßig genannt. Als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1914 und 1920 geführt.

Schriften (Auswahl)

Gude, Walter (1898): Über ein retroperitoneales Teratom. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe. Greifswald: F. W. Kunike.

Harter jun., Rudolf (Mühlenbesitzer) geb. 11.3.1873 (Graz, Österreich) – gest. 21.5.1914 (Graz, Österreich)

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Dr. Rudolf Harter war Jurist und ein Sohn des Grazer Müllermeisters Rudolf Harter, der am 20. Dezember 1908 verstarb. Rudolf Harter (Vater) war von 1879 bis 1892 Gemeinderat in Graz sowie Mitgründer und Hauptmann der städtischen Freiwilligen Feuerwehr gewesen. Noch heute erinnert in Graz ein Gedenkstein an ihn. Dr. Rudolf Harter (Sohn) hatte einen Bruder und zwei Schwestern.

Wann und wo Dr. Rudolf Harter seinen Doktortitel abgelegt hat, ist nicht bekannt. In den Grazer Adressbüchern war er ab 1904 mit einem eigenen Eintrag vertreten. Demnach war er als „Disponent” tätig. Nach dem Tod seines Vaters wurde er neben seinem Bruder, dem Ingenieur Ernst Harter, Mitbesitzer der Schwitzermühle (Körösistraße 17).

Rudolf Harter galt als sehr vermögend. Zeitungsberichten zufolge soll er längere Zeit „gemütskrank” gewesen sein und an Depressionen gelitten haben. Rudolf Harter nahm sich 1914 im Alter von 41 Jahren das Leben. Noch am selben Abend hatte er zusammen mit seiner Mutter in Graz eine Theatervorstellung besucht. Er sei da schon ganz wortkarg und wie geistesabwesend gewesen.

In seinem Testament setzte Dr. Rudolf Harter seine beiden Schwestern als Universalerbinnen ein. In einer letztwilligen Verfügung bestimmte er aber auch, dass der Vorstand des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) mit einem größeren Geldbetrag bedacht wurde. Dieser Betrag sollte für die Zwecke des WhK aufgebracht werden. Ein weiteres Legat vermachte Harter dem Wiener Obmann des WhK Rudolf Vieröckl jun. (1892–1915). Aus einer Erklärung der beiden Schwestern Rudolf Harters aus dem Jahr 1915 geht hervor, dass sämtliche Legate erfüllt wurden.

Es ist nicht belegt, unter welchem Datum Rudolf Harter zum Obmann des WhK gewählt wurde.

Weiterführende Literatur

Selbstmord eines Grazer Großindustriellen. In: Mährisches Tagblatt, 22.5.1914, S. 6.

Plötzlicher Tod des Mühlenbesitzers Dr. Harter. In: Grazer Volksblatt, 22.5.1914, S. 4.

Hauptstein, Friedrich (Verwaltungsleiter) geb. 20.4.1892 (Spremberg) – gest. 29.10.1947 (Berlin)

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Friedrich Hauptstein war der Verwaltungsleiter des Instituts für Sexualwissenschaft. Er hatte sein Büro im Hochparterre des Instituts mit Blick auf den Hof, und ein privates Zimmer im dritten Stock neben den für die Gäste vorgesehenen Räumen. Im Berliner Adressbuch ist er als Bewohner des Instituts von 1925 bis 1933 nachgewiesen. Schon 1921 wird er aber als eines der Vorstandsmitglieder der Stiftung (für den Fall von Hirschfelds Verhinderung) genannt. Ende 1929 war er kurzfristig Mitglied im Vorstand des WhK.

Hauptstein wird nicht nur in den Erinnerungen von Adelheid Schulz (1909–2008), sondern auch in der Korrespondenz der Firma Titus immer als „Dr. Hauptstein“ tituliert, hat diese Bezeichnung aber in seiner Korrespondenz selbst nicht benutzt. Friedrich Hauptstein war für alle organisatorischen Belange des Instituts zuständig, und er fungierte als Ansprechpartner in wirtschaftlichen Dingen. Er teilte der Köchin ihr Wirtschaftsgeld zu und nahm die Aufteilung der Einnahmen aus den Lizenzen für Testifortan und die Titus-Perlen vor. Hirschfeld hielt lange Zeit große Stücke auf Friedrich Hauptstein, wie sich seinen Aufzeichnungen im Testament. Heft II entnehmen lässt. Umso größer war die Enttäuschung, als er 1933 feststellen musste, dass sein Vertrauen auf Hauptsteins Zuverlässigkeit wohl etwas zu groß gewesen war.

Friedrich Hauptstein gehörte wie sein Freund, der Heilgehilfe Ewald Lausch, 1933 zu den Unterzeichnern der sog. Ergebenheitsadresse an Hermann Göring. Nach der Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft führte er mit seiner Mutter ein Zigarrengeschäft in Köpenick. Hauptstein wohnte im gleichen Haus wie seine Mutter, die Pensionärin Auguste Hauptstein in Köpenick, Mittelheide 58. Das Tabakwarengeschäft befand sich 1935 in der Wendenschloßstr. 209 und von 1940 bis 1943 in der Nr. 123. Im gleichen Gebäude führte Ewald Lausch zeitweilig ein Schreibwarengeschäft, er wird aber auch gemeinsam mit Hauptstein für das Tabakgeschäft genannt.

Nach 1945 soll Friedrich Hauptstein als Referent für den Kulturbund tätig gewesen sein. Er starb an den Folgen einer Lungentuberkulose. Sein Tod wurde von Ewald Lausch angezeigt.

Weiterführende Literatur

Dose, Ralf (2021): Haus-, medizinisches und Verwaltungspersonal des Instituts für Sexualwissenschaft, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 67, S. 9-32, hier vor allem S. 22-23.

Heimann, Norbert (Kunsthistoriker)

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Zum Lebensweg und zur Identität Norbert Heimanns liegen keine verwertbaren Angaben vor. Heimann wurde 1914 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. Er wurde als Kunsthistoriker bezeichnet, doch ist nicht bekannt, in welchem Ort er damals lebte.

Helmbold, Friedrich (Dr. med., Gynäkologe) geb. 26.9.1869 (Mühlhausen, Thüringen) – gest. 24.11.1932 (Berlin)

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Friedrich (Christoph Gottfried) Helmbold stammte gebürtig aus Mühlhausen in Thüringen. Er wurde 1894 als Arzt approbiert und wirkte ab 1900 als Oberarzt im Infanterie-Regiment 83. Als solcher wurde er an die Wilhelms-Heilanstalt in Wiesbaden abkommandiert. Helmbold war später Stabsarzt an der Kaiser-Wilhelm-Akademie und Assistent der Frauenklinik der Berliner Charité. Spätestens 1910 wurde er zum Stabsarzt im 1. Garde-Feld-Artillerie-Regiment ernannt, und zwei Jahre später wurde ihm als Oberstabsarzt a.D. der Königliche Kronenorden dritter Klasse verliehen.

Friedrich Helmbold war seit 1906 mit Marie Margarethe Dobritz verheiratet und praktizierte nach dem Ersten Weltkrieg als Gynäkologe in Berlin. Dabei unterhielt er eine Praxis an der Potsdamer Straße 1. Anfang der 1930er Jahre ist er in den Berliner Adressbüchern mit der Anschrift Lindenstraße 20 in Berlin-Steglitz verzeichnet. Offenbar handelte es sich hierbei um seine letzte Wohnanschrift.

Dr. Friedrich Helmbold wurde 1920 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) erwähnt.

Weiterführende Literatur

Amtliche Nachrichten, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 18.2.1912 (Nr. 41), Erstes Beiblatt.

Heudtlaß, Eugen (Rechtsanwalt) geb. 8.9.1865 (Berlin) – gest. 18.2.1923 (Berlin)

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Eugen [eigentlich Julius Albert Eugenius] Heudtlaß wurde unehelich geboren und erst 1882 legitimiert. Seine Mutter hatte vermutlich kurz zuvor den verwitweten Berliner Hotelier Julius Alexander Heudtlaß, den Besitzer des Hotels St. Petersburg (Unter den Linden 31), geheiratet. Julius Alexander Heudtlaß war in erster Ehe mit Amalie Elisabeth Anna Stipperger (1830–1853) verheiratet gewesen.

Offenbar noch Ende des 19. Jahrhunderts ging Eugen Heudtlaß mit Ottilie Auguste Helene Martha Wohlfromm die Ehe ein. Das Paar hatte zwei Söhne: Werner Heudtlaß (1898–1949) wurde später Grafiker, sein Bruder Willy Heudtlaß (1901–1987) Journalist und Autor.

Eugen Heudtlaß studierte Rechtswissenschaften unter anderem an der Universität in Heidelberg, doch hat sich bislang nicht ermitteln lassen, wann und wo er seine juristische Dissertation vorgelegt hat. Er war ab etwa 1899 als Gerichtsreferendar in Berlin tätig und wohnte in der Kaiserallee 23 in Wilmersdorf (heute Bundesallee). Die Geschäfte liefen offenbar gut für ihn. 1908 zog er mit seiner Rechtsanwaltspraxis nach Berlin-Rixdorf, Bergstraße 161, und um diese Zeit ließ er ein herrschaftliches Familienanwesen in der Zehlendorfer Prinz-Friedrich-Leopold-Straße 43 errichten.

Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen wurde Eugen Heudtlaß zwischen 1904 und 1908 als Beitragszahler genannt. Zum Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1907 gewählt, doch schied er schon wenig später, vermutlich anlässlich der Eulenburg-Prozesse, aus der Organisation aus. Sein Nachfolger wurde am 14. Dezember 1908 Karl Friedrich Jordan.

Der Rechtsanwalt Eugen Heudtlaß ist offenbar nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Geschäftsführer der Spreehof Berliner Handels-GmbH, der im Herbst 1926 verstarb.

Quellen

Biografische Angaben, insbesondere zu Franz Hermann Wilhelm Werner Heudtlaß, auf der von Axster-Heudtlass Art Site.

Berliner Börsenzeitung, 6.7.1909, S. 21.

Berliner Börsenzeitung, 13.9.1926, S. 8.

Hiller, Kurt (Dr. jur., Schriftsteller) geb. 17.8.1885 (Berlin) – gest. 1.10.1972 (Hamburg)

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Kurt Hiller, 1951. Quelle: Archiv der Kurt Hiller-Gesellschaft, Neuss.
Kurt Hiller war 25 Jahre lang einer der markantesten Mitarbeiter Magnus Hirschfelds im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK). Er gehörte der Organisation von 1908 bis zu ihrem von den Nationalsozialisten aufgezwungenen Ende 1933 an. In das Obmännerkollegium des WhK wurde er 1912 gewählt, und in den 1920er Jahren war er auch stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung.

Von 1924 bis 1933 zählte Kurt Hiller ebenfalls zu den aktivsten Autoren der Zeitschrift Die Weltbühne. Seinen sexualpolitischen Standpunkt hatte er bereits 1908 in seiner Abhandlung Das Recht über sich selbst erstmals formuliert, und zwar unter seinem Klarnamen. Nach seiner Verhaftung durch die Gestapo und der Internierung in verschiedenen Konzentrationslagern gelang ihm 1934 mit Hilfe Martin Fiedlers (1870–1946) die Flucht in die Tschechoslowakei, von wo er Anfang 1939 nach England weiterflüchtete.

Nach 1945 war Kurt Hiller als einer der wenigen noch lebenden prominenten Aktivisten und Mitarbeiter Hirschfelds einer der gefragtesten Ansprechpartner von selbsternannten Vertretern der zweiten deutschen Homosexuellenbewegung, die an das Erbe Hirschfelds und des WhK anknüpfen wollten, um eine Liberalisierung der deutschen Strafgesetzgebung zur männlichen Homosexualität zu erreichen. In dieser Zeit stand Hiller in Kontakt etwa mit dem Frankfurter Arzt Hans Giese (1920–1970), mit dem er sich allerdings schon nach kurzer Zeit überwarf, und dem ehemaligen Frankfurter Obmann des WhK Hermann Weber (1882–1955). Hiller lebte bis 1955 in London und ließ sich erst dann wieder in Deutschland nieder.

In den 1960er Jahren bemühte sich Hiller von Hamburg aus um eine Wiederbelebung des WhK, scheiterte aber an den äußeren Umständen wie der inneren Konzeptionalisierung des neuen Vereins. So lehnte er das Agieren der „Homophilen“ vor staatlichen Stellen wie dem Bundesjustizministerium, dem Bundestag oder dem Bundesverfassungsgericht ab und vermied es, seine Petition gegen den Paragraphen 175 StGB von Homosexuellen unterzeichnen zu lassen.

Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches stellte in der von den Nationalsozialisten 1935 verschärften Form jegliche sexuelle oder als sexuell bewertbare Handlung unter Strafe, und er bestand in der Bundesrepublik unverändert fort. Er wurde zwar 1969 und 1973 reformiert, fiel aber im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erst 1994 ganz.

Schriften (Auswahl)

Hiller, Kurt (1922): § 175. Die Schmach des Jahrhunderts! Hannover: Paul Steegemann.

Hiller, Kurt (1948): Persönliches über Magnus Hirschfeld. In: Der Kreis 16 (5), S. 3-6.

Hiller, Kurt (2010): Das Recht über sich selbst. Nachdruck der strafrechtsphilosophischen Studie aus dem Jahre 1908. Mit einleitenden Materialien herausgegeben von Rolf von Bockel. Neumünster: von Bockel Verlag.

Hiller, Kurt (2022): § 175: Die Schmach des Jahrhunderts! In: Harald Lützenkirchen (Hrsg.): Kurt Hiller: § 175: Die Schmach des Jahrhunderts! Nachdruck der Schrift aus dem Jahr 1922 mit einleitenden Hinweisen und ergänzenden Materialien. Neumünster: von Bockel Verlag, S. 37–178.

Weiterführende Literatur

Bockel, Rolf von (Hrsg.) (1990): Kurt Hiller. Ein Leben in Hamburg nach Jahres des Exils. Mit Beiträgen von Wolfgang Beutin, Rolf von Bockel, Martin Klaußner, Hans-Günter Klein, Harald Lützenkirchen. Hamburg: Bormann-von Bockel Verlag edition hamburg.

Bockel, Rolf von (1990): Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (1926–1933). Ein Beitrag zur Geschichte der Friedensbewegung und der Szene linker Intellektueller in der Weimarer Republik. Hamburg: edition Hamburg Bormann-Verlag.

Herzer-Wigglesworth, Manfred (2019): 3 Hiller-Studien (Ulfa von den Steinen, Walter Benjamin, Christian Adolf Isermeyer), in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 53, S. 76–109.

Münzner, Daniel (2015): Kurt Hiller. Der Intellektuelle als Außenseiter. Göttingen: Wallstein.

Wolfert, Raimund (2015): Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (Hirschfeld-Lectures, 8). Göttingen: Wallstein.

Nachlass

Kurt Hillers Nachlass befindet sich im Besitz der Kurt-Hiller-Gesellschaft. Ein Teilnachlass befindet sich im Exilarchiv der Deutschen Bibliothek in Frankfurt a.M.

Gedenken

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Berliner Gedenktafel, Hähnelstraße 9 in Friedenau

Unter seiner früheren Wohnadresse Hähnelstraße 9 erinnert in Berlin-Friedenau seit 1990 eine Berliner Gedenktafel an Kurt Hiller. In Berlin-Schöneberg wurde Ende 2000 auf Initiative des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg ebenfalls ein kleiner Park nach Hiller benannt. Er befindet sich in unmittelbarer Nähe des U-Bahnhofs Kleistpark. Seit November 2021 erinnert hier auch eine Schautafel an das Leben und Werk Hillers.

Die Kurt-Hiller-Gesellschaft wurde 1997 gegründet. Sie veranstaltet regelmäßig Arbeitstagungen zu Hiller, deren Ergebnisse in einer Schriftenreihe vorgelegt werden. Die Tagungsberichte erscheinen im Verlag Rolf von Bockel.

Hirschfeld, Magnus (San.-Rat Dr. med.) geb. 14.5.1868 (Kolberg, heute Kołobrzeg, Polen) – gest. 14.5.1935 (Nizza, Frankreich)

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Magnus Hirschfeld wurde 1868 als Sohn des Arztes Hermann Hirschfeld (1825–1885) und dessen Ehefrau Friederike (geb. Mann, 1836–1905), in Kolberg (heute Kołobrzeg, Polen) geboren und starb 1935 im französischen Exil in Nizza. Von 1896 bis 1930 lebte er in Charlottenburg bzw. Berlin. Magnus Hirschfeld war Arzt, Sexualwissenschaftler und neben dem Betriebssekretär Eduard Oberg (1858–1917), dem Verleger Max Spohr (1850–1905) und dem früheren Offizier Franz Joseph von Bülow (1861–1915) Mitbegründer des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) 1897. Er war Herausgeber der Zeitschrift für Sexualwissenschaft 1908, Mitbegründer der „Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik” 1913, Gründer des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin 1919 und Initiator der Weltliga für Sexualreform 1928.

Magnus Hirschfeld wurde 1907 vom WhK zum „Obmann auf Lebenszeit” gewählt. Der deutsch-amerikanische Schriftsteller und Propagandist George Sylvester Viereck (1884–1963) prägte 1931 die Bezeichnung „Einstein of Sex“ für ihn. Im Zuge seiner Diskreditierung als Jude, Sozialdemokrat und homosexueller Mann durch die Nationalsozialisten geriet Magnus Hirschfeld nach 1933 über Jahrzehnte fast in Vergessenheit. Sein Leben, sein Wirken und seine Leistungen als Pionier der Sexualaufklärung sind seit Anfang der 1980er Jahre wieder verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt.

Tabellarische Lebensdaten

14.5.1868 – Magnus Hirschfeld wird in Kolberg (heute Kołobrzeg, Polen) geboren

1887 – Philologiestudium in Breslau (heute Wrocław, Polen)

1888–92 – Medizinstudium in Straßburg, München, Heidelberg, Berlin

1892 – Promotion in Berlin Über Erkrankungen des Nervensystems im Gefolge der lnfluenza

1894 – Eröffnung einer naturheilkundlichen Arztpraxis in Magdeburg

1896 – Arztpraxis in Berlin/Charlottenburg, Redakteur der Wochenschrift Der Hausdoktor (bis 1900)

1897 – Gründung des WhK (bis 1929 Vorsitzender), erste Petition gegen den § 175 RStGB an den Deutschen Reichstag

1899–1923 – Herausgabe des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen

1903/04 – erste statistische Befragungen zur sexuellen Orientierung bei Studenten und Metallarbeitern

1908 – Herausgeber der Zeitschrift für Sexualwissenschaft

1910 – „Spezialarzt für nervöse und seelische Leiden” in Berlin

1912 – nachhaltige Begegnung mit Ernst Haeckel

1913 – Mitbegründer der Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik in Berlin

1914 – Veröffentlichung Die Homosexualität des Mannes und des Weibes

1914–18 – Kriegsteilnahme als Lazarett-Arzt

1918 – Gründung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung

1919 – Eröffnung des Instituts für Sexualwissenschaft

1919 – beratende Mitarbeit am Homosexuellenfilm Richard Oswalds Anders als die Anderen

1920 – schwere Verletzungen nach einem Attentat „völkischer Rowdies” auf Hirschfeld nach einem Vortrag in München

1926 – Reise auf Einladung der Regierung der UdSSR nach Moskau und Leningrad

1931 – Weltreise durch Nordamerika, Asien und den Orient

1932 – Rückkehr nach Wien, Beginn seines Exils in Ascona/Schweiz

1933 – Schließung und Zerstörung seines Berliner Instituts, Versuch einer Institutsneugründung in Paris

1934 – Übersiedlung nach Nizza

14.5.1935 – Magnus Hirschfeld stirbt an seinem 67. Geburtstag in Nizza

Weiterführende Literatur

Dose, Ralf (2005): Magnus Hirschfeld. Deutscher – Jude – Weltbürger (Jüdische Miniaturen, 15). Teetz: Hentrich & Hentrich.

Ralf Dose (2014): Magnus Hirschfeld. The Origins of the Gay Liberation Movement. Translated by Edward Willis. New York: Monthly Review Press.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 547-549.

Herrn, Rainer (2009): Magnus Hirschfeld, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau. Hrsg.: Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt am Main, New York: Campus, S. 284-294.

Herzer, Manfred (2017): Magnus Hirschfeld und seine Zeit. Berlin: De Gruyter Oldenbourg.

Hoechstetter, Sophie (Schriftstellerin) geb. 15.8.1873 (Pappenheim, Franken) – gest. 4.4.1943 (Künstlerkolonie Dachau)

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Sophie Hoechstetter, um 1902. Aus: Timon Schroeter „Für unser Heim", nach S.128.
Sophie Walburga Margarethe Hoechstetter war eine sehr produktive und zu ihrer Zeit beliebte Schriftstellerin und Malerin. Sie hat fast fünfzig Romane geschrieben, von denen viele in ihrer fränkischen Heimat spielen. In ihrer Geburtsstadt Pappenheim wurde Sophie Hoechstetter 1933 zur Ehrenbürgerin ernannt, und hier wurde auch eine Straße nach ihr benannt, obwohl Hoechstetter ihr Lesbischsein nicht direkt versteckte und in der Öffentlichkeit bewusst und provozierend „männlich“ auftrat – mit kurzgeschnittenem Haar, einer Bluse mit hochstehendem, steifem Kragen und einer umgebundenen Krawatte.

Nach ihrer Freundin Toni Schwabe wurde Sophie Hoechstetter wohl 1916 zur fünften „Obfrau“ im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) ernannt. Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen machte sie aber schon 1908 mit einem literarischen Portrait der lesbischen Königin Christine von Schweden auf sich aufmerksam. Später schrieb sie auch Biografien über andere prominente und einflussreiche Frauen wie die Schriftstellerin Frieda von Bülow und Königin Luise von Preußen.

Sophie Hoechstetter wohnte vornehmlich in Dornburg an der Saale und in Berlin. Nach ihrer Trennung von Toni Schwabe führte sie eine Lebenspartnerschaft mit Carola von Crailsheim (1895–1982), die ebenfalls wie sie Schriftstellerin war. Ihren Lebensabend verbrachte Sophie Hoechstetter zusammen mit ihrer zweiten Lebensgefährtin im Haus eines befreundeten schwedisch-deutschen Künstlerehepaares namens Petersen in der Künstlerkolonie Dachau bei München. Die Verwaltung dieses Hauses hatte Carola von Crailsheim übernommen, nachdem das Ehepaar Petersen 1937 nach Schweden zurückgekehrt war.

Sophie Hoechstetter betrieb in ihrer Heimatstadt Pappenheim ebenfalls eine Versandbuchhandlung, die ihre Lebensgefährtin Carola von Crailsheim ab 1943 weiterführte.

Schriften (Auswahl)

Hoechstetter, Sophie (1908): Christine, Königin von Schweden in ihrer Jugend, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 9), S. 169-190.

Hoechstetter, Sophie [1925]: Lord Byrons Jugendtraum. Novelle. Mit einem Nachwort von Hugo Marcus. Leipzig: Philipp Reclam jun.

Hoechstetter, Sophie (1928): Magnus Hirschfeld 60 Jahre. In: Neue Freundschaft (Jg. 1), Nr. 19, S. 3 [ebenfalls in: Frauenliebe (Jg. 3), Nr. 20, S. 3].

Weiterführende Literatur

Kokula, Ilse (1989): Sophie Höchstetter (1873–1943), in: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Nr. 14, S. 16-21.

Kokula, Ilse (1993): Sophie Hoechstetter (1873 bis 1943), in: Frau ohne Herz. Feministische Lesbenzeitschrift, S. 14-17, online hier.

Maierhof, Gudrun (1991): „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit!”. Friedrich Nietzsches Einfluß auf die Frauen der Jahrhundertwende. In: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Nr. 20, S. 18-20.

Marcus, Hugo (1926): Sophie Hoechstetter, in: Reclams Universum. Moderne illustrierte Wochenschrift (Jg. 42), Nr. 1, S. 253-254.

Marti, Madeleine (o.J.): Eintrag zu Sophie Hoechstetter auf FemBio [online].

Prusakow, Renate (2007): Sophie Hoechstetter. Dichterin & Malerin, in: Historisches Blatt. Heimat- und Geschichtsverein Pappenheim und Ortsteile (online).

Hoefft, Carl Theodor (Dr. phil., Privatlehrer) geb. 13.6.1855 (Hamburg) – gest. 5.6.1927 (Hamburg)

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Über den Lebensweg Carl Theodor Hoeffts liegen heute nur wenige Angaben vor. Hoefft wurde 1855 als Sohn des Wundarztes Carl Moritz Hoefft und dessen Ehefrau Johanna Willhelmina (geb. Ruge) in Hamburg geboren. 1891 legte er an der Universität in Straßburg eine Inauguraldissertation zu einem literaturhistorischen Thema vor.

Carl Theodor Hoefft war seit 1901 Leiter des Hamburger Subkomitees des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), das offenbar nur kurz existierte. Um diese Zeit wohnte er unter der Anschrift Börsenbrücke 7. Obwohl Hoefft in Hamburg keine nennenswerten organisatorischen Tätigkeiten entwickelte, blieb er dem WhK bis an sein Lebensende verbunden. Hoefft wurde 1921 zum „Obmann auf Lebenszeit” ernannt, und im Jahr darauf wurde er in einem Bericht des WhK zu den „Ehrenmitgliedern” der Organisation gezählt.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt gründete Carl Theodor Hoefft den „Dr. phil. C. Th. Hoefft-Verein für Kunst und Wissenschaft e.V.”, der nach eigenem Anspruch der „Ausbildung der Jugend auf literarischem und künstlerischem Gebiet” diente. Dieser Verein bestand nachweislich noch 1927, dem Sterbejahr Hoeffts. Carl Theodor Hoefft verbrachte die letzten Monate seines Lebens in einem Altersheim in Hamburg-Hamm. Die Trauerfeier für ihn fand im Krematorium zu Hamburg-Ohlsdorf statt.

Aus Hoeffts Besitz stammt ein Magnus Hirschfeld nach Hoeffts Tod übergebenes Konvolut mit Unterlagen, das später in das Kinsey-Institut in Bloomington, Indiana, gelangte und als „Hirschfeld Scrapbook” bekannt wurde. Das „Scrapbook” wurde erstmals von Friedemann Pfäfflin genauer untersucht.

Weiterführende Literatur

Pfäfflin, Friedemann und Manfred Herzer (1998): Monatsberichte des Wissenschaftlich-humanitären Komitees 1902 und 1903, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 26, S. 2-21.

Imboden, Karl (Dr. med., Psychiater) geb. 14.2.1880 (Unterseen, Kanton Bern, Schweiz) – gest. 7.1.1941 (St. Gallen, Schweiz)

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Karl Friedrich Imboden wurde am 14. Februar 1880 im Schweizerischen Unterseen geboren. Der Vater war Gerichtspräsident im nahegelegenen Interlaken. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte Karl Imboden Medizin in Genf, Bern und Wien. Das Staatsexamen legte er 1904 ab, und vier Jahre später promovierte er sich mit einer Arbeit zu Fragen der Beziehung zwischen „manisch-depressivem Irresein“ und Hysterie.

Karl Imboden arbeitete zunächst in der psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern, dann in der Heilanstalt Münsterlingen (Kanton Thurgau). Nachdem er mit der psychoanalytischen Bewegung in Berührung gekommen war, ließ er sich in Neurologie weiterbilden und wurde Assistenzarzt am Kantonspital in St. Gallen.

Durch bemerkenswerte Behandlungserfolge bei seelisch Erkrankten ermutigt und bestätigt, blieb Karl Imboden zeit seines Lebens ein begeisterter Anhänger der Psychotherapie. Er ließ sich 1912 als Nervenarzt in St. Gallen nieder. Als Gerichtsexperte bemühte er sich in etlichen Fällen um eine milde Beurteilung von Angeklagten, die psychisch erkrankt waren, und in seinen Veröffentlichungen setzte er sich mit Fragen der Psychologie und der Religion auseinander.

Karl Imboden war ab 1913 mit der Ärztin Dr. Frida Imboden-Kaiser (1877–1962) verheiratet und wurde Vater dreier Kinder. Die Ehe wurde allerdings 1928 tief zerrüttet geschieden. In ihrer 1958 erschienenen Autobiographie erwähnte Frida Imboden-Kaiser ihren geschiedenen Mann, ihre Ehe und ihre Kinder so gut wie gar nicht.

Karl Imboden starb am 7. Januar 1941 in St. Gallen. Als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1907 genannt.

Schriften (Auswahl)

Imboden, Karl (1914): Gedanken über Erziehung, Beruf und Ehe. Frauenfeld: Huber.

Imboden, Karl (1916): Das Werden der Persönlichkeit im Kinde (Schriften der Union für Frauenbestrebungen in Sankt Gallen, 2). Sankt Gallen: Schneider.

Imboden, Karl (1917): Religion und ärztliches Wissen. Nach einem Vortrage (Schweizerische populär-wissenschaftliche Vorträge und Abhandlungen, 1). Sankt Gallen: Schneider.

Weiterführende Literatur

Löpfe, Adolf (1941): [Nachruf auf Dr. Karl Imboden], in: St. Galler Tagblatt, 8.1.1941 [Nachdruck in: Weidenmann, Jakobus (1941): Dr. med. Karl Imboden, geboren am 14. Februar 1880 in Unterseen, gestorben am 7. Januar 1941 in St. Gallen. Ansprache bei der Beerdigung am 10. Januar 1941. Zürich: Steno-Verlag].

Ives, George Cecil (Privatgelehrter) geb. 1.10.1867 (Frankfurt/Main) – gest. 4.6.1950 (Hampstead, Middlesex, Großbritannien)

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George Cecil Ives wurde am 1. Oktober 1867 als unehelicher Sohn eines britischen Offiziers in Frankfurt/Main geboren. Seine Mutter Jane Violet Tyler heiratete später Karl von Malortie, einen Dresdner Baron. Ives wuchs bei seiner Großmutter väterlicherseits auf und verbrachte seine Kindheit überwiegend in England und im Süden Frankreichs. Seine Mutter traf er nur zweimal, zu seinem Vater hatte er ein angespanntes Verhältnis.

George Cecil Ives besuchte das Magdalene College in Cambridge und zog nach dem Abschluss seiner Universitätsausbildung nach London. Er konnte fortan von einem erheblichen privaten Vermögen leben und sich in seiner Freizeit ungestört Fragen der Strafrechtsreform und insbesondere des Homosexuellenstrafrechts widmen. 1892 lernte er Oscar Wilde (1854–1900) kennen, fünf Jahre später gründete er den „Order of the Chaeronea“, die erste Selbsthilfeorganisation in Großbritannien für Homosexuelle.

Dem „Order of the Chaeronea“ gehörten mehrere britische Schriftsteller wie auch andere Mitglieder außerhalb Großbritanniens an, so dass von einer internationalen Vereinigung gesprochen werden kann. Ein ausgeklügeltes System von Siegeln, Codes und Passwörtern, sowie die tiefe Verschwiegenheit Ives‘ und der anderen Mitglieder sorgten jedoch dafür, dass heute über die Gruppe sehr wenig bekannt ist. Sie scheint bis in die 1940er Jahre existiert zu haben. Intern sicherte sie denjenigen ihrer Mitglieder, die von antihomosexuellen Gesetzen in Mitleidenschaft gezogen worden waren, Unterstützung zu, und extern leistete sie Lobbyarbeit.

Neben Oscar Wilde zählte George Cecil Ives insbesondere den romantischen Dichter und Sozialisten Edward Carpenter (1844–1929) zu seinen Freunden. Darüber hinaus kannte er die Sexualwissenschaftler Henry Havelock Ellis (1859–1939) und Magnus Hirschfeld gut, und zusammen mit Carpenter, Havelock Ellis, Hirschfeld und anderen gründete er 1914 die „British Society for the Study of Sex Psychology“ (ab 1931 „British Sexological Society“). Sie beschäftigte sich in Form von Vorträgen und Publikationen mit sämtlichen Fragen der Sexualität von der Abtreibung, der Geburtenkontrolle, den Geschlechtskrankheiten und der Prostitution bis hin zur Sterilisation.

George Cecil Ives sprach sich 1894 im Rahmen eines Zeitungsartikels erstmals öffentlich für eine Reform des Homosexuellenstrafrechts aus. Wohl auch weil er für diesen Artikel heftige Kritik erntete, hielt er sich in seinen späteren Veröffentlichungen ein wenig bedeckter, doch sprach er in allen seinen Hauptwerken das Thema Homosexualität und Strafrecht an und drängte auf entsprechende Veränderungen auf dem Gebiet der Justiz. Zudem schrieb er Leserbriefe an die Presse (unter dem Pseudonym Tab Can) und sammelte Zeitungs- und Zeitschriftenartikel für insgesamt 45 „Fallbücher“ über den Zeitraum 1893 bis 1950.

Bemerkenswert ist das Tagebuch, das George Cecil Ives hinterlassen hat. Es umfasst über 120 Bände und umspannt den Zeitraum von 1887 bis 1949. Es ist nicht nur ein einzigartiges Zeugnis über Ives‘ „Netzwerk“ (Edward Carpenter, Radclyffe Hall, George Bernhard Shaw, Oscar Wilde und viele andere), sondern zeigt auch, wie sein Autor als Angehöriger der britischen Oberschicht sein Leben im Spannungsfeld zwischen seinem homosexuellen Begehren und dem sozialen Stigma, das dieses bedeutete, bewältigte.

Nachdem George Cecil Ives 1901 in London ein Haus gekauft hatte, lebte er dort mit etlichen Männern und Frauen aus einfacheren Verhältnissen zusammen, die er finanziell unterstützte und als seine „Familie“ bezeichnete. Dabei dürften die Beziehungen Ives‘ zu einzelnen Männern in dieser „Adoptivfamilie“ zunächst sexueller oder erotischer Natur gewesen sein. Sie scheinen aber schnell platonisch geworden zu sein.

George Cecil Ives starb am 4. Juni 1950 im Alter von 82 Jahren. Als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1907, 1910 und 1920 genannt.

Schriften (Auswahl)

Ives, George Cecil (1980): Man bites Man. The Scrapbook of an Edwardian Eccentric. London: Jay Landesman.

Nachlass

George Cecil Ives’ Nachlass – darunter die umfangreiche Sammlung seiner Tagebücher – befindet sich im Harry Ransom Center der University of Texas, eine detaillierte Bestandsbescheibung ist online zugänglich.

Weiterführende Literatur

Cook, Matt (2009): George Ives. Queer Lives and the Family (Radio-Podcast mit Transkription.)

Cook, Matt (o.J.): Ives, George Cecil (1867–1950), in: Oxford Dictionary of National Biography. Der Eintrag erfordert eine kostenpflichtige Anmeldung.

Wolfert, Raimund (2022): Ives, George Cecil. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), https://frankfurter-personenlexikon.de/node/13076.

Jäckel [bzw. Jaeckel], August gest. 1929/30 (München?)

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Die Lebensdaten und alle weiteren Angaben zu August Jäckel fehlen noch. In einem Nachruf auf ihn in den Mitteilungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees heißt es um den Jahreswechsel 1929/30, Jäckel sei „Vertrauensmann und Obmann unseres Komitees auf dem schwierigsten Posten: in München” gewesen: „Wer je mit diesem feinen, klugen, gütigen Menschen in Verbindung kam, hat seinen Rat und seine Hilfe nicht hoch genug einschätzen können. Allen Schikanen der Polizei zum Trotz hat er sich der Verfolgten angenommen, ihnen mit Rat und Tat geholfen. Immer hatte er ein offenes Ohr für alle Bedrängten, half über seine Verhältnisse hinaus, wo er konnte.”

Weiterführende Literatur

Anonym (1929/30): „Nachruf auf August Jaeckel (und Carl Wilhelm Bente)”, in: Mitteilungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees Nr. 26 [als Reprint: Pfäfflin, Friedemann. Hrsg. (1985): Mitteilungen des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees 1926–1933. Faksimile-Nachdruck. Hamburg: C. Bell, S. 243].

Jansen, Wilhelm (Rittergutsbesitzer) geb. 14.4.1866 (Monschau, Eifel) – gest. 8.2.1943 (Hausen)

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Wilhelm Jansen wurde 1866 als Sohn eines Offiziers und Gutsbesitzers in Monschau (Eifel) geboren. Nach einem landwirtschaftlichen Studium in Bonn zog er nach Italien, um dort eine Lehre zu absolvieren, und ließ sich schließlich auf dem Rittergut Friemen bei Waldkappel, unweit von Kassel, in Hessen nieder. Dieses Gut baute er in den folgenden Jahren zu einem zentralen Treffpunkt der „Jugendbewegung“ aus, zum Hohen Meißner waren es von hier nur zehn Kilometer. Jansen wurde 1906 in den Vorstand des Alt-Wandervogel (AWV) gewählt, nachdem er bereits im Jahr zuvor die Leitung des Kreises Thüringen und die Geschäftsstelle Westdeutschland der Vereinigung übernommen hatte.

In den Wintermonaten hielt er sich meist in Berlin auf, wo er in Beziehung zu Magnus Hirschfeld und Hans Blüher (1888–1955) stand. Als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er bereits 1904 genannt.

Als Anhänger der Bewegung für Lebensreform und Freikörperkultur legte Jansen auf dem Gut Friemen ein großes Luft- und Sonnenbad an, außerdem richtete er hier ein modernes Fotolabor ein, in dem er Bilder der jungen „Wandervögel“ entwickelte. Schon bald kam es zu Gerüchten, Jansen unterhalte sexuelle Beziehungen zu den minderjährigen Jungen, und 1908 wurde er von dem Offizier Günther von der Schulenburg (1865–1939) in der Posener Zeitung denunziert, er unterhalte einen „Päderastenclub aus Gymnasiasten“. Infolge des öffentlichen Skandals musste sich Jansen von allen Ehrenämtern im AWV zurückziehen. Er schloss sich dem Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwanderungen (DB) an, der sich zuvor vom AWV abgespalten hatte, wurde nach massiven Protesten aber auch von dieser Gruppierung wieder ausgeschlossen.

Wilhelm Jansen gründete Ende 1910 den Jung-Wandervogel (JWV), der mit einer Unterbrechung in den Jahren 1913–16 bis 1933 existierte. Jansen ließ aus eigenen Mitteln Freiluft- und FKK-Anlagen, etwa am Eichkamp in Berlin-Grunewald und den Ringkampfplatz „Palästra“ in Charlottenburg, anlegen. Gemeinsam mit Hermann Weber (1882–1955) baute er ab 1921 ebenfalls die Frankfurter Ortsgruppe des WhK auf.

Jansen trat am 1. April 1933 in die NSDAP ein, wurde aber im Frühjahr 1938 wegen „Geheimbündelei” wieder aus der Partei ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang soll er auch vier Monate im Gefängnis inhaftiert gewesen sein, die näheren Umstände sind aber nach wie vor unbekannt. Wilhelm Jansen starb im Alter von 77 Jahren im hessischen Hausen, unweit von Waldkappel.

Weiterführende Literatur

Geuter, Ulfried (1994): Homosexualität in der deutschen Jugendbewegung. Jungenfreundschaft und Sexualität im Diskurs von Jugendbewegung, Psychoanalyse und Jugendpsychologie am Beginn des 20. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 42f.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 606-607.

Kühl, Richard (2022): Vertrauensmänner*. Fragmente zur Frühgeschichte des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) in Frankfurt am Main, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 68, S. 13-26.

Ziemer, Gerhard (1969): Nordhessen und die deutsche Jugendbewegung, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte (Jg. 19), S. 337-367.

Jordan, Karl Friedrich (Dr. phil., Studienrat und Gymnasialprofessor) geb. 23.9.1861 (Berlin) – gest. 14.9.1926 (Berlin)

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Der nachstehende Text ist ein Auszug aus einem Text von Jens Dobler, der auf Lesbengeschichte.org publiziert wurde. Es handelt sich um die überarbeitete Fassung eines Abschnitts aus seinem Buch Von anderen Ufern (2003, ebd. S. 37-39).

Ein anderes Bindeglied zwischen dem Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) und der Gemeinschaft der Eigenen (GdE) war Prof. Dr. Karl Friedrich Jordan. Zunächst wohnte er im Berliner Bezirk Mitte, ab 1898 für zehn Jahre in der Madaistraße 3 (heute Erich-Steinfurth-Straße) in Friedrichshain. Von 1909 bis 1913 lebte er in Treptow und ab 1914 bis zu seinem Tod 1926 am Kottbusser Ufer 17 (heute Paul-Lincke-Ufer) in Kreuzberg. Karl Friedrich Jordan wurde 1907, 1910 und 1920 unter dem Pseudonym „Max Katte” als Mitglied des Obmännerkollegiums des WhK genannt.

Jordan wurde 1862 als Sohn eines Beamten in Berlin geboren. Sein Abitur legte er an der Werderschen Oberrealschule ab und studierte dann Naturwissenschaften, mit den Schwerpunkten Physik, Botanik und Mathematik. Er promovierte in Halle über Blütenbiologie. Zwischen 1886 und 1887 leistet er seinen Militärdienst ab. Er war zunächst Oberlehrer, dann Professor an einem Realgymnasium und einer höheren Mädchenschule. 1908 wurde er Privatier und widmete sich seinen schriftstellerischen Tätigkeiten. Er schrieb für die Zeitschriften Naturwissenschaftliche Wochenschrift, Natur, Gäa und Kosmos und veröffentlichte ein Lehrbuch der Physik. Zugleich ist er auch regelmäßiger Autor der Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen, der Zeitschrift für Sexualwissenschaft, Der Eigene von Adolf Brand, von Geschlecht und Gesellschaft von Reitzenstein und der Homosexuellenzeitschrift Die Freundschaft. Außerdem schrieb er Festspiele, hielt Vorträge und schrieb für die Tageszeitung Freie Presse. Vor 1908 trat er in Zusammenhang mit homosexuellen oder sexualwissenschaftlichen Veröffentlichungen unter den Pseudonymen „Max Katte” und „Dr. phil. Arduin” auf. Aber auch seine inoffizielle Lebensgeschichte ist überliefert: Im Jahr 1900 veröffentlichte er im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen von Hirschfeld unter „Max Katte” den Aufsatz: „Aus dem Leben eines Homosexuellen” (JfsZ 2, 1900, S. 295ff). Ausdrücklich bietet er sich mit diesem Aufsatz „(…) als Objekt der Beobachtung oder, um den Mund noch voller zu nehmen der Forschung dar, bitte aber, unbefangen und ohne Vorurteil zu bedenken und zu prüfen, was ich über mich sage.” Katte/Jordans Aufsatz gehört damit zu jener Bekenntnisliteratur, die um die Jahrhundertwende versucht, deutlich zu machen, dass Homosexuelle ebenso normal und vollwertig sind und nicht abartige Wesen, als die sie oft dargestellt wurden. Solch eine Veröffentlichung in jener Zeit setzte einigen Mut voraus: „Fast möcht’ ich, indem ich damit beginne, wieder davon absehen; denn was ich durchlebt und was ich hier schildern will, es ist so eigenartig und so intim, dass ich mich scheue, es der Öffentlichkeit preiszugeben.” Er bekennt, dass er sich nie zu Frauen hingezogen fühlte. Sein Interesse und seine Schwärmerei für gleichaltrige Mitschüler begann mit 8 Jahren und im Alter von 14 Jahren machte er erste gleichgeschlechtliche Erfahrungen mit einem Mitschüler und verliebte sich in diesen. Mit 19 liebte er ihn immer noch, obgleich die Liebe nicht erwidert wurde da „er anderer Natur war als ich”. Jordan berichtet dann ausführlich, dass er lange von zwei Männern erpresst worden war. Er stand in dieser Zeit kurz vor dem Selbstmord, aber er nahm dann vermutlich Kontakt zum WhK auf, denn es wurde ihm dringend geraten, die Erpressung anzuzeigen. Er tat es, und die beiden Erpresser wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Solcherlei Schilderungen waren damals Überlebenshilfen, denn nicht wenige Schwule befanden sich in einer ähnlichen Situation.

Im selben Jahrbuch veröffentliche Jordan unter „Dr. phil. Arduin” einen Aufsatz über die Frauenfrage (JfsZ 2, 1900, S. 211-233). Der Aufsatz ist ein spannendes aber in sich widersprüchliches Dokument über die Ansichten eines homosexuellen Mannes der damaligen Zeit zu diesem Thema. Zunächst referiert er die klassische Frage, ob Frauenemanzipation eine wichtige oder nebensächliche Gesellschaftsfrage sei: Ist die Frauenfrage eine soziale Frage und müsse deswegen Priorität haben, oder geht es primär um die zu verändernden wirtschaftlichen Verhältnisse, die Emanzipation der Frau also sekundär ist? Dann argumentiert er zunächst klassisch antifeministisch: Der Mann sei der Frau körperlich und geistig klar überlegen, er repräsentiere die Kultur, sie die Natur. Schließlich leitet er zu den Homosexuellen über und unterscheidet vier Gruppen:

1. Homosexuelle Männer, die sich als Mann fühlen und deren Liebe sich daher auf Männer mit weiblichem Wesen, vor allem auf Jünglinge und jüngere Männer richtet. 2. Homosexuelle Männer, die die Rolle der Frau annehmen und die deswegen nach vorwiegend männlich entwickelten Männern Verlangen haben. 3. Homosexuelle Frauen, die die Rolle des Mannes annehmen und dem gemäß sehr weibliche Frauen bevorzugen. 4. Homosexuelle Frauen, die sich wahrhaft als Frau fühlen und darum zu männlich angelegten Individuen des weiblichen Geschlechts Neigung haben. Wegen dieser Einteilung kommt Jordan zu der bemerkenswerten Feststellung: „Es handelt sich bei der Frauenfrage um zweierlei, und zwar deshalb, weil der Begriff Frau (ebenso wie der Begriff Mann) kein schlechthin einheitlicher ist.” Damit nun die „männlichen” homosexuellen Frauen ihrer „Natur” gemäß sich entfalten können, sei allen Frauen der Zutritt zum Berufsleben zu ermöglichen und insofern seien die Forderungen der Emanzipationsbewegung völlig berechtigt.

Jordan ist […] Teilnehmer der Halbjahreskonferenz im Hotel Prinz Albrecht im Jahre 1903. 1909 wird er zum beisitzenden Vorstand des WhK gewählt, außerdem wird er Mitglied im so genannten Obmann-Kollegium, das eine Art Berater- und Repräsentationszirkel innerhalb des WhK war. Jordan hielt regelmäßig Vorträge auf WhK-Versammlungen und ab 1919 auch im Institut für Sexualwissenschaft. Seine Themenpalette reichte vom „Geschlechtsleben der Pflanzen” über „Richard Wagner” bis zu „Sadismus-Masochismus”. Besonders beschäftigte er sich mit geistigen und religiösen Fragen im Zusammenhang mit Sexualität. Er kann außerdem als ein wichtiger Unterstützer von Hirschfelds Zwischenstufentheorie gelten. Jordan war ebenfalls Mitglied der Gemeinschaft der Eigenen und vertrat diese ab 1920 im Aktionsausschuss zur Abschaffung des § 175, einem Gremium aller drei Homosexuellenorganisationen der Weimarer Republik. Auch für die GdE hielt er Vorträge und inszenierte Theaterstücke. Am 22. September 1922 veranstaltete das WhK eine Feier zu seinem 60. Geburtstag. Vier Jahre später starb Karl Friedrich Jordan an den Folgen einer nicht bekannten Krankheit.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (2003): Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain
Berlin: bruno gmünder, S. 37, 38, 40, 69 und 89.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 615.

Josephson, Adolf (Dr. med., Arzt) geb. 14.3.1870 (Unna) – gest. 1938 (Managua, Nicaragua)

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Adolf Josephson wurde 1895 in Tübingen promoviert. Wenige Jahre später betrieb er ein „Trinkerasyl” im „Haus Frönspert” bei Sundwig in Westfalen, wo er mit dem Schriftsteller und Aktivisten der Abstinenzbewegung Wilhelm Bode (1862–1922) zusammenarbeitete. Auskünfte erteilte auch ein „Pastor Josephson”, mit dem vermutlich Max Johannes Josephson (1854–1928) gemeint war. Er hatte 1881 im benachbarten Deilinghofen, heute ein Stadtteil von Hemer, den Christlichen Verein Junger Männer (CVJM) Deilinghofen gegründet. Der weitverzweigten Familie Josephson aus dem Raum Unna, die ursprünglich jüdischer Abstammung und erst 1805 zur evangelischen Konfession konvertiert war, entstammten indes bis Anfang bzw. Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts mehrere Pfarrer.

Schon 1904 reiste Adolf Josephson von Cuxhaven über New York nach Nicaragua und arbeitete dort zunächst als Arzt auf einer Kaffeeplantage. Später besaß er selbst eine Kaffee-Finca in Matagalpa, die er 1912 verkaufte, um nach Berlin zurückzukehren. Er blieb hier aber nur zwei Jahre, weil er sich – wie es heißt – in Deutschland nicht wohlfühlte. In dieser Zeit führte ihn der Reichs-Medizinalkalender (1914) unter der Adresse „Berlin W 30 Motzstr. 56 I” und mit dem Hinweis, er spreche Englisch und Spanisch. 1914 kehrte Josephson zurück nach Nicaragua, wo er 1938 unverheiratet starb. Adolf Josephsons genaues Sterbedatum hat sich noch nicht ermitteln lassen.

Adolf Josephson wurde 1913 als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Möglicherweise war er zwischenzeitig mit Natalie Wolff (1875–1941) verheiratet, die als Jüdin im Kiefernwald Rumbula bei Riga (Lettland) ermordet wurde. Der Ehe, die zu einem unbekannten Zeitpunkt geschieden wurde, entstammte ein Sohn, Kurt Josephson.

Schriften (Auswahl)

Josephson, Adolf (1895): Ein Fall von Carcinom des Mediastinums (Med. Fak., Inaug.-Diss.). Tübingen: F. Pietzcker

Weiterführende Literatur

Guttstadt, Albert (1900): Krankenhaus-Lexicon für das Deutsche Reich: Die Anstaltsfürsorge für Kranke und Gebrechliche und die hygienischen Einrichtungen der Städte im Deutschen Reich am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Berlin: Georg Reimer, S. 170.

Houwald, Göetz Freiherr von (1975): Los Alemanes en Nicaragua. Managua: Fondo de Promoción Cultural – Banco de América, S. 272-273.

Kurzbiografie zu Natalie Wolff von Wolfgang Rademacher und Helmut Lölhöffel, auf: Stolpersteine in Berlin.

Kahnert, Hans (Verlagsleiter) geb. 13.5.1893 (Berlin) – gest. nach 12.11.1957 (Berlin?)

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Über Hans (Gustav Adolf) Kahnerts Leben ist nur wenig bekannt. Kahnert war ein Sohn des Berliner Arbeiters Friedrich Hermann Kahnert und dessen Ehefrau Caroline Justine geb. Müller. Et hatte mindestens zwei Geschwister, einen Bruder und eine Schwester.

Nach dem Besuch der Volksschule übte Hans Kahnert verschiedene Bürotätigkeiten aus. 1922 wurde er Leiter im Verlag von Karl Schultz, und um diese Zeit war er auch Vorstandsmitglied im Deutschen Freundschaftsverband (DFV). Als Verlagsleiter bediente er sich des Pseudonyms „Janus“. Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Hans Kahnert am 15. Mai 1922 gewählt. In den Jahren 1923 und 1924 gab er auch die Zeitschrift „für freies Menschentum, gegen Unrecht und Unverstand” Der Hellasbote heraus, in und mit der er gegen den § 175 RStGB ankämpfte.

Wie aus dem in Teilen erhaltenen Briefwechsel zwischen Hans Kahnert und Kurt Hiller (1885–1972) aus den Jahren 1956 und 1957 hervorgeht, war Kahnert spätestens seit Anfang der 1920er Jahre mit Hiller und dem Insektenforscher und Aktivisten der frühen Homosexuellenbewegung Ferdinand Karsch-Haack (1853–1936) befreundet. Kahnert gab sich in den Briefen an Hiller als entschiedener Gegner des „Nazi-Gesindels“ zu erkennen.

Hans Kahnert wohnte 1956 unter der Adresse Vinetaplatz 6 (Vorderhaus IV bei Bloch, Berlin-Wedding). Da er befürchtete, dass seine Post kontrolliert werde, ließ er 1957 Briefe an die Adresse Egellstraße 3 (Vorderhaus III rechts bei Heinrichs, Berlin-Tegel) senden. Offenbar handelte es sich bei Frau Heinrichs um Hans Kahnerts Schwester, die im damaligen französischen Sektor Berlins lebte.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 619.

Schmidtke, Sabine (2004): Der Briefwechsel Hans Kahnert – Kurt Hiller. Eine neue Quelle zu Ferdinand Karsch-Haack, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 35, S. 24-31.

Katte, Max

Bei dem Namen „Max Katte” handelt es sich um ein Pseudonym für Karl Friedrich Jordan (1861–1926).

Klemm, Woldemar Konrad (Fotograf) geb. 31.7.1878 (Pirna) – gest. 27.11.1930 (Dresden-Hellerau)

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Über die Lebensumstände des Dresdner Fotografen und Verlegers Woldemar Konrad Klemm liegen nur wenige Angaben vor. So ist nicht einmal bekannt, wo er sich zum Fotografen ausbilden ließ. Von 1906 bis 1912 war er als Nachfolger von Max Fischer Inhaber eines Ateliers in der Dresdner Altstadt (Moritzstraße 8b). Er selbst wohnte bis 1915 in der Albrechtstraße 3. 1913 gründete er die Firma „Dresdner Photographische Werkstätten GmbH“, die ihre Geschäftsstelle am Altmarkt 6 hatte. Nach Klemms Tod wurde der Ingenieur Rudolf Klemm, möglicherweise ein Bruder Konrad Klemms, neuer Geschäftsführer dieser Firma, bis er 1937 die GmbH auflöste. Rudolf Klemm betrieb die Firma aber bis etwa 1943 als Inhaber weiter.

Woldemar Konrad Klemm wurde 1914 und 1920 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Veröffentlichungen

Heimische Bauweise in Sachsen und Nordböhmen. Hrsg. von Oskar Zech. Nach photographischen Originalaufnahmen von Konrad Klemm. Dresden: Gerhard Kühtmann 1908 online hier.

Weiterführende Literatur

Siehe den Eintrag auf der Seite der Deutschen Fotothek, Dresden.

Knack, Andreas Valentin (Dr. med., Arzt) geb. 12.9.1886 (Aachen) – gest. 3.5.1956 (Hamburg)

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Andreas Knack. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Andreas Valentin Knack stammte gebürtig aus Aachen. Er studierte Medizin an den Universitäten in Berlin und München und legte Ende 1912 in München seine Dissertation über die Ätiologie, Prognose und Prophylaxe des „Geburt- und Gebärmutterkrebses“ vor. Nach einer Tätigkeit als Assistenzarzt in Mannheim wechselte Knack Anfang 1914 an das pathologische Institut des Krankenhauses in Hamburg-Barmbek. Fünf Jahre später ging er von hier an das Hamburger Hafenkrankenhaus. In vielfältigen Positionen widmete er sich der öffentlichen Gesundheitspflege und insbesondere der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.

1921 legte Knack die Broschüre Groß-Hamburg im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten und Bordelle vor, in der er sich dafür stark machte, die polizeiliche Kontrolle der Prostitution gesetzlich aufzuheben. 1922 wurde er als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt, und im Jahr darauf wurde er Ärztlicher Direktor des Allgemeinen Krankenhauses in Hamburg-Barmbek.

Andreas Valentin Knack war Mitglied der SPD und engagierte sich in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Ärzte sowie im Verein Sozialistischer Ärzte. Er war in erster Ehe mit Olga Anna Auguste Brandt-Knack verheiratet. 1933 wurde er von den Nazis entlassen, und 1934 emigrierte er mit seiner zweiten Ehefrau Edith geb. Hommes, die Jüdin war, nach China. Knacks erste Position als Direktor des Zentralkrankenhauses in Nanking hatte der Völkerbund vermittelt, ab 1935 unterhielt er dann eine eigene Arztpraxis, zunächst in Peking, ab 1938 in Mukden in der Mandschurei. 1948 kehrte Andreas Valentin Knack nach Hamburg zurück und wirkte von April 1949 bis April 1952 als Präsident der dortigen Gesundheitsbehörde.

Schriften (Auswahl)

Knack, Andreas Valentin und Max Quarck (1928): Das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und seine praktische Durchführung. Berlin: Verlag des Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt e. V.

Weiterführende Literatur

Pieper, Christine (2003): Die Sozialstruktur der Chefärzte des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbek 1913 bis 1945. Ein Beitrag zur kollektivbiografischen Forschung (= Veröffentlichungen des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte [HAR], Band 16). Münster: LIT Verlag.

Koerber, Heinrich (San.-Rat Dr. med.) geb. 1.6.1861 (Breslau, heute Wrocław, Polen) – gest. 2.8.1927 (Berlin)

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Heinrich Koerber, o.J. Quelle: Privatarchiv Ludger M. Hermanns.
Heinrich Koerber wurde 1885 in seiner Heimatstadt Breslau promoviert und erhielt hier im Jahr darauf seine Approbation als Arzt. Er arbeitete zunächst als Landarzt in Schlesien, danach als Allgemeinmediziner in Breslau. Durch die Heirat mit Else geb. Zahn im Jahr 1902 war es ihm möglich, in Lichterfelde-Ost bei Berlin eine Villa zu kaufen, in der er auch praktizierte, bis er 1919 in die Meinekestr. 14 in Charlottenburg zog und seine Praxis in die Meinekestr. 7 verlegte. Das Ehepaar Koerber hatte vier Kinder.

Heinrich Koerber gehörte 1905 zusammen mit seinem Schulfreund Otto Juliusburger (1867–1952) zu den Gründern des Deutschen Monistenbundes, und er war von 1907 bis 1910 dessen Vorsitzender. Koerber war Mitglied im Bund für Mutterschutz Helene Stöckers (1869–1943), und wie Karl Abraham (1877–1925), Iwan Bloch (1872–1922), Magnus Hirschfeld und Otto Juliusburger zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Berliner psychoanalytischen Vereinigung. Von 1913 bis zu seinem Tod war er auch in der Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft aktiv.

Heinrich Koerber wurde 1913 als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.

Schriften (Auswahl)

Koerber, Heinrich (1916/17): Die Freudsche Lehre und ihre Abzweigungen, in: Zeitschrift für Sexualwissenschaft (Jg. 3), S. 95-97.

Koerber, Heinrich (1924): Die Psychoanalyse. Die Freudsche Lehre in ihrer Theorie und Anwendung gemeinverständlich dargestellt (Wege zum Wissen 12). Berlin: Ullstein.

Weiterführende Literatur

Hermanns, Ludger M. (2009): Heinrich Koerber (1861–1927), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 371-375.

Müller-Braunschweig, Carl (1927): Dr. Heinrich Koerber [Nachruf], in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 13 (4), S. 465-467.

Krauss, Friedrich Salomo (Dr. phil., Volkskundler) geb. 7.10.1859 (Požega, heute Kroatien) – gest. 29.5.1938 (Wien, Österreich)

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Friedrich Salomo Krauss war Slawist und Volkskundler. Er wurde 1882 in Wien promoviert. Sein Habilitationsantrag wurde 1887 abgelehnt, und auch eine Lektorenstelle für südslawische Sprachen erhielt er nicht, so dass er seinen Lebensunterhalt als Gerichtsdolmetscher verdienen musste. Von 1889 bis 1898 war er Redakteur der Zeitschrift Am Urquell. Monatsschrift für Volkskunde, von 1891 bis 1901 auch Sekretär der Israelitischen Allianz in Wien.

Friedrich Salomo Krauss schrieb für diverse Zeitungen und Zeitschriften, unter ihnen die Sexualprobleme und die Zeitschrift für Sexualwissenschaft. 1904 gründete er die Anthropophyteia. Jahrbücher für folkloristische Erhebungen und Forschung zur Entwicklungsgeschichte der geschlechtlichen Moral, von denen bis 1913 zehn Bände erscheinen. Zahlreiche Prozesse und Beschlagnahmungen seiner Bücher behinderten Krauss’ publizistischen Aktivitäten.

Friedrich Salomo Krauss wurde 1907, 1910 und 1920 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. 1907 rückte er als Nachfolger für den Rechtsanwalt Ludwig Fuld (1859–1935) in das Kollegium. Der Verbleib der umfangreichen Bibliothek von Friedrich Salomo Krauss nach dessen Tod ist ungeklärt: Ein Teilnachlass befindet sich in der Bibliothek der University of California, Los Angeles.

Weiterführende Literatur

Reichmayr, Johannes (2009): Friedrich Salomo Krauss; in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 384-392 mit umfangreichen Literaturangaben.

Eintrag von Nikolaus Mikoletzky über Friedrich Salomo Krauß in der Deutschen Biographie.

Kronfeld, Arthur (Dr. med. et phil., Psychiater) geb. 9.1.1886 (Berlin) – gest. 16.10.1941 (Moskau, Russland)

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Arthur Kronfeld. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Arthur Kronfeld wurde 1886 als ältester Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und dessen ebenfalls jüdischer Ehefrau in Berlin geboren. Er hatte drei jüngere Geschwister. Nach dem Besuch des Sophiengymnasiums studierte er ab 1904 Medizin an den Universitäten in Jena, München, Berlin und Heidelberg. Hier, in Heidelberg, wurde er 1909 zum Dr. med. promoviert.

Bereits eine 1912 veröffentlichte, umfangreiche Kritik an der Psychoanalyse – Über die psychologischen Theorien Freuds und verwandte Anschauungen – machte Kronfeld weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Im selben Jahr erwarb er an der Universität in Gießen auch den philosophischen Doktorgrad.

Ein Jahr nachdem Arthur Kronfeld an die Berliner „Irrenklinik Dalldorf“ (heute Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Wittenau) gewechselt war, wurde er im August 1914 zum ersten Mal aus seiner akademischen Laufbahn gerissen. Als Frontarzt kam er vor allem in Frankreich, so in der Nähe von Verdun, zum Einsatz, und erst nach einer erlittenen Kopfverletzung wurde er in ein Kriegslazarett in Freiburg/Breisgau versetzt. Um diese Zeit heiratete er auch die aus Berlin stammende Stenotypistin Lydia Quien.

Mit Magnus Hirschfeld dürfte Arthur Kronfeld bereits durch sein erstes veröffentlichtes Buch um 1908 gekommen sein. In diesem Jahr nahm Hirschfeld eine Zusammenfassung der von Kronfeld in der Abhandlung über „Sexualität und ästhetisches Empfinden“ (1906) präsentierten Thesen in einem Beitrag für die Zeitschrift für Sexualwissenschaft auf. Ab 1919 war Kronfeld im von ihm mitgegründeten Berliner Institut für Sexualwissenschaft für etwa sieben Jahre Hirschfelds „rechte Hand“, indem er als Leiter der dem Institut angegliederten „Abteilung für seelische Sexualleiden“ fungierte. Als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Kronfeld 1922 gewählt. 1926 gründete er dann seine eigene Praxis als Nervenarzt am Rand des Berliner Tiergartens.

Arthur Kronfeld erwarb sich in den 1920er Jahren einen herausragenden Ruf als schulenunabhängiger Psychotherapeut, er engagierte sich in der „Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“ und wurde Schriftleiter der Zeitschrift Zentralblatt für Psychotherapie. 1927 habilitierte er sich bei Karl Bonhoeffer (1868–1948) für Psychiatrie und Nervenheilkunde, und vier Jahre später wurde er an der Charité der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zum nicht beamteten außerordentlichen Professor ernannt.

Schon bald nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde Arthur Kronfeld sukzessive aller seiner beruflichen Tätigkeiten beraubt. Im April 1934 wurde er von der Rechnungserstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen, und Anfang 1935 wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen. Kronfeld emigrierte daraufhin zusammen mit seiner Frau in die Schweiz. Da die Behörden ihm hier aber kein Asyl gewährten und ihm ein Ausweisungsultimatum gestellt wurde, bewarb er sich um eine Forschungsprofessur in Moskau, die ihm erteilt wurde. Ab 1926 war Arthur Kronfeld Professor an dem nach Pjotr B. Gannuschkin (1875–1933) benannten „Neuropsychiatrischen Forschungsinstitut der UdSSR“ in Moskau.

Arthur Kronfeld publizierte auch auf Russisch. Ende 1936 trat er zum ersten Mal in der Sowjetunion öffentlich auf dem „allsowjetischen Psychiater- und Neurologenkongress“ auf, wo er erste Ergebnisse seiner damaligen Forschungen vorstellte. Im Jahr darauf wurden er und seine Frau sowjetische Staatsbürger. Am Gannuschkin-Institut war er zuletzt Direktor der „Abteilung für experimentelle Pathologie und Therapie der Psychosen“.

Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Sowjetunion wirkte Arthur Kronfeld mehrfach in Propagandasendungen von Radio Moskau mit. Unter dem Titel „Degeneraty u vlasti“ (Degenerierte an der Macht) veröffentlichte er auch eine Broschüre, in der er von seinen persönlichen Erfahrungen mit Hitler, Himmler und Göring berichtete. So war Kronfeld beispielsweise 1932 gutachterlicher Zeuge im Meineidsprozess Adolf Hitlers gegen Werner Abel (1902–1935) in München gewesen.

Am 16. Oktober 1941 nahm sich Arthur Kronfeld zusammen mit seiner Frau in Moskau das Leben. Die Motvie für diesen Schritt sind nach wie vor unbekannt. Während etwa Johannes R. Becher (1891–1958) später behauptete, Kronfeld und seine Frau hätten sich aus Angst vor Hitler das Leben genommen, ging Kurt Hiller (1885–1972), mit dem Kronfeld seit seinem 19. Lebensjahr befreundet bzw. bekannt war, davon aus, Kronfeld habe den Weg in den Tod gewählt, um einer Verfolgung durch Stalin zuvorzukommen.

Schriften (Auswahl)

Kronfeld, Arthur (1920): Das Wesen der psychiatrischen Erkenntnis (Beiträge zur allgemeinen Psychiatrie, 1). Berlin: Julius Springer.

Kronfeld, Arthur (1921): Über psychosexuellen Infantilismus, eine Konstitutionsanomalie. Leipzig: Ernst Bircher (Sexus. Monographien aus dem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, 1). Online verfügbar unter https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1071826727#page/n0/mode/2up.

Kronfeld, Arthur (1924): Hypnose und Suggestion. Berlin: Ullstein.

Kronfeld, Arthur (1924): Psychotherapie. Charakterlehre – Psychoanalyse – Hypnose – Psychagogik. Berlin: Julius Springer.

Kronfeld, Arthur (1927): Die Psychologie in der Psychiatrie. Eine Einführung in die psychologischen Erkenntnisweisen innerhalb der Psychiatrie und ihre Stellung zur klinisch-pathologischen Forschung. Berlin: Julius Springer.

Kronfeld, Arthur (1930): Perspektiven der Seelenheilkunde. Leipzig: Georg Thieme.

Kronfeld, Arthur (1932): Lehrbuch der Charakterkunde. Berlin: Springer.

Kronfeld, Arthur (2006): Stanowlenie Sindromologii i Konzepzii Schizofrenii – Rabotj 1935–1940. Entstehung der Syndromologie und Konzeption der Schizophrenie – Werke 1935–1940. Moskau (zweisprachige Auswahl von den seinerzeit in der UdSSR erschienenen russischen Publikationen Kronfelds).

Weiterführende Literatur

Arthur Kronfeld zur Erinnerung. Ausführliche Biografie von Ingo-Wolf Kittel.

Seeck, Andreas (1995): Arthur Kronfeld (Psychiater, Psychologe, Wissenschaftstheoretiker) über Homosexualität. In: Mittteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 20/21, S. 51-63.

Seeck, Andreas (2009): Arthur Kronfeld; in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 397-402 [mit zahlreichen Nachweisen].

[Themenheft] Luzifer-Amor 2017 (Jg. 30), Nr. 60: Arthur Kronfeld (1886–1941): Psychiater, Sexualwissenschaftler, Psychotherapeut und Kritiker der Psychoanalyse (mit Beiträgen von Yazan Abu Ghazal, Rainer Herrn und Andreas Seeck).

Kunicke, Eugen (Kaufmann, Privatier) geb. 5.2.1852 (Liegnitz, heute Legnica, Polen) – gest. 4.7.1933 (Berlin)

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Magnus Hirschfeld dankt Eugen Kunicke in der Einleitung zu Die Homosexualität des Mannes und des Weibes (1914): „Bei den überaus mühseligen statistischen Auszügen und Berechnungen stand mir in erster Linie Herr Eugenio Kunicke zur Seite.”

Eugen Kunicke war unverheiratet. Er wurde 1911 zum Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.1926 reiste er von Hamburg aus nach Südamerika (Westküste). Offenbar hatte er Verwandtschaft in Chile (Valdivia). Seine Beziehungen in den spanischsprachigen Raum dürften auch erklären, weshalb Magnus Hirschfeld ihn „Eugenio” nannte.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1914): Die Homosexualität des Mannes und des Weibes (Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen, 3). Berlin: Louis Marcus, S. XI.

von Leexow, Karl Franz (Baron)

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Die Lebensdaten und alle weiteren Angaben zu Karl Franz von Leexow fehlen. Der Name ist ein – bisher nicht aufgelöstes – Pseudonym. Hirschfeld erwähnt in der Homosexualität des Mannes und des Weibes von 1904, dass Karl Franz von Leexow Kavallerieoffizier war (S. 231), und schreibt ausführlicher über ihn in Von einst bis jetzt: „Leexow, dessen Name in Wirklichkeit anders lautet, war damals und ist auch heute noch Obmann unseres Komitees. Einer altadligen Offiziersfamilie entstammend – einer seiner Vorfahren war Friedrichs des Großen General und Freund –, mit Leib und Seele Kavallerieoffizier, darf er wohl ‚in allen Sätteln gerecht’, als bester Kenner auf dem einschlägigen Gebiet gelten.”

Karl Franz von Leexow veröffentlichte 1908 im Verlag von Max Spohr in Leipzig die Schrift Armee und Homosexualität. Schadet Homosexualität der militärischen Tüchtigkeit einer Rasse?, aus der Hirschfeld in Von einst bis jetzt ausführlich zitiert.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hgg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, 1). Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 149-150, 152.

Lilienstein, Siegfried (Dr. med., Nervenarzt) geb. 11.7.1871 (Grävenwiesbach) – gest. 10.7.1934 (Bad Nauheim)

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Siegfried Lilienstein studierte Medizin in Würzburg, München, Berlin, Gießen und Leipzig. Er wurde 1894 in Würzburg promoviert. Ab 1899 arbeitete er in verschiedenen Nervenkliniken in Bad Nauheim. Dort praktizierte er laut Reichs-Medizinalkalender auch von 1910 bis 1912, nachdem er von einer längeren Auslandsreise zurückgekehrt war, die ihn unter anderem nach Ägypten, Australien und Japan geführt hatte. Einen Bericht über diese Reise stellt Liliensteins Beitrag „Ueber Irrenanstalten im Orient und in Australien” in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie (1910) dar. Über den Autor heißt es hier, er praktiziere als „Arzt für innere und Nerven-Krankheiten in Bad Nauheim (im Winter in Kairo)”. Siegfried Lilienstein war verheiratet mit Lily geb. Frank und wohnte zuletzt in der Burgallee 18 in Bad Nauheim (1925 in der dortigen Parkstraße 14).

Siegfried Lilienstein wurde 1907 und 1910 als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. 1912 gab er das Amt auf.

Schriften (Auswahl)

Lilienstein, Siegfried (1910): Ueber Irrenanstalten im Orient und in Australien, in: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 1910 (Bd. 28, Nr. 2), S. 169-174.

Lilienstein, Siegfried (1927): Gibt es eine induzierte Homosexualität und kann sie psychotherapeutisch beeinflußt werden? In: Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift (Bd. 29), S. 203-208. [Eine Rezension zu diesem Beitrag findet sich in der Deutschen Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin 1928 (Jg. 12), S. 78.]

Weiterführende Literatur

Wikipedia polnisch mit weiteren Nachweisen.

Walk, Joseph (1988): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden, 1918–1945. München: K.G. Saur, S. 237.

Lindtner, Paul Leopold (Dr. med., Arzt) geb. 14.3.1868 (Königsberg i. Pr., heute Kaliningrad) – gest. 15.10.1920 (Hökendorf)

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Dr. Paul Leopold Lindtner wurde 1907 und 1910 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. Er wohnte offenbar zeitweise in Danzig-Langfuhr (heute Gdańsk, Polen) und hatte das Amt bis zu seinem Tod inne. Lindtner leitete von Mai 1898 bis zu seinem Lebensende das Sanatorium Bismarckhöhe in Hökendorf-Finkenwalde (heute Zdroje) auf dem östlichen Oderufer, unweit von Stettin (Szczecin) – mit einer Unterbrechung zwischen 1905 und 1909. In dieser Zeit war Lindtner leitender Arzt am Goßmann-Sanatorium in Kassel-Wilhelmshöhe.

Offenbar interessierte sich Paul Lindtner für die Anthroposophie Rudolf Steiners, denn dessen 1931 in Buchform erschienenen zwölf Vorträge „vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft“ aus den Jahren 1909 bis 1911 wurden zum Teil auf Grundlage von seinen Nachschriften gedruckt, da ein Stenogramm nicht zur Verfügung stand. 1909 gab Lindtner auch das Reform-Kochbuch von „Frau Th. Lindtner“ in zweiter Auflage neu heraus. Er bezeichnete sich hier als „Arzt für physikalisch-dietätische Therapie (Naturheilkunde)“. Das Kochbuch enthält Rezepte für „die in Dr. Lindtner’s Sanatorium Finkenwalde bei Stettin gereichten Speisen“. Unbekannt ist bislang, um wen es sich bei „Th. Lindtner“ handelte, möglicherweise Paul Lindtners Mutter, eine Schwester oder seine Frau.

Paul Lindtner war bei seinem Tod nicht verheiratet, belegt ist aber, dass er sich Ende 1896 mit „Frl.“ Margarete Passauer verlobte.

Im Sanatorium Bismarckhöhe in Hökendorf-Finkenwalde war im Sommer/Herbst 1914 auch Johanna Elberskirchen tätig.

Weiterführende Literatur

Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung (Parlamentsausgabe), 18.12.1896, S. 3 [Kurznotiz unter der Rubrik „Familiennachrichten“].

Berliner Tageblatt und Handelszeitung, 3.4.1898, S. 12 [Anzeige zur bevorstehenden Eröffnung des Sanatoriums Finkenwalde].

Leidinger, Christiane (2008): Keine Tochter aus gutem Hause. Johanna Elberskirchen (1864–1943). Konstanz: UVK, S. 277-283.

Lindtner, Th. (1909): Reform-Kochbuch. Zusammengestellt von Frau Th. Lindtner. Frankfurt (Oder): Max Richter Kommissions-Verlag.

Steiner, Rudolf (2001): Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie. Zwölf Vorträge, gehalten in Berlin vom 23. bis 27. Oktober 1909, 1. bis 4. November 1910 und 12. bis 16. Dezember 1911. Dornach/Schweiz: Rudolf Steiner Verlag, S. 321-322.

Lippmann, Friedrich Wilhelm (Kunsthändler) geb. 13.11.1883 (Berlin) – gest. 14.1.1932 (Berlin)

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Friedrich Wilhelm Lippmann war der einzige Sohn des österreichisch-deutschen Kunsthistorikers Friedrich Lippmann (1838–1903), der 1876 zum Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts berufen worden war. Er besuchte eine adelige Klosterschule und das Joachim Thielsche Gymnasium in Berlin und begann auf Wunsch des Vaters zunächst eine kaufmännische Ausbildung. Nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA ließ er sich 1907 als Kunsthändler in London nieder, wo er zu großem Wohlstand kam. Allerdings wurde sein Vermögen bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs von den Engländern beschlagnahmt, und Lippmann kehrte in seine Heimatstadt Berlin zurück. Hier wurde er 1923 zum Mitglied des Obmännerkollegiums des WhK gewählt. Lippmann blieb bis zu seinem Tod unverheiratet.

Ende der 1920er Jahre gelangte Friedrich Wilhelm Lippmann überregional zu unrühmlicher Bekanntheit, nachdem sich seine finanzielle Lage im Zuge einer ernsthaften Erkrankung und wohl auch von Spielschulden erheblich verschlechtert hatte und er durch den Kontakt mit vorbestraften Kollegen und Freunden auf die „schiefe Bahn“ geriet. Anfang 1928 wurden aus einer Kapelle im bayrischen Schloss Cadolzburg bei Fürth zwei hölzerne Altarflügel gestohlen, auf denen sich Heiligendarstellungen befanden und die um 1500 entstanden sein dürften. Als einer der „Drahtzieher“ hinter der Aktion wurde Lippmann inhaftiert.

Vor dem Schöffengericht Fürth hatten sich für die Tat schließlich sechs Männer zu verantworten. Friedrich Wilhelm Lippmann, der sich zunächst von Dr. Frey, dann von einem gewissen Dr. Haber verteidigen ließ, legte ein umfangreiches Geständnis ab. Er bereute die Tat aufs Tiefste und bezeichnete sie als „Blödsinn“, die ihm nunmehr ganz und gar unverständlich sei. Geltend machte er dabei für sein Verhalten ein „sklavisches Hörigkeitsverhältnis“ zu dem Mitangeklagten August Mayer, das „nicht ganz unsexuell“ gewesen sei. Er selbst sei aber nie wegen „Vergehen” nach § 175 RStGB erpresst worden.

Alle sechs angeklagten Männer wurden Anfang 1929 zu Gefängnis- bzw. Zuchthausstrafen verurteilt. Lippmann erhielt eine Strafe von zehn Monaten, Mayer, der auch als „Vater des Diebstahlsgedankens“ bezeichnet wurde, von einem Jahr und vier Monaten Gefängnis. Für Lippmann galt das Urteil durch die erlittene Untersuchungshaft als verbüßt.

Gleichwohl dürfte er fortan gesellschaftlich ruiniert gewesen sein. In der Presse wurde er wegen seiner „ererbten unglücklichen Anlagen“ und seines „Hörigkeitsverhältnisses zu Mayer“ als Psychopath bezeichnet. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Friedrich Wilhelm Lippmann vermutlich unter eher prekären Verhältnissen. Laut Sterbeurkunde befand sich seine letzte Bleibe in der Bayreuther Straße 2 in Charlottenburg. Hier wohnte er möglicherweise zur Untermiete. Im Berliner Adressbuch ist er nicht nachweisbar.

Weiterführende Literatur

Die Bilder und ihr „Liebhaber“. Der tragische Fall Lippmann, in: Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung vom 5.3.1928 (Abendausgabe), S. 6.

Der Beginn des Bilderraubprozesses auf der Kadolzburg. Die Vernehmung des angeklagten Kunsthändlers Lippmann, in: Berliner Börsen-Zeitung vom 8.1.1929 (Nr. 12), S. 4.

Die Strafen für die Bilderdiebe, in: Deutsche allgemeine Zeitung (DAZ) vom 12.1.1929 (Ausgabe Groß-Berlin, Sonnabend Morgen, Jg. 68, Nr. 19), S. 6.

Lißmann, Paul (Dr. med., Nervenarzt) geb. 27.1.1879 (München) – gest. 10.11.1929 (vermutlich Berlin)

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Paul Lißmann wurde 1879 in eine jüdische Familie in München geboren. Seine Eltern waren die Kaufmannseheleute Josef Lißmann (1850–1923) und dessen Frau Bertha geb. Kramer (1856–1936). Nach dem Besuch des Münchner Wilhelmsgymnasiums studierte Paul Lißmann von 1898 bis 1903 Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in seiner Heimatstadt (mit einer zweisemestrigen Unterbrechung um 1901). 1903 promovierte er hier mit der Abhandlung Zur Aetiologie der Pankreasfettnekrose nebst einem neuen Fall zur Casuistik derselben zum Dr. med. Seine Approbation erhielt er im selben Jahr.

Paul Lißmann wohnte offenbar seit seinen Jugendjahren im Haus Weinstraße 14, das die Eltern 1894 gekauft hatten und ihrem Sohn 1911 zu einem Drittel übertrugen. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt heiratete Paul Lißmann Luise Dinkelsbühler (geb. 1888) aus Nürnberg. Das Paar hatte zwei Kinder.

Als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Paul Lißmann 1914 und 1920 genannt.

Paul Lißmann hatte Verbindungen zur Nacktkultur. 1925 beriet er das Münchner Filmstudio Emelka, das um jene Zeit in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Verlag Die Schönheit die drei Filme Licht, Luft, Leben, Die Grazien – Blüten der Körperkultur und Frauenschönheit und Insel der Seiligen produzierte. Paul Lißmanns Buch Lerne richtig sonnenbaden! Die richtige Anwendungsform des Sonnenbades für Gesunde und Kranke erlebte zwischen 1926 und 1930 drei Auflagen.

Der Sterbeort Paul Lißmanns haben sich noch nicht ermitteln lassen. Eine Sterbefallmitteilung erschien in der Berliner Börsen-Zeitung vom 16. November 1929 (Beilage zur Ausgabe Nr. 537, S. 5), die Beisetzung fand indes schon drei Tage zuvor, am 13. November 1929, auf dem Münchner Ostfriedhof statt. Beim örtlich zuständigen Standesamt in München wurde der Tod Lißmanns aber nicht beurkundet. Demzufolge dürfte Paul Lißmann in Berlin verstorben sein. Luise Lißmann zog um 1930 zurück in ihre Heimatstadt Nürnberg, wo sie im Folgejahr aus dem Judentum austrat.

Schriften (Auswahl)

Lißmann, Paul (1903): Zur Aetiologie der Pankreasfettnekrose nebst einem neuen Fall zur Casuistik derselben. München: Kastner & Callwey.

Lißmann, Paul (1914): Geburtenrückgang und männliche sexuelle Impotenz. Würzburg: Kabitzsch.

Lißmann, Paul (1918): Briefe an sexopathologische Männer. Briefe aus der Praxis. Berlin: Marcus.

Lißmann, Paul (1919): Die Wirkungen des Krieges auf das männliche Geschlechtsleben. München: Otto Gmelin.

Lißmann, Paul (1926): Lerne richtig sonnenbaden! Die richtigen Anwendungsformen des Sonnenbades für Gesunde und Kranke. München: Knorr & Hirth.

Quellen

Todesanzeige in: Münchner Neueste Nachrichten (Jg. 82, Nr. 309) vom 13. November 1929, S. 17. Online hier.

Loerbroks, Josef (Amtsgerichtsrat a. D.) geb. ca. 1865 (Marl, Kr. Soest) – gest. 21.11.1920 (Bensheim)

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Josef bzw. Joseph Loerbroks wurde 1913 als Mitglied in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Er war bei seinem Tod ledig. Die Sterbefallanzeige veröffentlichte im November 1920 sein Bruder, der Landgerichtsrat Albrecht Loerbroks, in der Kölnischen Zeitung. Demnach war Josef Loerbroks nach kurzem Leiden verstorben. Alle weiteren Angaben zu seinem Lebensweg und zu seiner Identität fehlen.

Quellen

Sterbefallanzeige für Josef Loerbroks in: Kölnische Zeitung, 23.11.1920 (Nr. 984, Abendausgabe), [S. 3].

Mackensen, Fritz

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Die Lebensdaten Fritz Mackensens und so gut wie alle anderen Angaben zu seinem Lebensweg fehlen. Fritz Mackensen wurde 1928 zum Mitglied des Obmännerkollegiums gewählt. Zu dem Zeitpunkt wohnte er in Berlin.

In den historischen Berliner Adressbüchern gibt es mindestens zwei Namensträger, den Bankbeamten Fritz Mackensen (Mirbachstraße 70, O 112) und den Kaufmann Fritz Mackensen (Ritterstraße 51, SW 68). Letzterer war auch Besitzer des Hauses Ritterstraße 51. Ferner liegt der Sterbeeintrag eines am 4. Dezember 1893 geborenen Büroangestellten namens Fritz Albert Ernst Mackensen vor. Er war ledig, wohnte am Halleschen Ufer 26 und starb am 20. Juni 1935 im Bethanien-Krankenhaus (Berlin-Kreuzberg).

Meienreis, Richard (Dr. phil., Musiker und Musikwissenschaftler) geb. 24.6.1865 (Berlin) – gest. 6.1.1926 (Berlin)

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Paul Theodor Richard Meienreis war ein Sohn des Kgl. Bauinspektors Theodor Meienreis. Er besuchte Schulen in Berlin und Görlitz, wohin sein Vater versetzt worden war. Anschließend studierte er – auf Wunsch seines Vormundes, der den früh verstorbenen Vater vertrat – fünf Semester lang Klassische Philologie in Berlin, um anschließend musikalische Studien an der Berliner Universität und der Königlichen Hochschule für Musik zu betreiben. Diese Studien setzte er 1891 am Leipziger Kgl. Konservatorium und der dortigen Universität fort. 1893 wurde er in Leipzig mit einer Arbeit über Adam de la Hale’s Spiel „Robin und Marion“ promoviert.

In Berlin lernte Richard Meienreis Magnus Hirschfeld bereits 1897 kennen und trat dem gerade erst gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) bei. Für die erste Ausgabe des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen (1899) stellte er eine „Bibliographie der Homosexualität“ zusammen (bei der er seinen Namen „bescheiden verschwieg“), und wenige Jahre später verfasste er eine Aufklärungsschrift, die 1906 unter dem Pseudonym „J. E. Meisner” im Verlag von Max Spohr erschien: Uranismus oder sogenannte gleichgeschlechtliche Liebe. Das WhK erkannte ihm dafür das (von anonym gebliebenen „Erfurter Herren“ gestiftete) Preisgeld für „die beste Aufklärungsschrift über das homosexuelle Problem“ zu.

Richard Meienreis wurde 1907 (und erneut 1910) zum Mitglied des WhK-Obmännerkollegiums gewählt. Er blieb dem Komitee bis zu seinem Tod verbunden und war etwa der Komponist des „Freundschaftsliedes“, das – so heißt es in der Zeitschrift Die Freundschaft – auf Tagungen der Obmänner des WhK vorgetragen wurde. Meienreis war mit Ernst Burchard (1876–1920) befreundet und stand in brieflichem Austausch mit dem belgischen Schriftsteller Georges Eekhoud (1854–1927), dessen Roman Escal-Vigor er ins Deutsche übersetzte. In seinem Sterbeeintrag wird Meienreis prosaisch als „Kleinrentner” bezeichnet.

Richard Meienreis übersetzte auch belletristische Werke aus dem Dänischen ins Deutsche, so etwa Otto Martin Møllers „sexualpsychologische Schilderung” Wer kann dafür? (1901) und Søren Kierkegaards Das Tagebuch eines Verführers (1912). Wo Meienreis Dänisch gelernt hatte, ist bislang unbekannt.

Schriften (Auswahl)

Meienreis, Richard (1893): Adam de la Haleʻs Spiel „Robin und Marion“ und des letzteren Stellung in der Entwickelung der dramatischen und musikalischen Kunst, Diss. Leipzig.

Meisner, J. E. [d. i. Richard Meienreis] (1906): Uranismus oder sogenannte gleichgeschlechtliche Liebe. Ein Beitrag zur Aufklärung, Leipzig: Max Spohr.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 811.

Setz, Wolfram (2016): „Teurer Meister!” Ein Brief von Richard Meienreis an Georges Eekhoud (1913), in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 54, S. 42-46.

Wolfert, Raimund (2015): Otto Martin Møllers Nina – ein dänischer „Lesbenroman” aus dem Jahr 1883 und seine deutsche Übersetzung, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 52, S. 10-20.

Merzbach, Georg (Dr. med., Arzt, Dermatologe) geb. 21.7.1868 (Magdeburg) – gest. 16.11.1941 (Berlin)

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Georg (Gustav Viktor) Merzbach wurde 1868 in Magdeburg in eine jüdische Familie geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Max Merzbach und dessen Frau Therese, geb. Löwenthal. Nach dem Besuch des König-Wilhelms-Gymnasiums in Magdeburg studierte Georg Merzbach ab 1891 Kunst- und Literaturgeschichte in Würzburg, wechselte aber bald zur Medizin über. Ab 1893 führte er sein Studium in Berlin fort, und Anfang 1896 wurde er mit einer Arbeit über Gewerbe-Ekzeme promoviert. Seine Ausbildung zum Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten absolvierte Merzbach unter anderem in Berlin, aber auch in Frankreich, Italien, den USA und in Österreich.

Ob Georg Merzbach homosexuell war, kann nicht entschieden werden. Er war seit dem 4. Mai 1898 mit der Schauspielerin Maria Martha Meta Illing (1867–1909) verheiratet. Wohl nach seiner Eheschließung konvertierte Merzbach zum evangelischen Christentum, der Religion seiner Frau. Nach seiner Approbation ließ er sich in Berlin-Moabit als Facharzt für Haut- und Harnleiden nieder, seine Praxis verlegte er aber schon nach wenigen Jahren in die Chausseestraße 5 (Berlin-Mitte). Merzbach gehörte zu den frühen und engen Mitarbeitern Magnus Hirschfelds im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) und war auch Mitglied im Bund für Mutterschutz Helene Stöckers (1869–1943). Er arbeite 1902 unter anderem an dem von Magnus Hirschfeld und Iwan Bloch (1872–1922) entwickelten Sexualumfragebogen mit, der später unter der Bezeichnung „Psycho-biologischer Fragebogen” bekannt wurde. Im selben Jahr erschien seine Studie Homosexualität und Beruf, die auf ein reges Interesse stieß. Merzbach war 1904 und 1907 Gutachter im Prozess gegen Hirschfeld wegen dessen Umfrage unter Studenten der Technischen Hochschule und im Moltke-Harden-Prozess, und er erstellte eines der Gutachten für die Änderung der Geschlechtsbestimmung von Karl M. Baer (N. O. Body). Als Obmann des WhK wurde Merzbach zwischen 1904 und 1920 regelmäßig genannt.

Ab 1909 arbeitete Merzbach auch als Spezialarzt für medizinische Kosmetik, und in den frühen 1910er Jahren verlegte er seine Arztpraxis nach Berlin-Schöneberg. Er führte sie noch bis 1932 weiter. Georg Merzbach starb nicht wie bisher angenommen am 31. Oktober 1939, sondern am 16. November 1941 in Berlin (vgl. Sterberegister StA Schöneberg v. B., Nr. 3455/1941).

Schriften (Auswahl)

Merzbach, Georg (1905): Das Zeugungsvermögen. Halle a. S.: C. Marhold.

[u.d. Pseudonym:] Back, Georg (1905): Sexuelle Verirrungen des Menschen und der Natur. Großes illustriertes Sammelwerk über die krankhaften Erscheinungen des Geschlechtstriebes beim Menschen, das echte und das Schein-Zwittertum und andere rätselhafte Erscheinungen der Natur auf sexuellem Gebiete. Berlin: Standard Verlag.

Merzbach, Georg (1913): Das Schönheitsbuch. Eine Gabe für Frauen: Berlin: P. Langenscheidt.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hgg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 1). Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 143f.

Hulverscheidt, Marion (2020): Das ärztliche Attest Magnus Hirschfelds für N. O. Body alias Karl Martha Baer aus dem Jahre 1906. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Nr. 65/66, S. 9-18.

Kühl, Richard (2009): Georg Merzbach (1868–1939), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 494-497.

Merzbach, Siegfried (Kaufmann) geb. 1.12.1870 (Offenbach) – gest. 28.2.1936 (Berlin)

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Siegfried Merzbach wurde 1870 im hessischen Offenbach in eine angesehene und weitverzweigte, offenbar liberale jüdische Familie geboren. Die Eltern hatten als Cousin und Cousine geheiratet. Der Großvater mütterlicherseits und Großonkel väterlicherseits war Selig Siegmund Merzbach (1805–1869), der 1832 das Bankhaus Merzbach gegründet hatte. Zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt soll Siegfried Merzbach zum Katholizismus konvertiert sein. Vermutlich tat er dies um 1905 aus Anlass seiner Eheschließung mit Marie Krämer (1880–1960).

Wann genau Siegfried Merzbach nach Berlin gezogen ist, hat sich noch nicht ermitteln lassen. Noch 1902 wohnte er im bayrischen Mittelsinn und meldete von hier aus in Paris ein Patent für ein Verfahren zur Herstellung von Verschlussknöpfen für Brieftaschen und ähnliche Gegenstände an. Spätestens ab 1906 wohnte Siegfried Merzbach als Ingenieur und Hypothekenmakler zusammen mit seiner Frau in Wilmersdorf (Güntzelstraße 44), und um diese Zeit gehörte er dem Unabhängigen Orden Bne Briss (U.O.B.B.) – heute B’nai B’rith – an, der sich der Förderung von Toleranz, Humanität und Wohlfahrt verschrieben hat. Später zog die Familie nach Schöneberg in die Martin-Luther-Straße 49. Siegfried Merzbachs letzte Anschrift in Berlin lautete Eisenacher Straße 63 (Schöneberg).

Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen wird Siegfried Merzbach ab 1908 mehrfach genannt. Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er am 1. November 1907 erstmals gewählt. Die Position hielt er bis mindestens 1920 bei.

Siegfried und Marie Merzbach hatten vier Kinder, unter ihnen einen Sohn, Herbert Merzbach (1905–1986), der später katholischer Priester in Frankreich und den USA wurde, und eine Tochter, die nach ihrer Emigration aus Deutschland unter ihrem Namen Elizabeth Gallinek (1901–1972) als Ärztin in New York praktizierte. Herbert Merzbach starb als Rev. H. Merzbach in Nampa, Idaho. Dort wurde 1960 auch seine Mutter Marie [jetzt: Maria] Merzbach beigesetzt. Sie war 1947 von Berlin aus in die USA übergesiedelt, wo sie zunächst einige Jahre in New York lebte, bevor sie zu ihrem Sohn nach Idaho zog.

Weiterführende Literatur

Monatsbericht des Wissenschaftlich-humanitären Komitees vom 1.11.1907 (Jg. 6, Nr. 11), S. 212.

Metelmann, Karl (Kriminalkommissar, Publizist) geb. 26.5.1881 (Plathe) – gest. nach 1943 (Ort nicht belegt)

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Karl Metelmann wurde 1921 erstmals als Beitragszahler des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. 1928 wurde er „in Anbetracht [seiner] wertvollen Mitarbeit” im WhK in das Obmännerkollegium der Organisation gewählt. Magnus Hirschfeld nannte Metelmann noch in seinem Testament. Heft II als einem „treue[n] Kreis alter u. neuer Freunde” zugehörig (ebd. S. 58 [30]).

Karl Metelmann dürfte erst 1908 nach Berlin gezogen sein. Ab diesem Jahr war er bei der Berliner Kriminalpolizei angestellt, zunächst ohne festen Zuständigkeitsbereich, von 1911 bis vermutlich 1925 dann aber in der Inspektion B I., zuständig für Diebstahl und Einbrüche. Aus einer späteren Veröffentlichung Metelmanns geht hervor, dass er zeitweise wohl auch bei der Sittenpolizei gearbeitet hat. Warum Karl Metelmann 1925 im Alter von 44 Jahren aus dem Polizeidienst entlassen wurde, ist nicht bekannt.

Bereits 1925 trat Metelmann in das Detektivbüro „Felix Krull” in der Schönhauser Allee 78 ein, das zu jener Zeit regelmäßig in der Zeitschrift Die Freundschaft warb. Metelmann führte demnach „Beobachtungen, Ermittlungen jeder Art, spez. Bearbeitung von Diebstählen und Erpressungen” durch. Ab 1929 verfasste er auch Artikel unter Titeln wie „Gesellschaft und Zuhältertum”, „Ein Tiermensch” (über den Massenmörder Karl Großmann) und „Vorgetäuschte Verbrechen und Sexualität”. Sie erschienen unter anderem in den Zeitschriften Die Aufklärung, Die Ehe und Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform.

1936 erschienen des Weiteren zwei Beiträge Metelmanns über Transvestiten und Voyeure im zweiten Band des Handwörterbuchs der Kriminologie. In diesen Beiträgen berief sich Metelmann explizit auf die Theorien und Schriften Magnus Hirschfelds und Arthur Kronfelds (1886–1941), was darauf hinweisen dürfte, dass sie noch vor 1933 entstanden waren.

Karl Metelmann war seit 1908 mit Lilly geb. Fissmer verheiratet. Das Ehepaar hatte mindestens zwei Töchter. Die Familie lebte von 1914 bis 1943 nachweislich in der Kniprodestr. 16 (Berlin-Pankow). Danach verlieren sich alle Spuren zu Karl Metelmann.

Schriften (Auswahl)

Metelmann, Karl (1930): Vorgetäuschte Verbrechen und Sexualität. In: Die Ehe (Jg. 5), Nr. 12, S. 362-363, 378.

Metelmann, Karl (1932): Ritter Blaubart und seine Nachfolger. In: Die Ehe (Jg. 7), Nr. 3, S. 80-81.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (2007): Der WhK-Obmann Kriminalkommissar Karl Metelmann, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 37/38, S. 89-92.

Michaëlis, Hermann (Schriftsteller) geb. 18.8.1868 (Braunschweig) – gest. 2.5.1943 (Magdeburg)

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Hermann Michaëlis wurde als Sohn des Buchhalters Eugen Michaëlis und dessen Frau Agnes geb. Schäfer in Braunschweig geboren. Er war Altphilologe, übersetzte unter anderem die Magdeburger Bischofschronik aus dem Lateinischen und publizierte 1907 das Buch Die Homosexualität in Sitte und Recht. Er war zunächst in der Nachfolge Richard Grunowskis Sekretär des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) und wurde 1911 in das Obmännerkollegium der Vereinigung gewählt.

Über Hermann Michaëlis’ Lebensweg war bis vor kurzem so gut wie nichts bekannt. Auf die Spur des Privatlehrers brachte den Magdeburger Ingenieur Eckhart W. Peters erst 2004 ein umfangreicher Fund an Büchern und Manuskripten in Lateinisch und Altgriechisch in einem Magdeburger Antiquariat, der auf einen 2003 verstorbenen Pfarrer aus dem Bördekreis zurückging. Dieser Pfarrer war um 1932 ein Schüler Hermann Michaëlis’ gewesen, noch bevor er das Studium der Theologie aufnahm.

Die Suche nach Lebenszeugnissen Hermann Michaëlis’ gestaltete sich in der Folge als ausgenommen schwierig. Zahlreiche universitäre Einrichtungen, Bibliothekare, Archivare, Pfarrer, Altphilologen und Lateinlehrer wurden in sie einbezogen, doch blieb dabei unbeachtet, dass das Buch Michaëllis’ über die Homosexualität von 1907 von dem Gesuchten verfasst wurde. Magnus Hirschfeld bezeichnete Hermann Michaëlis im Vorwort zu Die Homosexualität des Mannes und des Weibes 1914 als „ausgewiesenen Kenner der Homosexualität im klassischen Altertum”.

Hermann Michaëllis lebte spätestens ab den frühen 1920er Jahren (zunächst zusammen mit seiner verwitweten Mutter) in Magdeburg, wo er als Privatlehrer tätig war. Er starb 1943 im städtischen Versorgungsheim und Obdachlosenasyl Wallonerberg.

Schriften (Auswahl)

Michaëlis, Hermann (1907): Die Homosexualität in Sitte und Recht (Mit einem Geleitwort von Magnus Hirschfeld). Berlin: Hermann Dames.

Im Monatsbericht des WhK vom 1. Juli 1905 (S. 16) findet sich ein Hinweis auf den Beitrag „Zwischenstufen” von Hermann Michaëlis (in: Hilfe in der Not, 10. Flugschrift der Evangelisch-Protestantischen Mission, Ausgabe Juni/Juli 1905). Diese Flugschrift hat sich bislang noch nicht ermitteln lassen.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 825.

Peters, Eckhart W. und Sabine Ulrichs (2006): Hermann Michaëlis – eine Spurensuche, in: Peters, Eckhart W. (Hrsg.): Magdeburger Bischofschronik (übersetzt von Hermann Michaelis). Dößel: Verlag Janos Stekovics, S. 11-21.

Monath, Fritz (Kaufmann, Direktor) geb. 1873/74 (Nürnberg) – gest. 6.11.1928 (Berlin)

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Fritz Monath wird 1910 und 1920 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. Seine Identität ist noch nicht geklärt. Es handelt sich bei ihm vermutlich um den am 6. November 1928 in der Berliner Charité verstorbenen Direktor Fritz Monath, der 1873/74 in Nürnberg geboren wurde. Er war ledig und wohnte um 1928 in München, Lamontstr. 1. Fritz Monath war Aufsichtsratsmitglied der Bayrischen Elektrizitätswerke München-Landshut (mit der Adresse Klötzelmüllerstr. 35 in Landshut). Für ihn spricht, dass Landshut 1910 als einer der Wohnorte der Obleute des WhK genannt wurde.

von Muromzew, Michael (Ministerialsekretär) geb. 7.12.1894 (St. Petersburg, Russland) – gest. 9.6.1959 (Berlin)

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Zum Lebensweg Michael von Muromzews liegen kaum Angaben vor. Muromzew stammte gebürtig aus St. Petersburg. Er lebte in Berlin, war zeitweise Dolmetscher von Beruf und bekannte sich zur evangelischen Religion. Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1920 ernannt. Vermutlich 1925 hat sich Michael von Muromzew in Deutschland einbürgern lassen. Die Vertretung des Völkerbundes in Genf (Schweiz) bestätigte dem ehemaligen russischen Staatsangehörigen [von] Muromzew am 8. Januar 1925, dass er zur „Kategorie der russischen Flüchtlinge” gehöre.

Magnus Hirschfeld bezeichnet Michael von Muromzew in Von einst bis jetzt (1922/23) als „russischen Obmann” des WhK (ebd., S. 121). Das Berliner Adressbuch verzeichnet ihn 1927 als Kaufmann in der Eislebener Str. 15. Im gleichen Haus wohnte der Arzt Dr. med. Nikolaus Golobeff, dessen Tod Michael von Muromzew beim Standesamt anzeigte. Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (1923, S. 180) heißt es, Michael von Muromzew habe aus Anlass der Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen des WhK in einer „von dichterischem Schwung erfüllten” Ansprache die „sexuelle Not seiner Brüder” geschildert – gemeint war die Situation Homosexueller als Angehörige der „Ostvölker”. Einer der Anwesenden bei dieser Ansprache Michael von Muromzews war der homosexuelle russische Schriftsteller Sergej Nabokow (1900–1945), ein Bruder Wladimir Nabokows, von dem allerdings Hirschfeld schrieb, er sei Wladimir Nabokows „charmanter Sohn”.

Offenbar hat Michael von Muromzew Berlin und Deutschland spätestens Mitte der 1930er Jahre verlassen und ist nach Bulgarien gezogen. Die näheren Umstände sind noch unbekannt. Nach 1945 muss er dann jedoch nach Berlin zurückgekehrt sein. Michael von Muromzew starb am 9. Juni 1959 in (West-) Berlin und wurde wenig später auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Berlin-Tegel beigesetzt. Sein Grab ist heute leider nicht mehr erhalten.

Schriften (Auswahl)

Muromzew, Michael von (1923): Der Pathicus, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 23), S. 46-57.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1986): Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, 1). Berlin: Verlag rosa Winkel.

von Neugebauer, Franz Ludwig (Dr. med., Gynäkologe) geb. 11.4.1856 (Kalisz, Polen) – gest. 13.11.1914 (Warschau, Polen)

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Franz Ludwig von Neugebauer. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Franz Ludwig von Neugebauer wurde 1856 als Sohn eines deutschstämmigen Arztes und dessen Ehefrau im polnischen Kalisz geboren. Schon der Vater, Ludwig Adolph von Neugebauer, war Gynäkologe. Er wurde später außerordentlicher Professor in Warschau und galt seinerzeit als einer der bekanntesten Ärzte Polens.

Franz Ludwig von Neugebauer studierte von 1874 bis 1880 in Warschau und in Dorpat (Tartu, Estland) Medizin. Im Anschluss an seine Promotion bildete er sich in mehreren Krankenhäusern Europas und Nordamerikas in Gynäkologie und Geburtshilfe weiter und kehrte 1887 nach Warschau zurück, wo er zunächst in einem von seinem Vater geleiteten Krankenhaus als Arzt tätig wurde. Er war verheiratet und wurde Vater einer Tochter. Von 1897 bis zu seinem Tod 1914 war Neugebauer Chefarzt einer von ihm selbst gegründeten Abteilung für Frauenkrankheiten am Evangelischen Krankenhaus in Warschau.

Franz Ludwig von Neugebauer veröffentlichte mehrere hundert wissenschaftliche Arbeiten auf Polnisch und Deutsch, in denen es vor allem um Fragen zur Gynäkologie ging. Sein Hauptinteresse galt indes der Intersexualität, die im damaligen Sprachgebrauch „Hermaphroditismus” oder „Pseudohermaphroditismus” genannt wurde. Hauptwerk von Neugebauers ist das Buch Hermaphroditismus beim Menschen, das 1908 in Leipzig erschien. Es wurde nicht nur schnell zu einem Standardwerk auf seinem Spezialgebiet, sondern ist auch heute noch von herausragender kulturgeschichtlicher Bedeutung. Zentral in der Darstellung von Neugebauers ist eine Sammlung von Falldarstellungen aus mehreren Epochen, die in dem Buch mehr als 550 Seiten umfasst. Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen präsentierte Franz Ludwig von Neugebauer in einem Beitrag von 1905 über 2000 Fälle von Intersexualität.

Franz Ludwig von Neugebauer war auch Mitherausgeber der Zeitschrift Der Frauenarzt. Monatshefte für Gynäkologie und Geburtshilfe, und er wurde 1914, wenige Monate vor seinem Tod, Mitglied der angesehenen Wissenschaftlichen Gesellschaft Warschaus. Er trug auch den Titel Hofrat. Ebenfalls 1914 wurde er in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.

Schriften (Auswahl)

Neugebauer, Franz Ludwig [1896]: Verzeichniss wissenschaftlicher Arbeiten, Berichte, Vorträge und Demonstrationen von Kranken, anatom. Präparaten und chirurg. Instrumenten etc. für die Jahre 1881–1896. Breslau: Verlag von Preuss & Jünger.

Neugebauer, Franz Ludwig von (1902): Interessante Beobachtungen auf dem Gebiet des Scheinzwittertums. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 4, S. 1-176.

Neugebauer, Franz Ludwig von (1905): Zusammenstellung der Literatur über Hemaphroditismus beim Menschen. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 7, S. 473-670.

Neugebauer, Franz Ludwig von (1906): Zusammenstellung der Literatur über Hermaphroditismus beim Menschen. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 8, S. 687-700.

Neugebauer, Franz (1908): Das Verhältnis der sekundären zu den primären Geschlechtscharakteren. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft (1), S. 129-138.

Neugebauer, Franz Ludwig von (1908): Hermaphroditismus beim Menschen. Vorwort vom Verfasser. Leipzig: Dr. Werner Klinkhardt.

Weiterführende Literatur

Garrels, Lutz (2000): Wandeln an den Grenzen des Geschlechts. Über das Werk Franz von Neugebauers, in: Dannecker, Martin und Reimut Reiche (Hrsg.): Sexualität und Gesellschaft. Festschrift für Volkmar Sigusch. Frankfurt/Main und New York: Campus, S. 185-198.

Garrels, Lutz (2009): Franz Ludwig von Neugebauer, in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau: Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/Main und New York: Campus Verlag, S. 548-550.

Ostrowska, Teresa (1977): Neugebauer, Franciszek Ludwik, in: Rostworowski, Emanuel (Hrsg.): Polski Słownik Biograficzny (Band 22). Wrocław u.a.: Polska Akademia Nauk, S. 684-685.

Neuhaus, Max (Dr. phil., Musikschriftsteller) geb. 1874 (Hannover?) – gest. 15.2.1935 (München)

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Die Lebensumstände Dr. Max (Christian Karl Wilhelm) Neuhaus’ sind weitgehend unbekannt. Belegt ist, dass er 1912 in Paris lebte. Offenbar handelte es sich bei ihm um jenen Musikschriftsteller und -kritiker, der ab etwa 1912 Konzertbesprechungen und andere Texte in der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt veröffentlichte. Er war zeitweise auch als Komponist und Librettist tätig.

1917 hieß es in Signale für die musikalische Welt, Max Neuhaus habe im britischen Kriegsgefangenenlager „Knockaloe, Camp II“ auf der Isle of Man ein Konzert mit Werken unter anderem von Mozart und Tschaikowsky dirigiert. Neuhaus sei bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges Korrespondent von Signale in London und noch davor in Deutschland „als junger, vielversprechender Dirigent bekannt“ gewesen. Jetzt sei er „der populärste Mann des Gefangenenlagers“ und werde „von allen verhätschelt“.

Ab etwa 1921 berichtete Max Neuhaus in Zeitschriften wie Signale für die musikalische Welt und Neue Zeitschrift für Musik über Musikfestspiele und Konzerte in München. Später wurde er auch Musikreferent des Völkischen Beobachters. Offenbar war Neuhaus in den 1920er Jahren zudem noch als Kapellmeister tätig. Er heiratete 1923 die Malerin Martha Bernstein (1874–1955), doch die Ehe wurde bereits 1927 wieder geschieden.

Max Neuhaus schied am 15. Februar 1935 in München durch Suizid aus dem Leben. Nicht gesichert ist, ob er mit jenem Max Neuhaus identisch war, der 1929 zusammen mit Annie Vigeveno (1899–1989) die Gedichtsammlung Der unsterbliche Freund (ursprünglich 1928) des indischen Theosophen Jiddu Krishnamurti (1895–1986) bzw. dessen Reden am Feuer aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte.

Ebenfalls ungeklärt ist, ob es sich bei dem 1912 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) ernannten Max Neuhaus um jenen Kapellmeister Max Neuhaus handelte, der 1905 beschuldigt wurde, sich zusammen mit anderen in einer Hannoveraner Badeanstalt jungen Männern „unsittlich” genähert zu haben. Der Kapellmeister wurde damals zu zwei Monaten Haft verurteilt, stammte aber wohl gebürtig aus Leipzig.

Weiterführende Literatur

Kleinere Mitteilungen von hier und dort, in: Signale für die musikalische Welt 1917, Nr. 3, S. 60-62.

Todesfallmeldung, in: Signale für die musikalische Welt 1935, S. 348.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 872.

Hoffschildt, Rainer (1992): Olivia. Die bisher geheime Geschichte des Tabus Homosexualität und der Verfolgung der Homosexuellen in Hannover. Hannover: Selbstverlag, S. 28 und 30.

Nicoladoni, Josef (Ingenieur) geb. 25.6.1859 (Wien, Österreich) – gest. 15.11.1940 (Wien, Österreich)

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Josef Nicoladoni entstammte einer Familie von Rauchfangkehrern, die ursprünglich in Norditalien ansässig gewesen war. Der Vater Josef Anton Nicoladoni kam gebürtig aus Locarno in der Schweiz, er war katholisch und Kaufmann von Beruf. Die Mutter Georgina Johanna Maria geb. Gering kam hingegen aus Genf in der Schweiz und war Calvinistin. Die Eltern hatten am 24. August 1857 in Döbling bei Wien geheiratet. Josef Nicoladoni war ihr zweigeborenes Kind und hatte mindestens sechs Schwestern.

Josef Nicoladoni wurde offenbar katholisch erzogen. Er wurde Ingenieur von Beruf und wohnte spätestens ab den 1880er Jahren in Wien, wo er als „K.u.k.-Heizobjekte-Fabrikant“ tätig war. Als Adressen sind für ihn u.a. nachweisbar: 1907: IV, Heumühlgasse 18 I; 1911: III, Heumarkt 7; 1931 III, Heumarkt 17.

Um 1906 versuchte Josef Nicoladoni zusammen mit dem österreichischen Arzt und Psychoanalytiker jüdischer Herkunft Wilhelm Stekel (1868–1940), der sich zeitweise von Sigmund Freud (1856–1939) behandeln ließ, in Wien eine österreichische Dependance des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) zu gründen. Als Vereinssitz wurde die Heumühlgasse 18, also die damalige Wohnadresse Nicoladonis, angegeben. Josef Nicoladoni wurde 1907, 1910 und 1920 als österreichischer Obmann des WhK genannt.

Über den Lebenswandel Josef Nicoladonis nach 1920 liegen keine Angaben vor. Belegt ist lediglich, dass er am 8. November 1939, ein Jahr vor seinem Tod, aus der katholischen Kirche austrat.

Weiterführende Literatur

Brunner, Andreas (2015): Rund um den Naschmarkt. Das schwule Biotop Wiens, in: Lambda Nachrichten (Jg. 37), Nr. 4, S. 32.

Niemann, Walther (Dr. jur., Rechtsanwalt) geb. 3.6.1880 (Waren/Müritz) – gest. vor 1955 (Ort nicht belegt)

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(Martin Heinrich) Walther Niemann besuchte das Gymnasium in Neustrelitz, studierte in Leipzig, München und Halle und war anschließend Referendar in Magdeburg. Seine Dissertation Zur Lehre von der Drohung des § 123 im BGB insbes. von dem Begriffe der Widerrechtlichkeit wurde Anfang 1908 verteidigt. Später war Dr. jur. Walther Niemann Rechtsanwalt und Notar in Berlin W 10, Friedrich-Wilhelm-Str. 6a (am Lützowplatz). Eine letzte Adresse war (1934–1940) Kaiserallee 20, Berlin W15.
Niemann war seit 1911 mit Wilhelmine Klara Eichler verheiratet, die Tochter Ruth wurde 1912 geboren.

Walther Niemanns Sterbedatum ist nicht bekannt; er ist vor 1955 gestorben, vermutlich aber früher, denn am Wiedergutmachungsverfahren war er nicht beteiligt.

Walther Niemann wurde 1920 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt, und von 1921 bis 1923 war er zudem Mitglied im Vorstand der Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Aktiv wurde er auch im Aktionsausschuss des WhK und der Freundschaftsbünde zur Abschaffung des § 175 RStGB. Für diesen Ausschuss ging er zusammen mit Magnus Hirschfeld im Dezember 1921 als Delegierter zur Audienz beim neuen Justizminister Gustav Radbruch (1878–1949). Im gleichen Jahr war er Teilnehmer des ersten Kongresses für Sexualreform mit einem Beitrag über „Geschlechtsberichtigung in der modernen Gesetzgebung“ gewesen. Für das Institut fungierte Niemann als Justitiar. Er übernahm Rechtsberatung und -vertretung in Strafsachen und Eheangelegenheiten, bei Erpressungen und den von Transvestiten angestrebten Namensänderungen. In diesen Fällen erreichte er im Sommer 1920 eine generelle Regelung des Justizministers, dass die Amtsgerichte nach Prüfung des Einzelfalls die Erlaubnis zum Tragen eines geschlechtsneutralen Vornamens erteilen konnten, wenn dies für das Fortkommen der antragstellenden Person erforderlich war. In Berlin scheint dieses Verfahren bis in die frühen dreißiger Jahre üblich gewesen zu sein; es konnte binnen einiger Wochen abgeschlossen werden.

Walther Niemann vertrat das Institut auch in alltäglichen Bau-Angelegenheiten sowie Hirschfeld selbst in Rechtsangelegenheiten – wohl als Nachfolger von Siegfried Chodziesner (1872–1948). Hirschfeld hatte Niemann möglicherweise auch als persönlichen Vermögensverwalter eingesetzt, bevor er auf seine Weltreise ging.

Walther Niemann wurde am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP. Auch in den folgenden Jahren scheint er sich weiter für die Belange von Homosexuellen verwandt zu haben, soweit dies unter den geänderten Umständen möglich war. Ein bei den Akten der Gestapostelle Würzburg befindliches Schreiben vom Berliner GeStaPA vom Januar 1937 vermeldet über ihn: „Niemann ist Parteigenosse und wird seit einiger Zeit fast ausschliesslich bei der Kammer des Amtsgerichtsrats Sponer, Berlin, als Offizialverteidiger der Homosexuellen bestellt. […] Im allgemeinen erfreut sich Dr. Niemann eines sehr guten Rufes. Er ist verheiratet. Nachteiliges über ihn konnte nicht festgestellt werden“ (zit. nach Sternweiler 1997, S. 177).

Weiterführende Literatur

Sternweiler, Andreas (1997): Trotzdem leben, in: Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Eine Ausstellung des Schwulen Museums und der Akademie der Künste, 17. Mai bis 17. August 1997 [Katalog]: Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 175-181.

Numa Praetorius (= Eugen Wilhelm, Dr. jur.) geb. 19.3.1866 (Straßburg, Frankreich) – gest. 23.10.1951 (Straßburg, Frankreich)

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Eugen Wilhelm wurde 1866 in eine wohlhabende Straßburger Kaufmannsfamilie geboren. Um seine finanzielle Situation musste er sich zeit seines Lebens keine Sorgen machen. Von 1885 bis 1890 studierte er Rechte an der Straßburger Kaiser-Wilhelm-Universität, und hier erlangte er 1890 auch die juristische Doktorwürde. Für die Richterlaufbahn entschied sich Eugen Wilhelm erst nach längerem Zögern, weil eine solche Karriere im deutschen Staatsdienst für junge Elsässer seiner Zeit alles andere als selbstverständlich war.

1893 wurde Eugen Wilhelm zum Gerichtsassessor, 1901 zum Amtsrichter in Straßburg und 1906 hier schließlich zum Amtsgerichtsrat befördert. Die unauflöslichen Widersprüche und ständigen Gefahren, die mit einer richterlichen Tätigkeit in der Kaiserzeit einhergingen, wenn der Richter selbst homosexuell war, liegen auf der Hand. In Folge einer gegen ihn eingeleiteten Voruntersuchung wegen homosexueller Betätigung schied Wilhelm 1908 aus dem Justizdienst aus, um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden. Anschließend lebte er als Rentier.

Der Erste Weltkrieg bedeutete einen tiefen Bruch in Eugen Wilhelms Verhältnis zu Deutschland. Zwar erwies sich Wilhelm im Zuge zahlreicher Rezensionen und vergleichender Studien nach wie vor als ausgezeichneter Kulturvermittler zwischen Frankreich und Deutschland; die persönlichen Beziehungen zu dem Land, das 1871 Elsass-Lothringen gegen den Willen der Bevölkerung annektiert hatte, waren aber unwiderruflich beschädigt.

1919 eröffnete Wilhelm eine Rechtsanwaltspraxis in Straßburg, und ein Jahr später zählte er zu den Mitbegründern und Herausgebern der französischsprachigen Zeitschrift Revue juridique d´Alsace et de Lorraine, die sich den Eigenheiten des lokalen Rechtswesens in Elsass-Lothringen zuwandte. Wilhelm blieb bis etwa 1938 berufstätig. Während des Zweiten Weltkrieges wurde er aufgrund seiner Homosexualität von den Nationalsozialisten im Elsass interniert. Er starb hochbetagt 1951 in seiner Heimatstadt.

Grab vergrößern
Grabmal Eugen Wilhelms in Straßburg (Foto: Régis Schlagdenhauffen)
Eugen Wilhelm war im emanzipatorischen Kampf der ersten Homosexuellenbewegung der Welt meist unter dem Pseudonym „Numa Praetorius“ aktiv. Bereits vor der Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) hatte er ab 1892 einzelne anonyme Aufsätze zum Thema „Urningsliebe“ verfasst. Bei ihnen handelte es sich um sowohl um Objektivität bemühte juristische Abhandlungen als auch um polemisierende Erwiderungen.

Innerhalb des WhK beteiligte sich „Numa Praetorius“ von Anfang an schriftstellerisch, organisatorisch und finanziell an den Bestrebungen zur Entkriminalisierung des § 175 RStGB, der männliche Homosexualität in Deutschland mit Strafe belegte. In nahezu jeder Ausgabe des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen war mindestens ein Beitrag von ihm zu lesen, so dass Magnus Hirschfeld Wilhelm 1922 als den „weitaus produktivste[n] Mitarbeiter“ der Publikation bezeichnete.

Eugen Wilhelm war im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen von 1900 bis 1922 insbesondere für die „Bibliographie der Homosexualität“ zuständig, ein gewaltiges Unterfangen, das von der medizinischen und juristischen Fachliteratur über die zeitgenössische Rezeption des WhK bis hin zur Belletristik reichte. Außerdem verfasste er Studien über „berühmte Homosexuelle“ sowie juristische Arbeiten zur Homosexualität.

Eugen Wilhelm wurde 1907 in das Obmänner-Kollegium des WhK gewählt und 1922 – obwohl seine Mitwirkung innerhalb der Organisation seit dem Ersten Weltkrieg deutlich nachgelassen hatte – zum „Ehrenmitglied“ des Komitees ernannt.

Schriften (Auswahl)

Praetorius, Numa, [d. i. Wilhelm, Eugen] (1903): Bibliographie der Homosexualität. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 5 (Band 2), S. 943-1155.

Praetorius, Numa, [d. i. Wilhelm, Eugen] (1906): Die Bibliographie der Homosexualität für das Jahr 1905. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 8, S. 701-886.

Praetorius, Numa, [d. i. Wilhelm, Eugen] (1909): Bildet die Bezeichnung eines Menschen als „homosexuell” eine Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches und inwiefern? In: Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 6, S. 340-346.

Praetorius, Numa, [d. i. Wilhelm, Eugen] (1916): Der Streit um Walt Whitmans Homosexualität im „Mercure de France” und den „Archives d’anthropologie criminelle” vom Jahre 1913–14. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft 3 (8), S. 326-339, und Zeitschrift für Sexualwissenschaft 3 (9), S. 9.

Praetorius, Numa, [d. i. Wilhelm, Eugen] (1928): Voltaire und die Homosexualität. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik 15 (8), S. 571-579.

Numa Praetorius, [d.i. Wilhelm, Eugen] (2008): Drei Romane von Achille Essebac. Rezension aus dem Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1905, S. 1031-1043. In: Capri (41), S. 31-35.

Weiterführende Literatur

Dubout, Kevin (2011): Eugen Wilhelms Tagebücher. Editorische Probleme, Transkriptions- und Kommentarprobe. In: Jörg Jungmayr (Hg.): Officina editorica (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft, Bd. 10). Berlin: Weidler Buchverlag, S. 215-304.

Dubout, Kevin (2016): Durch Rezension zur Emanzipation? Die „Bibliographie der Homosexualität“ (1900–1922) im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Libreas. Library Ideas, 29). Online verfügbar hier.

Dubout, Kevin (2018): Der Richter und sein Tagebuch. Eugen Wilhelm als Elsässer und homosexueller Aktivist im Deutschen Kaiserreich (Geschichte und Geschlechter, Bd. 70). Frankfurt: Campus.

Dubout, Kevin (2018): Entre “vice allemand” et “décadence française”. L’Alsacien Eugène Wilhelm (1866-1951), militant homosexuel et passeur culturel à la Belle Époque. In: Arnaud Boulligny (Hg.): Les homosexuel.le.s en France. Du bûcher aux camps de la mort. Histoire et mémoire d’une répression. Paris: Éditions Tirésias-Michel Reynaud, S. 37-48.

Dubout, Kevin; Wolfert, Raimund (2013): „Eigentümliche Städte, sympathische Völker und Sehenswürdigkeiten von großer Schönheit”. Zur Skandinavien-Rundreise des WhK-Aktivisten Eugen Wilhelm 1901. In: Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 15, S. 9-44.

Schlagdenhauffen, Régis: Projet Numa Praetorius [in französischer Sprache].

Oberg, Eduard (Betriebssekretär, später Privatier) geb. 16.9.1858 (Hamm, Westfalen) – gest. 1.10.1917 (Berlin)

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1897, als Eduard Oberg zusammen mit Magnus Hirschfeld, Max Spohr und Franz Joseph von Bülow das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) gründete, zog er von Hamm nach Hannover und arbeitete als Sekretär für die Kgl. Preußische Staats-Eisenbahn. Er hatte sich im Jahr zuvor an den Verleger Spohr in Leipzig gewandt, um in Kontakt mit Hirschfeld zu kommen, der 1896 sein Buch Sappho und Sokrates oder „Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts” unter Verwendung eines Pseudonyms bei Spohr veröffentlicht hatte. Eine erste persönliche Begegnung zwischen Hirschfeld und Oberg fand im Oktober 1896 statt.

Eduard Oberg engagierte sich im WhK mit erheblichen Spendenzahlungen, obwohl er vermutlich nicht sehr vermögend war. 1903 wurde er nach Bromberg, dem heutigen Bydgoszcz (Polen), versetzt, und schon 1910 schied er aus dem aktiven Beamtenverhältnis aus und ließ sich als Privatier in Berlin nieder. In diesem Jahr ließ er sich auch unter seinem Klarnamen in den Vorstand des WhK wählen. Eduard Oberg gehörte in dieser Zeit zum engsten Kreis derjenigen, die über die Belange der Vereinigung informiert waren, die politische Richtung erarbeiteten und Entscheidungen trafen. Ab 1913, als das WhK offiziell 468 Abonnenten hatte, betreute er zudem das der Vereinigung zugehörige „Dezernat für Presse und Gewinnung neuer Mitglieder”.

Magnus Hirschfeld beschrieb Eduard Oberg später als „ein wenig schroff und mürrisch nach außen”, er sei ein „echter Sohn des Westfalenstamms”. Ähnliche Töne schlug Georg Plock (1865–1930), der damalige Sekretär des WhK, an, als er in seiner Trauerrede sagte, Oberg habe oft „eine etwas rauhe Außenseite” gezeigt, „aber wer ihn näher kennenlernte, fand bald unter der rauhen Schale den trefflichen Kern.”

Eduard Oberg schied im Alter von 59 Jahren aus dem Leben. Die Gründe für seinen Selbstmord sind vermutlich in seiner prekären materiellen Lebenssituation während des Ersten Weltkrieges und in einem „schweren Nervenleiden” zu suchen, von dem Oberg bereits um 1906 befallen wurde.

Weiterführende Literatur

Hoffschildt, Rainer (2007): Eduard Oberg, Mitbegründer des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees” (1858–1917), in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 37/38, S. 93-103.

Ostwald, Hans (Schriftsteller) geb. 31.7.1873 (Berlin) – gest. 8.2.1940 (Berlin)

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Hans (Otto August) Ostwald wuchs als Sohn eines Schmieds in Berlin und Stargard (Pommern, heute Polen) auf. Er absolvierte eine Lehre als Goldschmied, wurde jedoch schon nach kurzer Zeit der Erwerbstätigkeit arbeitslos. In der Folge zog er als wandernder Handwerksbursche und „Landstreicher“ für etwa anderthalb Jahre durch Deutschland, wobei er über seine Erlebnisse Tagebuch führte. Seine Aufzeichnungen bearbeitete er später zu dem Roman Vagabonden (1900), mit dem er einen großen Erfolg feiern konnte. Fortan konnte er bis zu seinem Tod als freier Schriftsteller in Berlin leben.

Hans Ostwald machte sich vor allem als Chronist der „niederen” sozialen Schichten in Deutschland einen Namen. Als populärwissenschaftlicher Autor und Herausgeber war er ungemein produktiv. Von 1904 bis 1908 gab er unter dem Titel „Großstadt-Dokumente“ eine Buchreihe heraus, die insgesamt 51 Bände umfasste. Er arbeitete dabei mit so renommierten Autoren, Fachleuten und Journalisten wie Julius Bab (1880–1955), Max Winter (1870–1937) und Magnus Hirschfeld zusammen. Ostwalds Intention mit der Buchreihe war es, die Kultur „von unten” zu beleuchten.

Hans Ostwald und Magnus Hirschfeld standen nachweislich knapp dreißig Jahre in Kontakt und freundschaftlicher Beziehung zueinander. Hirschfeld steuerte für Ostwalds „Großstadt-Dokumente“ schon sehr früh den Band Berlins Drittes Geschlecht (1904) bei. Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft konnte in den 1980er Jahren zwei Publikationen Hans Ostwalds über den sozialkritischen Grafiker, Maler und Fotografen Heinrich Zille (1858–1929) mit persönlichen Widmungen an Magnus Hirschfeld antiquarisch erwerben. Diese Bücher waren 1933 bei der Plünderung des Instituts für Sexualwissenschaft gestohlen worden – der Dieb (Fritz Krönker) hat das selbst im Buch dokumentiert. Nach 1933 waren Hans Ostwald nur noch wenige Publikationen möglich.

Hans Ostwald wurde 1907 und 1910 als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Schriften (Auswahl)

Ostwald, Hans (1900): Vagabonden. Berlin: Bruno & Paul Cassirer. Neuausgabe 2018 als Ostwald, Hans: Vagabunden. Ein autobiographischer Roman. Berlin: Comino.

Ostwald, Hans (1905): Berliner Tanzlokale (Großstadt-Dokumente, 4). Berlin, Leipzig: Hermann Seemann Nachf.

Ostwald, Hans [1906]: Männliche Prostitution im kaiserlichen Berlin (Das Berliner Dirnentum, 5). Leipzig: Fiedler. Neuausgabe 1991 als Ostwald, Hans: Männliche Prostitution im kaiserlichen Berlin. Berlin: Janssen.

Ostwald, Hans [1928]: Das galante Berlin. Berlin: Klemm.

Ostwald, Hans (1929): Das Zillebuch. Unter Mitarbeit von Heinrich Zille. Berlin: Paul Franke.

Ostwald, Hans (1930): Zille’s Vermächtnis. Unter Mitarbeit von Hans Zille. Berlin: Paul Franke.

Als Herausgeber

Hirschfeld, Magnus (1904): Berlins Drittes Geschlecht (Großstadt-Dokumente, 3). Berlin, Leipzig: Hermann Seemann Nachf.

Weiterführende Literatur

Dose, Ralf (1999): Ostwald, Hans Otto August. In: Neue Deutsche Biographie. Neunzehnter Band Nauwach-Pagel. Berlin: Duncker & Humblot, S. 634-635, Sonderdruck. Online verfügbar hier.

Jazbinsek, Dietmar, Bernward Joerges und Ralf Thies (2001): The Berlin “Großstadt-Dokumente”: A Forgotten Precursor of the Chicago School of Sociology. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH. Berlin (Schriftenreihe der Forschungsgruppe „Metropolenforschung” des Forschungsschwerpunktes Technik-Arbeit-Umwelt am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, FS II 01-502). Online verfügbar hier.

Ostwald, Hans (2014): Dunkle Winkel. Berlin: be.bra verlag.

Ostwald, Hans (2020): Berlin – Anfänge einer Großstadt. Szenen und Reportagen 1904–1908. Hrsg. Thomas Böhm. Berlin: Galiani Verlag.

Thies, Ralf (2006): Ethnograph des Dunklen Berlin. Hans Ostwald und die Großstadt-Dokumente (1904–1908). Köln: Böhlau.

Otto, Hans

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Dr. Hans Otto wurde 1913 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Bislang hat sich nicht ermitteln lassen, um wen es sich bei ihm handelte, da es Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts mindestens vier Männer im Deutschen Reich gab, die Hans Otto hießen und eine Dissertation vorgelegt hatten.

Hans L. W. Otto (geb. 13. Juni 1865 in Perleberg, Mark) legte seiner Dissertation zur Erlangung der philosophischen Doktorwürde 1897 an der Universität Greifswald unter dem Titel „Kritische Studie über das anonyme Jeu saint Löys, roy de France” vor. Ebenfalls die philosophische Doktorwürde erwarb 1903 Hans Friedrich Otto (geb. 1. Dezember 1875 in Giebichenstein, heute ein Stadtteil von Halle/Saale) mit der Arbeit „Über die Kondensationsprodukte des Citrals und Citronellals mit Malonsäure” an der Vereinigten Friedrich-Universität Halle-Wittenberg. Die Dissertation zur Erlangung der medizinischen Doktorwürde von Hans Carl Friedrich Otto (geb. 1. September 1875 in Müncheberg, Mark Brandenburg) im Jahr 1903 trug den Titel „Ein Fall von Artresia hymenalis congenita”, und im Folgejahr erlangte ebenfalls die medizinische Doktorwürde an der Kgl. Universität Greifswald Hans Karl Ludwig Otto (geb. 7. Juli 1879 in Grabow, Pommern) mit der Schrift „Historische und kritische Darstellung unserer Kenntnis von den parametritischen Abscessen”. Alle vier veröffentlichten Dissertationen enthalten weiterführende biografische Angaben zu ihren Verfassern und ihrem Werdegang.

Weiterführende Literatur

Otto, Hans L. W. (1897): Kritische Studie über das anonyme Jeu saint Löys, roy de France. Greifswald: Kunike.

Otto, Hans Carl Friedrich (1903): Ein Fall von Artresia hymenalis congenita. Berlin: G. Schade.

Otto, Hans Friedrich (1904): Über die Kondensationsprodukte des Citrals und Citronellals mit Malonsäure. Halle: Kaemmerer.

Otto, Hans Karl Ludwig (1904): Historische und kritische Darstellung unserer Kenntnis von den parametritischen Abscessen. Greifswald: Adler.

Pavia, Isidore Leo (Schriftsteller; Komponist) geb. 10.3.1875 (London, Großbritannien) – gest. 26.9.1945 (London, GB)

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Isidore Leo Pavia war ein britischer Musiker und Übersetzer jüdischer Abstammung. Seine Eltern stammten aus den Niederlanden und Italien. Er ließ sich zum Pianisten ausbilden und debütierte 1890 mit zwei Solokonzerten in der Londoner St. James‘s Hall, doch wurde das Konzert von Kritikern in der Presse verrissen. Daraufhin ging Pavia für zwei Jahre nach Wien, um bei Theodor Leschetizky (1830–1915) weitere Klavierstunden zu nehmen. Er wurde nie ein anerkannter Konzertpianist, sondern zog es vor, sein musikalisches Talent in Salons zum Besten zu geben.

Isidore Leo Pavia war mit Hermann von Teschenberg (1866–1911) befreundet und übersetzte in Zusammenarbeit mit diesem einige Werke Oscar Wildes (1854–1900) ins Deutsche.

Im Mai 1911 besuchte Pavia Berlin, um im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) einen Vortrag zu halten. Um diese Zeit brachte das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen auch einen längeren Fortsetzungsartikel unter dem Titel „Die männliche Homosexualität in England, mit besonderer Berücksichtigung Londons. Ein Beitrag zur Sittengeschichte“ aus seiner Feder. 1914 wurde Pavia, weniger als zwei Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, zum Londoner Obmann des WhK gewählt, und 1916 wurde er zu einem britischen Kriegsgefangenenlager abkommandiert, um als Kapellmeister deutsche Kriegsgefangene zu bewachen.

Obwohl Pavia bei der ersten Nachkriegs-Generalversammlung des Berliner WhK als Obmann wiedergewählt wurde, scheint sein Interesse an den Aktivitäten der Vereinigung nunmehr erloschen gewesen zu sein. In den nachfolgenden Berichten des WhK taucht sein Name nicht mehr auf.

Isidore Leo Pavia starb am 26. September 1945 in London.

Weiterführende Literatur

Agate, James: [Nachruf auf Isidore Leo Pavia] in: The Times, London, vom 28.9.1945, S. 7.

Herzer, Manfred (2008): Personalbibliografie Isidore Leo Pavia (1875–1945), in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 41, S. 28-29.

Schroeder, Horst (2008): Der erste Herausgeber der Vierakt-Fassung von The Importance of Being Earnest: Hermann Freiherr von Teschenberg. In: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 41, S. 17-28, hier ab S. 23.

Pfannkuche jun., Adolf (Dr. med., Arzt) geb. 15.7.1873 (Harburg) – gest. 24.3.1938 (Harburg)

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Adolf Pfannkuche war der Sohn des gleichnamigen praktischen Arztes Dr. med. Adolf Pfannkuche in Harburg, der ein naher Verwandter des Regionalhistorikers und Verdener Bürgermeisters Christoph Gottlieb Pfannkuche (1785–1868) war. Adolf Pfannkuche sen. war seit 1872 mit Sophie Warnstorff verheiratet, Adolf Pfannkuche jun. war ihr Erstgeborener. Das Ehepaar hatte neben ihm noch ein Kind, die Tochter Paula Pfannkuche (1874–1964).

Nach dem Besuch der Harburger Realschule, des Gymnasiums in Lüneburg ab 1885 und der Klosterschule in Ilfeld/Harz ab 1890 studierte Adolf Pfannkuche jun. Medizin in Tübingen, Göttingen und Kiel. Nachdem er 1899 die Approbation erhalten hatte, promovierte er 1901 in Kiel mit der Arbeit Zur Kenntniss der serösen Peritonitis und der Perithepatitis im Zusammenhang mit Pericarditis und Pleuritis (Kiel: Handorff 1901). Anschließend wurde er von seinem Vater, der schwer am Herzen erkrankt war, in die Praxis eingearbeitet, bis er sie übernehmen konnte. Die ärztliche Praxis von Adolf Pfannkuche jun. befand sich in den 1930er Jahren in Harburg W 1, Ludwigstr. 12.

Adolf Pfannkuche blieb – ähnlich wie Christoph Gottlieb Pfannkuche – zeit seines Lebens unverheiratet. Als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1907, 1910 und 1920 genannt. Die letzten neun Lebensjahre wohnte er mit seiner ebenfalls unverheirateten jüngeren Schwester Paula zusammen. Adolf Pfannkuche starb am 24. März 1938 an einem Herzschlag und wurde auf dem Alten Friedhof in Hamburg-Harburg beigesetzt.

Schriften (Auswahl)

Pfannkuche, Adolf (1901): Zur Kenntniss der serösen Peritonitis und der Perithepatitis im Zusammenhang mit Pericarditis und Pleuritis. Kiel: Handorff.

Weiterführende Literatur

Pfannkuche, Adolf (ca. 1965): Geschichte der hannoverschen Familie Pfannkuche (Band 1). O.O.: Selbstverlag.

Pfannkuche, Elisabeth (ca. 1967): Geschichte der Familie Pfannkuche (Band 2). O.O.: Selbstverlag (hier bes. S. 126-135).

Plock, Georg (Pastor, Sekretär) geb. 7.3.1865 (Celle) – gest. 10.11.1930 (Berlin)

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Georg Plock war von 1894 bis 1904 erster Pastor in Hage/Ostfriesland. Vom 21. Januar 1909 bis 1923 war er Sekretär des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK). In dieser Funktion war er 1919 ganz maßgeblich am Aufbau der Bibliothek des Instituts für Sexualwissenschaft beteiligt, in die die bereits bestehenden Bestände der Bibliothek des WhK aufgingen. Zum Obmann des WhK wurde er 1920 gewählt.

Inmitten seiner Vorbereitungen für die Abreise nach Amerika würdigte Hirschfeld den langjährigen Mitstreiter in einem Nachruf: „Seine hervorragendste Eigenschaft war eine Zutrauen erweckende Ruhe und Milde, die es sehr schnell mit sich brachte, daß man sich ihm erschloß. Zu wie vielen Eltern ist er gegangen, um ihnen klar zu legen, daß ihr Sohn, den sie wegen seiner Homosexualität verstoßen hatten, nur das bedauernswerte Opfer einer unglücklichen Veranlagung sei und noch in höherem Grade das Opfer einer falschen Vorstellung und ebenso unrichtigen wie unrechten Beurteilung. Wie viele Kinder hat er den Eltern, wie viele Eltern den Kindern wiedergewonnen.“

Viel weniger freundlich urteilte Kurt Hiller (1885–1972) über Georg Plock: „Viele, viele Jahre lang war leitender Sekretär des Komitees ein Herr P., ein ehemaliger Pastor mit Affäre und Gefängnis, der durch den Pfarrer Friedrich Naumann, einen sehr namhaften Führer der gemäßigten Linken Deutschlands, in Hirschfelds Schutz befohlen worden war. Herr P. zeigte sich besten Willens und treu wie Gold, aber er war ein salbungsvoller Vollbart und im geistigen Kampf unmöglich. Gerade als der Kampf die Ebene der bloßen Theorie zu verlassen und, nach 1918, den Berg der Verwirklichung zu erklimmen begann, versagte der spießbürgerliche P. Vollkommen eingesponnen in seine kleine Abseitswelt, war er außerstande, Fühlung zu gewinnen mit den fortschrittlichen Persönlichkeiten der großen majoritären Welt – eben die Fühlung, auf die es ankam. Er wurde zur ständigen Verzweiflung sämtlicher Temperamente im Komitee. Hirschfeld war und war nicht dazu zu bringen, ihn abzuschaffen. Als 1922 der hervorragende junge Richard Linsert entdeckt war, benötigten wir fast ein Jahr, um Hirschfeld bereitzumachen, diesen wenigstens als Nebensekretär unter P. anzustellen. Die alte Mähre und der junge Jaguar waren vor dem Pfluge der ‚Bewegung‘ ein schier unmögliches Gespann; entsetzlich viel Kraft fürs Ziel wurde fürs innere Gegeneinander verpulvert; aber Hirschfeld entschloß sich erst dann zum Abbau P.s, als er in der Lage war, diesem Manne Verlag und Redaktion einer ‚einschlägigen‘ Zeitschrift zuzuschanzen… welche dann auch entsprechend wurde.“

Diese „einschlägige“ Zeitschrift war die Freundschaft, deren Redaktion Georg Plock 1924 übernahm und bis zu seinem Tode innehatte. Die Freundschaft brachte (bis 1926), wohl bedingt durch diese Personalie, auch die offiziellen Mitteilungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees, nachdem das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen inflationsbedingt sein Erscheinen hatte einstellen müssen.

Am Grabe Plocks hielt nicht Hirschfeld, sondern Karl Besser (1900–1931) die Trauerrede. Seine freundlichen Abschiedsworte stehen nicht unbedingt im Widerspruch zu Hillers ätzendem Urteil: „Seine hervorragendsten Eigenschaften lassen sich vielleicht am besten mit zwei Worten charakterisieren: Schlichtheit und Menschenliebe“ (zit nach: Mitteilungen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees Nr. 29, Sept. 1930/Febr. 1931; Reprint S. 290).

Schriften (Auswahl)

Plock, Georg. Hrsg. (1918): Zum 50. Geburtstag von Dr. Magnus Hirschfeld. In: Vierteljahresberichte des Wissenschaftlich-humanitären Komitees während der Kriegszeit (Jg. 18), Heft 2-3.

Weiterführende Literatur

Brand, Adolf (1931): Georg Plock, dem treuen Mitkämpfer, zum Andenken, in: Die Freundschaft (Jg. 13), Nr. 11, S. 165.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 932.

Hiller, Kurt (1948): Persönliches über Magnus Hirschfeld, in: Der Kreis/Le Cercle (Jg. 16), Nr. 5, S. 4f. [Nachdruck in Zeitschrift für Sexualforschung 6 (1993) 4, 353].

Hirschfeld, Magnus (1930): Zum Tode von Georg Plock, in: Die Freundschaft (Nr. 12) vom 12.12.1930, S. 178.

Wolfert, Raimund (2021): Vom Aufbau einer Sammlung. Betrachtungen zum Bestand der frühen WhK-Bibliothek, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (Jg. 68), Nr. 2, S. 83-96.

Richter (Amtsgerichtsrat)

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Es ist bislang unbekannt, um wen es sich bei dem „Amtsgerichtsrat Richter” gehandelt hat. Sämtliche weiterführenden Angaben fehlen. Möglicherweise ist der Name ein Pseudonym. „Amtsgerichtsrat Richter” wurde 1907 als Mitglied des Obmännerkollegiums genannt.

von Römer, Lucien (Dr. med., Arzt) geb. 23.8.1873 (Kampen, Niederlande) – gest. 23.12.1965 (Malang, Indonesien)

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Lucien Sophie Albert Marie von Römer entstammte einem in den Niederlanden seit Ende des 18. Jahrhunderts ansässigen deutschen Adelsgeschlecht. Er studierte Medizin in Leiden und Amsterdam und ließ sich 1903 als Nervenarzt in Amsterdam nieder. Forschungsreisen nach Berlin brachten ihn mit Magnus Hirschfeld in Verbindung. Ab 1902 publizierte von Römer regelmäßig im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Seine Dissertation von 1908 unter dem Titel „Beiträge zur Erkenntnis des Uranismus” wurde an der Amsterdamer Universität nicht zur Promotion angenommen, da sie nach Auffassung der Fakultät Texte und Abbildungen enthielt, die gegen die „guten Sitten” verstießen.

Seit 1906 war von Römer in der niederländischen Marine tätig. Nachdem er 1909 erstmals an einer Expedition auf Neuguinea teilgenommen hatte, ließ er sich um 1912 in Niederländisch-Ostindien (Indonesien) nieder und bekleidete dort verschiedene Ämter im Gesundheitswesen. Er spielte eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Epidemien und setzte sich für moderne Behandlungsmethoden bei psychischen Erkrankungen ein. Von Römer war seit 1921 verheiratet und hatte einen Sohn und einen Pflegesohn.

Magnus Hirschfeld besuchte von Römer 1931 auf seiner Weltreise und schrieb über ihn, er solle eigentlich „als Leuchte der Wissenschaft und Zierde seines Volkes” an einer niederländischen Universität tätig sein, statt „in seinen Büchern vergraben” auf Ostjava zu sitzen. Nach seiner Pensionierung 1932 praktizierte Lucien von Römer als Neurologe und Psychiater in Malang (Indonesien), wo er im Alter von 92 Jahren verstarb.

Lucien von Römer wurde von seinen Zeitgenossen bisweilen „der holländische Hirschfeld” genannt. Er war von 1904 bis mindestens 1920 Mitglied des Obmännerkollegiums des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) und 1912 einer der Unterzeichner des Gründungsaufrufs des Niederländischen WhK (NWHK).

Schriften (Auswahl)

Römer, L. S. A. M. von (1906): Der Uranismus in den Niederlanden bis zum 19. Jahrhundert, mit besonderer Berücksichtigung der großen Uranierverfolgung im Jahre 1730. Eine historische und bibliographische Skizze. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 8), S. 365-511.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1933): Die Weltreise eines Sexualforschers. Brugg: Bözberg-Verlag, S. 49, 159-162, 164.

Lieshout, Maurice van (1981): Stiefkind der natuur. Het homobeeld bij Aletrino en Von Römer. In: Ballas, Michael, Mattias Duyves und Jan Goossensen (Hrsg.): Homojaarboek 1. Artikelen over emancipatie en homoseksualiteit. Amsterdam: Van Gennep, S. 75-106.

Lieshout, Maurice van (2009): Lucien von Römer (1873–1965), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau: Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 602-604.

Rogge, Hendrik Cornelius (Dr. med., Neurologe) geb. 8.6.1877 (Waterlandkerkje, NL) – gest. 1.11.1953 (Kairo, Ägypten)

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Hendrik Cornelius Rogge, o.J. Foto in Privatbesitz.
Hendrik Cornelius Rogge war Neurologe und Psychiater. Er wurde am 8. Juni 1877 in Waterlandkerkje (Niederlande) geboren und war ein Neffe des Amsterdamer Historikers und Theologen gleichen Namens, der von 1831 bis 1905 lebte.

Von seinen Familienangehörigen und Freunden wurde Hendrik Cornelius Rogge „Henk“ oder „Henny“ genannt. Er verbrachte viele Jahre seiner Kindheit in Niederländisch-Indien (Indonesien), legte aber 1906 seine medizinische Dissertation an der Universität in Amsterdam vor. Sie erhielt den Titel De beteekenis der lange neerdalende achterstrengvezels voor de pathologische anatomie van de Tabes Dorsalis (Die Bedeutung der langen absteigenden Dorsalhornfasern für die pathologische Anatomie des Tabes Dorsalis).

Wann Hendrik Cornelius Rogge Magnus Hirschfeld kennen lernte, ist nicht belegt. Hirschfeld bezeichnete Rogge später als Jugendfreund. Belegt ist, dass Hendrik Cornelius Rogge ab 1903 WhK-Fondszeichner war. Er wurde 1914 erstmals als Obmann des WhK genannt. Im Jahr zuvor hatte er zusammen mit Magnus Hirschfeld auf dem 17. Internationalen medizinischen Kongress in London eine Präsentation bestritten. Da bezeichnete Hirschfeld ihn als „niederländischen Kollegen“.

Über den Lebensweg Hendrik Cornelius Rogges ist heute nur wenig bekannt. Er war auch als Arzt längere Zeit auf Java tätig und ließ sich noch vor 1935 als Neurologe und Psychiater in Kairo/Ägypten nieder. Hier fungierte er als niederländischer Abgesandter beim Internationalen Gesundheitsdienst zu Alexandria. 1935 legte er offenbar auf Deutsch eine Schrift über die „Angriffstelle der zirkulären Psychose” im Selbstverlag vor. Seine Anschrift war zu jener Zeit: 9 Rue Fouad I. Im Sommer 1946 besuchte Rogge die Niederlande und seine Familienangehörigen zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder.

In Ägypten war Hendrik Cornelius Rogge mit Prof. Everhard Verheyden befreundet, der auch sein Testamentsvollstrecker war. Hendrik Cornelius Rogge starb am 1. November 1953 in Kairo.

Schriften (Auswahl)

Rogge, Hendrik Cornelius (1906): De beteekenis der lange neerdalende achterstrengvezels voor de pathologische anatomie van de Tabes Dorsalis. Amsterdam, Univ., Diss.

Rogge, Hendrik Cornelius (1935): Die Angriffstelle der zirkulaeren Psychose. Cairo: Dr. H. C. Rogge.

Weiterführende Literatur

Hirschfeld, Magnus (1933): Die Weltreise eines Sexualforschers. Brugg: Bözberg-Verlag, S. 316f.

Meer, Theo van der (2007): Jonkheer mr. Jacob Anton Schorer (1866–1957). Een biografie van homoseksualiteit. Amsterdam: Schorer.

Van Santhorst (1953): Dr. H. C. Rogge verleden, in: Vriendschap, Nr. 12, S. 4.

Rohleder, Hermann (Dr. med., Arzt) geb. 5.2.1866 (Dommitzsch) – gest. 21.1.1934 (Leipzig)

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Hermann Rohleder. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Hermann Oskar Rohleder wurde 1866 als elftes Kind des Brauereibesitzers Friedrich August Rohleder und dessen Ehefrau Friederike Auguste geb. Schmidt in Dommitzsch, Kreis Torgau (Sachsen), geboren. Nach dem Besuch der Bürgerschule in seinem Geburtsort und des Dresdener Gymnasiums „Zum heiligen Kreuz“, an dem er 1889 das Abitur ablegte, studierte Rohleder Medizin an der Universität in Leipzig.

1894 schloss er das Studium ab und promovierte mit einer Abhandlung über einen Fall von „primärem Carcinom der weiblichen Urethra“ zum Dr. med. Anschließend ließ er sich als praktischer Arzt und Geburtshelfer in Leipzig-Gohlis nieder. Rohleder arbeitete auch in der von Arthur Kollmann (1858–1941) geleiteten Poliklinik für Hautkrankheiten, Syphilis und Harnkrankheiten und nannte sich ab 1903 Spezialarzt für Haut- und Harnleiden. Später zog er die Berufsbezeichnung „Spezialarzt für Sexualleiden“ vor.

Hermann Rohleder war seit 1896 mit Melanie Thekla Jenny Wegener, geb. Francke, verheiratet, die Ehe blieb allerdings kinderlos. Zu den Lebensumständen Hermann Rohleders liegen im Übrigen nur wenige Angaben vor. Nach überlieferten Quellen soll Rohleder durch „ein erschütterndes Ereignis“ zur Sexualwissenschaft gekommen sein. Gemeint war der Selbstmord eines jungen Mannes wegen Homosexualität.

Rohleder unterstützte Magnus Hirschfeld redaktionell bei der Herausgabe der ersten Zeitschrift für Sexualwissenschaft (1908). 1913 engagierte er sich bei der Gründung der Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft als Beisitzer im Vorstand, und 1926 trat er auf dem ersten Kongress der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung als Redner auf. Er war auch im Bund für Mutterschutz Helene Stöckers (1869–1942) aktiv. Als Mitglied des Obmännerkollegiums des WhK wurde er zwischen 1907 und 1920 genannt. Gleichwohl müssen Rohleders sexualmedizinische Schriften aus heutiger Sicht als überwiegend rückwärtsgewandt betrachtet werden. Als Autor bekannt wurde Rohleder seinerzeit vor allem durch seine 1899 erschienene Monografie über Die Masturbation, (die er meinte, bekämpfen zu müssen).

Schriften (Auswahl)

Rohleder, Hermann (1899): Die Masturbation. Eine Monographie für Ärzte und Pädagogen. Berlin: Fischers medicinische Buchhandlung H. Kornfeld.

Rohleder, Hermann (1907): Vorlesungen über Geschlechtstrieb und gesamtes Geschlechtsleben des Menschen (zwei Bände). Zweite, verbesserte, vermehrte und gänzlich umgearbeitete Auflage. Berlin: Fischers medicinische Buchhandlung H. Kornfeld.

Rohleder, Hermann (1921): Sexualpsychologie (Monographien zur Sexualwissenschaft, 2). Hamburg: Paul Hartung.

Rohleder, Hermann (1925): Grundzüge der Sexualpädagogik für Ärzte, Pädagogen und Eltern. Mit einem Geleitwort von Martin Hartmann. 2., neubearb. und erw. Aufl. Berlin: Fischers medicinische Buchhandlung H. Kornfeld.

Weiterführende Literatur

Hommel, Andrea (1994): Hermann Rohleder (1866–1934) und die Anfänge der künstlichen Befruchtung in Deutschland, in: Medizinhistorisches Journal (Jg. 29), Nr. 2, S. 121-148.

Moll, F. H., T. Halling und M. Krischel (2020): „Rohleder gehört zu den ersten, welche die Bedeutung der Sexualwissenschaft in ihrem vollen Umfange erkannt haben.” Leben und Werk des Venerologen, Urologen und Sexualmediziners Hermann Rohleder (1866­–1934); in: Der Urologe (Jg. 59), S. 1095-1106.

Sigusch, Volkmar (2009): Hermann Rohleder (1866–1934), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 595-601.

Rose, Franz (Fideikommisbesitzer) geb. 30.4.1854 (Schwerin) – gest. 25.9.1912 (Döhlau, heute Dylewo, Polen)

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Über die Lebensumstände von Franz (Friedrich Adolph) Rose liegen nur wenige Angaben vor. Rose war ein Sohn des Rittergutsbesitzers Carl Ludwig Johann Rose (1819–1886) und dessen Ehefrau Doris bzw. Dorothea geb. Heckmann (1827–1901) und hatte acht Geschwister.

Franz Rose war Gutsbesitzer auf Döhlau in Ostpreußen (heute Dylewo, Polen) und tat sich zu seinen Lebzeiten insbesondere als Mäzen, etwa des italienischen Bildhauers Adolfo Wildt (1868–1931), den er 1894 in Mailand kennen gelernt hatte, und des Schweizer Malers Albert Welti (1862–1912), hervor. Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er Ende 1907 gewählt.

In einigen Quellen heißt es, Franz Rose habe einen Sohn gehabt: Karl von Rose (1863–1945). Doch kann dies schon deshalb nicht sein, weil Karl von Rose nur neun Jahre jünger als sein vermeintlicher Vater war. Der Verwaltungsbeamte Karl (eigentlich: Carl Georg Friedrich) von Rose war vielmehr ein jüngerer Bruder von Franz Rose. Er wurde 1912 dessen Erbe und führte mit seiner Frau den Gutsbetrieb bis 1928 weiter.

Franz Rose starb im Alter von 58 Jahren in seiner Wohnung auf dem Rittergut Döhlau. Noch kurz zuvor war eine Radierung des Schweizer Malers Fritz Pauli (1891–1968) entstanden, die Franz Rose im Porträt zeigt.

Ein Neffe Franz Roses war der Kunsthistoriker und Hochschullehrer Hans Rose (1888–1945) aus Frankfurt/Main, der 1938 „wegen Unzucht zwischen Männern“ (§ 175 RStGB) vom Landgericht Weimar zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt wurde. Er saß die Strafe in den Gefängnissen in Berlin-Tegel und Wittstock ab.

Weiterführende Literatur

Königsberg Hartungsche Zeitung, 6.10.1912 (Morgen-Ausgabe), S. 10.

Franz Rose auf einer Radierung von Fritz Pauli.

Zur Geschichte von Döhlau / Dylewo.

Mikocki, Tomasz (2008): Rzeźby z kolekcji von Rose w Döhlau, III (Trzecia wizyta w Dylewie: wykopaliska). In: Światowit: rocznik poświęcony archeologii przeddziejowej i badaniom pierwotnej kultury polskiej i słowiańskiej 7 (48), S. 197-223.

Rühe, P. (Mechaniker)

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Der Mechaniker P. Rühe wird 1907 als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt. Um diese Zeit wohnte er in Berlin NW, Huttenstraße 41 (Moabit), vermutlich zur Untermiete. Alle weiteren Daten zur Identität und zum Lebensweg Rühes sind unbekannt.

Sassen, H. (= Hans Holbein, Dr. jur.) geb. 31.1.1864 (Apolda) – gest. 14.9.1929 (Weimar)

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Hans Holbein wurde 1864 als drittes Kind des im thüringischen Apolda ansässigen Rechtsanwalts Robert Holbein und dessen Frau geboren. Seine insgesamt fünf Geschwister starben als Kleinkinder. Nach dem Schulbesuch in Apolda, Dresden und Jena besuchte er die dortige Universität und wurde 1887 zum Dr. jur. promoviert. Nach dem Referendariat erhielt er 1890 die Zulassung als Rechtsanwalt beim Landgericht in Weimar. Als Anwalt praktizierte Hans Holbein insgesamt bis 1926.

1895 ging Hans Holbein eine Ehe mit Magdalene Klipper ein, die allerdings bereits 1902 wieder geschienen wurde. Hans Holbein starb 1929 nach einem langen Krebsleiden in Weimar. Auf seinem Grabstein wurde die von ihm gewünschte Inschrift angebracht: „Hier ruht in Gott Dr. Hans Holbein, Anwalt des Rechts, Kämpfer für Freiheit des 3. Geschlechts“ – die Grabinschrift wurde indes nach 1933 „ausgemeißelt”. Es hieß nunmehr, „sittlich ernst Denkende” müssten an einer solchen Inschrift Anstoß nehmen.

Hans Holbein setzte sich zeit seines Lebens für die Abschaffung des § 175 RStGB ein, der männliche Homosexualität mit Strafe belegte. Mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) und Magnus Hirschfeld muss er schon früh in Kontakt getreten sein. Spätestens ab 1907 wurde er als Obmann des WhK geführt, immer aber unter dem Pseudonym „H. Sassen“.

1919 stiftete Hans Holbein der Universität Jena 20.000 Mark, um einen Lehrstuhl zur Erforschung der Homosexualität einzurichten. In seinem Testament setzte er überdies die Universität Jena als Alleinerbin ein und vergrößerte die von ihm begründete „Holbein-Stiftung“ um 100.000 Mark. Obwohl sie die erste Stiftung angenommen hatte, schlug die Universität das Erbe nach Holbeins Tod im Jahr 1929 aus, weil, so die Begründung, die Universität ansonsten zu einem „Sammelpunkt unerwünschter Elemente” würde. Holbeins Vermächtnis wurde nie verwirklicht.

Weiterführende Literatur

Dose, Ralf (2016): Ein unwillkommenes Geschenk – Dr. Hans Holbein und die Holbein-Stiftung, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 55/56, S. 11-30.

Zinn, Alexander (o.J.): Dr. Hans Holbein, Anwalt des Rechts, Kämpfer für Freiheit des dritten Geschlechts [PDF online].

Zum Gedenken an Hans Holbein und die von ihm initiierte Holbein-Stiftung.

Scharf, (Theodor) Walter (Rechtsanwalt) geb. 1875 (Dresden) – gest. 1965 (Ort nicht belegt)

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Walter Scharf, o.J. Foto in Privatbesitz.
Über die Lebensumstände (Theodor) Walter Scharfs ist heute nur wenig bekannt. Auch seine juristische Dissertation hat sich noch nicht ermitteln lassen. Als Gymnasiast besuchte Walter Scharf die Leipziger Nikolaischule, wo er ein Mitschüler des späteren Rechtsanwalts Dr. Rudolf Mothes (1875–1968) war. Scharf wurde Rechtsanwalt in Dresden und wohnte hier bis 1907 in der Amalienstraße 18. Er war mit Margarete geb. NN (1884–1973) verheiratet und hatte mit ihr zwei Söhne, Jürgen (1914–1944) und Hans Ewald (1918–1948).

Als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Walter Scharf 1907 und 1910 genannt, zu einer Zeit, als er nicht in Deutschland wohnte. 1907 ging Scharf nach Keetmanshoop in Deutsch-Südwestafrika (Namibia), wohin ihm seine Frau im Jahr darauf folgte. 1911 kehrte er mit einem beträchtlichen Vermögen nach Deutschland zurück und kaufte sich in der Oberpfalz zunächst das Schlossgut Pilsach, später das Erwerbsgut Gösselthal im Kreis Beilngries. Dieses Gut war noch 1952 im Besitz von Walter Scharf.

Weiterführende Literatur

Mothes, Rudolf (o.J.): Lebenserinnerungen [online], S. 50.

Schedel, Joseph Maria (Apotheker) geb. 10.1.1856 (Bamberg) – gest. 7.4.1943 (Bamberg)

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Joseph Maria Schedel wurde unehelich geboren. Seine Mutter Justina Wilhelmina Schedel (1837–1857) entstammte einer angesehenen Bamberger Advokatenfamilie, sein Vater Heinrich Heinkelmann (1807–1866) war ein angesehener Arzt in seiner Heimatstadt. Da seine Mutter schon kurz nach seiner Geburt starb, wurde Joseph Schedel von einer kinderlosen Wäscherin erzogen.

Nach dem Besuch des Gymnasiums begann Schedel eine Lehre als Apothekergehilfe. Er wurde früh Mitglied der „Naturforschenden Gesellschaft“ und gründete bald selbst die „Gesellschaft Naturfreund Bamberg“, die bis 1885 bestand. 1880 nahm er ein naturwissenschaftliches Studium in München auf, doch wechselte er bereits 1881 an die Universität in Kiel. Ein Jahr später wurde er hier chemisch-pharmazeutischer Assistent. 1884 verließ er die Universität und ließ sich in Charlottenburg bei Berlin als Apotheker nieder.

Im Herbst 1886 verließ Joseph Schedel Deutschland und begab sich nach Japan, um als Assistent der britischen Firma „Japan Dispensary Brett & Co“ tätig zu werden. Anschließend machte er sich selbstständig und betrieb die „Deutsche Apotheke“ in Yokohama, die als erste Apotheke ihrer Art in Japan ein großer Erfolg war. 1899 kehrte Schedel nach Deutschland zurück, blieb aber Eigentümer der Apotheke, um sich eine mögliche Rückkehr nach Japan zu sichern.

Joseph Schedel entfaltete in Deutschland eine rege Vortragstätigkeit über seine Erlebnisse in Japan und ließ sich 1900 in München nieder. Auch hier betrieb er wieder eine Apotheke, die er aber schon 1902 nach einem Erpressungsversuch wegen seiner Homosexualität aufgeben musste. In der Folge führte er ein Dasein als „Reiseapotheker“ vornehmlich in Ober- und Niederbayern.

1909 begab sich Joseph Schedel erneut auf große Reise, nachdem er sich auf eine Stellenanzeige für einen deutschen Apotheker in Tientsin (China) beworben hatte. Der Aufenthalt in China stand aber von Anfang an unter keinem guten Stern, da Schedel mittlerweile unter einer angegriffenen Gesundheit litt. Die Arbeitsbedingungen in Tientsin, Peking und dem Badeort Peitaiho (Beidaihe) behagten ihm auch nicht. Die Situation für ihn als Deutschen verschlechterte sich zudem durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die Kriegserklärung Chinas an Deutschland 1917. Als er an einem schweren Nervenleiden erkrankte, entschied sich Schedel, dem Berufsleben den Rücken zuzuwenden. Anfang 1922 kehrte er nach Deutschland zurück. Bis zu seinem Lebensende 1943 wohnte er zurückgezogen in seiner Geburtsstadt Bamberg.

Besondere Bedeutung kommt Joseph Schedel heute als Sammler von naturkundlichen Objekten, Kunstgegenständen und Ostasiatika zu, die er teilweise schon zu seinen Lebzeiten öffentlichen Einrichtungen in und außerhalb Bambergs zur Verfügung stellte.

Mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) trat Joseph Schedel 1899 in Kontakt, als er sich für einige Zeit in Berlin aufhielt. In München gründete er wenige Jahre später die erste bayerische Sektion des WhK, deren Vereinssitzungen unter seiner Leitung in seiner Privatwohnung stattfanden. Als Obmann des WhK wurde Joseph Schedel 1907, 1910 und 1920 genannt. Schedel stand nachweislich auch nach seiner erneuten Rückkehr nach Deutschland 1922 noch in Kontakt mit Magnus Hirschfeld, Adolf Brand (1874–1945) und anderen aus dem Umfeld des WhK.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 1027.

Holzammer, Markus (2003): Der Apotheker Joseph Schedel – Tagebücher aus Japan (1886–1899) und China (1909–1921). Stuttgart: Franz Steiner.

Zink, Robert (1988): Joseph Schedel (1856–1943). Ein Bamberger als Apotheker und Sammler in Ostasien (Ausstellungen des Stadtarchivs Bamberg, 4). Bamberg: Stadtarchiv.

Scheuber, Walter

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Walter Scheuber wurde 1928 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Seine Lebensdaten, weitere Angaben zu seinem Lebensweg, seiner beruflichen Tätigkeit und seinen persönlichen Lebensumständen haben sich noch nicht ermitteln lassen.

Schild, Rudolf (Dr. med., Arzt) geb. 7.11.1873 (Frankfurt/Main) – gest. 25.1.1936 (Berlin)

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Rudolf Schild war jüdischer Herkunft und Röntgenarzt von Beruf. Er wurde am 7. November 1873 in Frankfurt am Main geboren und studierte ab 1892 Medizin in München. Am 21. Dezember 1897 wurde er dort „magna cum laude“ zum Dr. med. promoviert.

Nachdem Schild einige Jahre als niedergelassener Arzt in Frankfurt praktiziert hatte, zog er um 1910 nach Berlin. Ab etwa 1917 und bis zu seinem Tod wohnte und praktizierte er in der Nachodstraße 11 (Wilmersdorf). Er bekannte sich nicht mehr zum Judentum, sondern bezeichnete sich als evangelisch. Rudolf Schild blieb zeit seines Lebens unverheiratet. Als homosexueller Mann war er seit 1920 Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK).

Unbekannt ist bislang, unter welcher Anschuldigung Schild um den Jahreswechsel 1935/36 in „Schutzhaft“ genommen wurde. Auslöser für seine Inhaftierung war möglicherweise ein Verfahren wegen homosexueller Betätigung, das gegen ihn schwebte.

Am Abend des 25. Januar 1936 wurde Rudolf Schild tot in seiner Zelle im KZ Columbia-Haus aufgefunden. Der zuständige Standortarzt stellte als Todesursache zunächst Herzschwäche im Coma diabeticum fest. Eine anschließend durchgeführte Obduktion ergab allerdings, dass Schild infolge einer Zyankalivergiftung verstorben war. Vermutlich hatte er als Arzt Zugang zu dem Mittel gehabt und trug es bereits bei seiner Festnahme unbemerkt bei sich.

Schriften (Auswahl)

Schild, Rudolf (1928): Ueber die Heilbarkeit der Homosexualität [Artikel in zwei Teilen]. In: Die Freundschaft (Jg. 10), Nr. 11, S. 281-284 und Nr. 12, S. 301-304. [Auszugsweise nachgedruckt als Schild, Rudolf (1951): Über die „Heilbarkeit” der Homosexualität. In: Die Freunde. Monatsschrift für ideale Freundschaft (Jg. 1), Nr. 2, S. 25-26.]

Gedenken

Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft hat die Verlegung eines Stolpersteins für Rudolf Schild in der Berliner Nachodstr. 11 beantragt.

Weiterführende Literatur

Georg, Karoline (2021): Jüdische Häftlinge im Gestapogefängnis und Konzentrationslager Columbia-Haus 1933–1936 (Geschichte der Konzentrationslager 1933–1945, Bd. 17). Berlin: Metropol-Verlag, S. 122-123.

Wolfert, Raimund (2021): Schild, Rudolf, in: Frankfurter Personenlexikon (online).

von Schlichtegroll, Carl Felix Freiherr (Illustrator) geb. 13.1.1862 (Groß-Behnkenhagen) – gest. 29.6.1946 (Volzrade)

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Carl Felix von Schlichtegroll war Illustrator und Schriftsteller. Er wurde auf Gut Groß-Behnkenhagen (Vorpommern-Rügen) geboren, wuchs aber ab 1873 bei seinem Großvater in Greifswald auf. Nach dessen Tod besuchte er das Gymnasium in Stralsund und begann anschließend, in Berlin Malerei zu studieren. Er führte seine Studien in Karlsruhe und Stuttgart fort, bis er 1894 als Gastlehrer für das Tempera-Malverfahren in Weimar und anderen Städten tätig wurde. Noch im selben Jahr gründete er in Berlin eine eigene Malschule.

Carl Felix von Schlichtegroll war zeitweise Privatsekretär des österreichischen Schriftstellers Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895) und verfasste selbst auch Erzählungen mit masochistischen Motiven. Nach dem Tod Sacher-Masochs legte er zwei biographische Arbeiten über ihn vor.

Carl Felix von Schlichtegroll wurde als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) 1907, 1910 und 1920 genannt. Er starb 1946 in Volzrade (Mecklenburg).

Schriften (Auswahl)

Schlichtegroll, Carl Felix von (1901): Sacher-Masoch und der Masochismus. Litterarhistorische und kulturhistorische Studien. Dresden: Dohrn [neu herausgegeben 2003].

Schlichtegroll, Carl Felix von (1906): „Wanda“ ohne Maske und Pelz. Eine Antwort auf „Wanda“ von Sacher-Masochs „Meine Lebensbeichte“ nebst Veröffentlichungen aus Sacher-Masochs Tagebuch. Leipzig: Leipziger Verlag [neu herausgegeben 2003].

Schlichtegroll, Carl Felix von (1909): Liebesleben im klassischen Altertum (= Das Liebesleben aller Zeiten und Völker, Bd. 2). Leipzig: Leipziger Verlag.

Schnitzer, Marcel M. (Kaufmann, Privatier) geb. um 1857 (Budapest, Ungarn) – gest. 18.5.1919 (Berlin)

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Über den Lebensweg Marcel M. Schnitzers ist nur wenig bekannt. Schnitzer war offenbar jüdischer Herkunft und stammte aus Budapest. Sein ungefähres Geburtsjahr lässt sich lediglich aus seiner Sterbeurkunde ableiten. Schnitzer siedelte um 1910 nach Berlin über, doch mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) muss er bereits um die Jahrhundertwende in Kontakt getreten sein. Eugen Wilhelm (1866–1951) lernte Schnitzer im Sommer 1901 auf einer Konferenz des WhK in Berlin kennen und verbrachte anschließend einige Zeit in Dänemark mit ihm. Um diese Zeit hatte Schnitzer einen dänischen Liebhaber.

Marcel Schnitzer wurde 1910 in das Obmännerkollegium des WhK gewählt, und in den anschließenden Jahren hielt er Vorträge im Rahmen von „literarischen Abenden“ der Organisation. Offenbar ging er keiner geregelten Erwerbstätigkeit nach, sondern konnte von einem erheblichen Vermögen als „Privatier“ leben. Belegt ist, dass Schnitzer 1911 einen Selbstmordversuch unternahm, doch sind die Hintergründe für diese Verzweiflungstat unbekannt. Der antisemitische Publizist Emil Witte behauptete in einer seiner Hetzschriften gegen das WhK, das „jüdische Komiteemitglied Marcel Sch.” habe versucht, sich infolge ruinöser Verluste an der Börse das Leben zu nehmen.

Weiterführende Literatur

Dubout, Kevin (2018): Der Richter und sein Tagebuch. Eugen Wilhelm als Elsässer und homosexueller Aktivist im deutschen Kaiserreich (Geschichte und Geschlechter, Bd. 70). Frankfurt: Campus, S. 285.

Dubout, Kevin und Raimund Wolfert (2013) „Eigentümliche Städte, sympathische Völker und Sehenswürdigkeiten von großer Schönheit“. Zur Skandinavien-Rundreise des WhK-Aktivisten Eugen Wilhelm 1901, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten (Jg. 15), S. 9-44, hier S. 10 und 25.

Schoener, H. (Kaufmann)

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Zur Identität H. Schoeners liegen keine weiteren Angaben vor. Schoener soll Kaufmann gewesen sein, aber weder sein Vorname und seine Lebensdaten noch sein Herkunfts- oder Wohnort sind bekannt. H. Schoener wurde 1914 als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Schorer, Jacob Anton (Dr. Jonkheer) geb. 1.3.1866 (Heinkenszand, Niederlande) – gest. 18.8.1957 (Harderwijk, Niederlande)

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Jacob Anton Schorer wurde 1866 in eine angesehene niederländische Familie in Zeeland geboren. Der Vater Eduard Pieter Schorer (1837–1909) war Rechtsanwalt und wurde 1893 in den Adelsstand erhoben. Daher leitet sich das Prädikat „Jonkheer“ (junger Herr, Junker) ab. Jacob Anton Schorer studierte Jura an der Universität in Leiden und promovierte Anfang 1897 mit einer Dissertation über „Die Geschichte der Calamiteuse-Polder in Zeeland bis zu den Verordnungen vom 20. Januar 1791“. Im selben Jahr wurde er Gerichtsschreiber am Bezirksgericht in Middelburg, wo er 1899 zum stellvertretenden Amtsrichter ernannt wurde. Jacob Anton Schorer war auch als Rechtsanwalt tätig und engagierte sich wie sein Vater für soziale Zwecke. So war er etwa 1898 Mitbegründer der regionalen Sektion der Niederländischen Gesellschaft zum Schutz der Tiere.

Jacob Anton Schorers juristische Laufbahn fand 1903 ein frühes Ende. Ihm wurde vorgeworfen, eine sexuelle Beziehung zu einem Jugendlichen unterhalten zu haben. Sein öffentlicher Ruf war ruiniert, und Schorer flüchtete zunächst nach Vorden in Gelderland und schließlich nach Berlin.

In der deutschen Reichshauptstadt arbeitete Jacob Anton Schorer als Vertreter einer Versicherungsgesellschaft, und er trat hier in Kontakt mit Magnus Hirschfeld. 1910 – im Jahr nach dem Tod seines Vaters – kehrte Schorer in die Niederlande zurück und zog zu seiner Mutter. In dieser Zeit war er auf jährliche Beihilfen angewiesen. Nach dem Tod der Mutter 1916 konnte er von Einkünften aus Kapitalanlagen leben, doch litt er angesichts seines Engagements für die homosexuelle Emanzipationsbewegung immer wieder unter finanziellen Engpässen.

1923 lernte Jacob Anton Schorer die große Liebe seines Lebens kennen, einen jungen deutschen Studenten namens Helmut Imhoff, den er als „Pflegesohn“ zu sich nahm. Imhoff trennte sich 1933 von Schorer, heiratete und wurde Vater eines Sohnes. Doch hielten die beiden Männer ihre Freundschaft aufrecht. Imhof wurde Mitglied der NSDAP und starb als deutscher Soldat an der Ostfront.

Jacob Anton Schorer engagierte sich maßgeblich gegen den Artikel 248bis des niederländischen Strafgesetzbuches, der ab 1911 ein höheres Mindestalter für homosexuelle Kontakte als für heterosexuelle Kontakte setzte und damit die „Verbreitung der Homosexualität“ unterbinden wollte. Bereits 1912 gründete Schorer eine niederländische Sektion des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), die ab 1919 den Namen „Nederlandsch Wetenschappelijk Humanitair Komitee“ (NWHK) trug. Hier arbeitete er unter anderem mit Lucien von Römer (1873–1965) und Marie Jacobus Johannes Exler (1882–1939) zusammen.

Jacob Anton Schorer war Schriftführer des NWHK, er führte die Korrespondenz der Vereinigung und verfasste auch deren Jahresberichte. Zusätzlich baute er eine umfangreiche Bibliothek auf, die er Forschern und anderen Interessierten zugänglich machte, und wurde als Lobbyist für die Belange der Homosexuellen in den Niederlanden tätig.

Als die deutsche Wehrmacht 1940 die Niederlande besetzte, löste sich das NWHK auf und vernichtete vorausschauend ihre Mitgliederdatei und die dazugehörige Korrespondenz. Als deutsche Einheiten am 15. Mai 1940 die Wohnung Schorers stürmten, wurde dessen gesamte Bibliothek beschlagnahmt. Bis heute ist über den Verbleib der Bücher nichts bekannt. Nur der Bibliothekskatalog blieb erhalten. Auf seiner Grundlage bemühte sich das „Internationaal Homo/Lesbisch Informatiecentrum en Archief” (Ihlia) später um eine weitgehende Rekonstruktion der Bibliothek.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte Jacob Anton Schorer in Harderwijk und versuchte, an sein Engagement von vor 1940 anzuknüpfen, doch fand er nicht mehr die gebührende Beachtung. Die Arbeit des NWHK wurde 1946 vom Amsterdamer „Shakespeare Club“ übernommen, der nach 1948 unter den Namen „Cultuur en Ontspannings Centrum (COC)“ bekannt wurde. In dieser Vereinigung wurde Schorer schon 1947 zum Ehrenmitglied ernannt.

Jacob Anton Schorer verlebte die letzten Jahre seines Lebens relativ isoliert. Er erkrankte schwer an einem Tumor am Hals, gegen den er sich nicht behandeln ließ, weil er mittlerweile Anhänger der „Christlichen Wissenschaft“ geworden war. Jacob Anton Schorer starb 1957 im Alter von 91 Jahren. Nach seinem Tod wurde die „Schorerstichting“ gegründet, eine Beratungsstelle für die seelische und körperliche Gesundheit Homosexueller. Die Organisation betrieb auch einen Verlag, in dem 2007 eine umfassende Biographie Jacob Anton Schorers, geschrieben von Theo van der Meer, erschien.

Schriften (Auswahl)

Schorer, Jacob Anton (1905): Wissenschaft und Rechtsprache. In: Friedreich’s Blätter für gerichtliche Medizin und Sanitätspolizei (Jg. 56), S. 108-114, 182-188, 277-287 und 374-384.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (1999): Die verschwundene Schorerbibliothek – Ein Zwischenbericht. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 29/30, S. 87-95.

Meer, Theo van der (2007): Jonkheer mr. Jacob Anton Schorer (1866–1957). Een biografie van homoseksualiteit. Amsterdam: Schorer.

Tielman, Rob (1981): Schorer en het Nederlandsch Wetenschappelijk Humanitair Komitee (1911–1940). In: Ballas, Michael, Mattias Duyves und Jan Goossensen (Hrsg.): Homojaarboek 1. Artikelen over emancipatie en homoseksualiteit. Amsterdam: Van Gennep, S. 107-132.

von der Schulenburg, Günther (Reichsgraf) geb. 20.8.1865 (Haus Oefte, Westfalen) – gest. 4.11.1939 (Düsseldorf-Grafenberg)

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Günther Graf von der Schulenburg entstammte dem weitverzweigten Adelsgeschlecht Schulenburg. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Thüringen ging er zum Militär, wo er bis zum Rittmeister befördert wurde. Ab 1886 verwaltete er die Familiengüter und war finanziell unabhängig.

Ab 1887 war Günther von der Schulenburg mit der belgischen Adeligen Jeanne van de Walle verheiratet. Das Paar hatte zwei Kinder. Schulenburg selbst hatte gehofft, durch die Ehe von seinen homosexuellen Neigungen befreit zu werden.

Mehrfach wurden gegen Günther von der Schulenburg polizeiliche Ermittlungen wegen angeblicher sexueller Belästigungen durchgeführt, doch wurde er wegen dieser Anschuldigungen offenbar nie gerichtlich belangt. Als um 1898 Kölner Zeitungen über Schulenburg und seine Annäherungsversuche an einen Gymnasiasten berichteten, kam es zu einem Zerwürfnis zwischen Schulenburg und seiner Familie. Von einer geplanten Kandidatur zum Reichstag musste er zurücktreten.

Schulenburg wurde wegen mehrerer Fälle von Fehlverhalten von ehemaligen Freunden und Bekannten gesellschaftlich geächtet und gemieden. So unterrichte Schulenburg, als er von der beabsichtigten Heirat Joseph von Fürstenbergs erfuhr, dessen zukünftigen Schwiegervater über von Fürstenbergs Homosexualität. Von Fürstenberg nahm sich wenige Tage darauf das Leben. Als Schulenburg Adolf Brand (1874–1945) dazu bringen konnte, den Reichskanzler Bernhard von Bülow als homosexuell zu „outen“, blieb er dem nachfolgenden Gerichtsverfahren fern, und Brand, der nun ohne Beweise dastand, wurde wegen Verleumdung zu einer langen Haftstrafe verurteilt. 1907 denunzierte Schulenburg Wilhelm Jansen (1866–1943), er habe einen „Päderastenclub aus Gymnasiasten“ gegründet, woraufhin Jansen alle seine Ämter niederlegen musste.

Infolge dieser Vorfälle bemühte sich Jeanne von der Schulenburg schließlich um die Entmündigung ihres Ehemannes. Ihrem Antrag wurde 1909 gerichtlich stattgegeben. In einem medizinischen Gutachten von 1911 wurde Günther von der Schulenburg „degenerativer Irrsinn“ und „Geistesschwäche“ bescheinigt.

Zur Zeit des Ersten Weltkriegs wurde Günther von der Schulenburg sowohl aus der Schweiz als auch aus Italien ausgewiesen. In Tirol, wo er über Grundbesitz verfügte, wurde er schließlich verhaftet. 1923 wurde Günther von der Schulenburg wegen Hochverrats zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.

Weiterführende Literatur

In het Panhuis, Erwin (2006): Anders als die Andern. Schwule und Lesben in Köln und Umgebung 1895–1918 (hgg. vom Centrum Schwule Geschichte). Köln: Hermann-Josef Emons-Verlag, S. 47-61.

Schultz, Karl (Verleger)

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Über den den Lebensweg des Verlegers Karl Schultz liegen so gut wie keine Angaben vor. Schultz gründete 1919 in Berlin-Kreuzberg einen eigenen Verlag, in dem unter anderem die „schwule” Wochenzeitschrift Die Freundschaft (1919–1933) erschien. Ihre Existenz wurde in den folgenden Jahren mehrfach durch polizeiliche Maßnahmen bedroht und in Frage gestellt. So wurde 1922 ihr Erster Redakteur Max H. Danielsen (1885–?) wegen „Verbreitung unzüchtiger Inserate” angeklagt und zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Gleichwohl gelang es Schultz immer wieder, seine Zeitschrift auf eine solide finanzielle und organisatorische Basis zu stellen. 1924 übernahm Georg Plock (1865–1930) die Redaktion der Zeitschrift, und wohl bedingt durch diese Personalie erschienen zeitweise die offiziellen Mitteilungen des WhK in der Freundschaft, nachdem das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen inflationsbedingt sein Erscheinen einstellen musste.

Der Verlag Karl Schultz war zunächst in der Kreuzberger Alexandrinenstraße 8 ansässig, zog 1920 zum Planufer 5, dann in die Wilhelmstraße 124 um und siedelte sich schließlich in der Baruther Straße 1 an, wo Schultz auch ein Ladenlokal unterhielt. In seinem Verlag erschienen nicht nur Zeitschriften wie Die Freundschaft und Uranos, sondern auch Bücher und Broschüren wie der Internationale Reiseführer, eine Art Vorläufer des Generationen später etablierten Spartacus Gay Guide. Im Verlagsprogramm waren auch Kunstaktfotos im Postkartenformat sowie Nachbildungen antiker Statuen und Bildnisse. Dieses „Gemischtwarenkonzept” wurde 1927 aufgekündigt, als der Buchhalter Kurt Eitelbuss den Phoebus-Verlag gründete und das Buchprogramm Schultz’ übernahm. Der Karl-Schultz-Verlag selbst widmete sich noch bis 1932 der Produktion und dem Vertrieb seiner Zeitschriften und löste sich dann auf.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (2003): Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain. Berlin: Bruno Gmünder, S. 71, 95-98, 146, 152.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 1093.

Schwabe, Toni (Schriftstellerin) geb. 31.3.1877 (Bad Blankenburg) – gest. 17.10.1951 (Bad Blankenburg)

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Toni Schwabe um 1906. Berlin: Axel Juncker Verlag.
Toni Schwabe besuchte die Höhere Töchterschule in Jena und lernte 1893 ihre spätere Lebensgefährtin Sophie Hoechstetter kennen. Die beiden führten von 1902 bis 1905 eine Lebensgemeinschaft, und in dieser Zeit kamen sie auch in Kontakt mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK). Toni Schwabe wurde 1910 neben der Polizeigehilfin Gertrud Topf zu einem der ersten beiden „weiblichen Obmänner” des WhK gewählt – auf „vielseitig, auch aus Frauenkreisen geäußerten Wunsche”, wie es in den Unterlagen hieß.

Toni Schwabe litt immer wieder unter einer angegriffenen Gesundheit. Sie schrieb Romane, Erzählungen und Gedichte, übersetzte vornehmlich aus dem Dänischen und veröffentlichte zahlreiche Beiträge in literarischen Zeitschriften wie Arena, Der Orchideengarten, Simplicissimus und Orplid sowie in Anthologien. 1916 gründete sie den Landhausverlag in Jena, und bis 1921 gab sie die Zeitschrift Das Landhaus heraus.

Nach der Trennung von Sophie Hoechstetter lebte sie in Beziehungen mit Elsa von Bonin und Toska Lettow.

1929 begann sie mit dem Bau eines Hauses in ihrer Heimatstadt Bad Blankenburg. In den 1930er Jahren hegte sie gewisse Sympathien für den Nationalsozialismus, arbeitete zeitweise für den Rundfunk, war aber literarisch kaum noch präsent. Nach den verheerenden Bombenangriffen auf Berlin zog sie 1944 ganz nach Bad Blankenburg, doch verschlechterte sich hier ihr Gesundheitszustand zunehmend. Sie war gegen ihr Lebensende völlig mittellos und wiederholt Anfeindungen seitens der Behörden ihrer Heimatstadt ausgesetzt.

Zu Toni Schwabes literarischem Werk gehören der Roman Die Hochzeit der Esther Franzenius (1903), der 2013 erneut aufgelegt wurde, und ihr erster Goethe-Roman Ulrike (1925), der ihr den größten finanziellen Erfolg bescheren sollte.

Schriften (Auswahl)

Schwabe, Toni (1890): Das Weib als halbwüchsiges Mädchen. In: R. Koßmann und Jul Weiß (Hrsg.): Mann und Weib. Ihre Beziehungen zueinander und zum Kulturleben der Gegenwart. I. Band: Der Mann. Das Weib. Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft, S. 321-338.

Schwabe, Toni (1890): Das Weib als Jungfrau. In: R. Koßmann und Jul Weiß (Hrsg.): Mann und Weib. Ihre Beziehungen zueinander und zum Kulturleben der Gegenwart. I. Band: Der Mann. Das Weib. Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft, S. 339-360.

Schwabe, Toni (1906): Bleib jung meine Seele. Berlin: Axel Juncker Verlag.

Schwabe, Toni: Die Hochzeit der Esther Franzenius (Literatinnnen um 1900, 6). Mit einem Nachwort herausgegeben von Jenny Bauer. Hamburg: Igel Verlag 2013.

Weiterführende Literatur

Bauer, Jenny (2016): Geschlechterdiskurse um 1900. Literarische Identitätsentwürfe im Kontext deutsch-skandinavischer Raumproduktion. Bielefeld: transcript Verlag.

Bauer, Jenny (2018): How to Write an Author. Biografische Spurensuche zu Toni Schwabe (1877–1951), in: Initiative Queer Nations (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten, S. 31-56.

Herzer, Manfred (2017): Magnus Hirschfeld und seine Zeit. Berlin: De Gruyter Oldenbourg, S. 102.

Riebe, Tom. Hrsg. (2016): Toni Schwabe (Verspensporn, 25). Jena: Edition Poesie schmeckt gut e.V.

Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Hrsg. (2015): Persönlichkeiten in Berlin 1825–2006. Erinnerungen an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Berlin, S. 70-71.

Serradell Pascual, Narciso (Lehrer) geb. 25.9.1874 (La Bisbal, Katalonien) – gest. 15.4.1966 (Cambridge, Middlesex, MA, USA)

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Zum Lebensweg und zur Identität Narciso Serradells liegen nur wenige Angaben vor. Serradell wurde 1913 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Um diese Zeit wohnte er in Barcelona (vgl.: JfsZ 1913: 499). Serradell gehörte 1920 noch dem Obmänner-Kollegium des WhK an.

Um 1912 besuchte Eugen Wilhelm (1866–1951) Narciso Serradell in Barcelona, und noch 1919 stand Serradell in einem brieflichen Kontakt mit dem französischen Militärarzt Georges Saint-Paul (1870–1937), der sich in seinen Schriften zur Homosexualität des Pseudonyms „docteur Laupts“ bediente. Zwischen 1923 und 1925 hielt Serradell sich in den USA (New York) auf. Dorthin reiste er 1932 erneut. Offenbar verfolgte Serradell über einen längeren Zeitraum die Absicht, Werke Magnus Hirschfelds ins Spanische zu übersetzen. Hirschfeld selbst soll ihn dazu ermuntert haben, doch blieb das Unterfangen, insbesondere nachdem der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, unerledigt.

Siber, Jules (Dr. jur., Violinist) geb. 30.10.1871 (Dettelbach, Unterfranken) – gest. 24.5.1943 (Berlin)

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Jules Siber. Aus Jules Siber: Seelenwanderung, 2011.
Jules (eigentlich Julius) Siber wurde 1871 im unterfränkischen Dettelbach geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Würzburg studierte er zunächst Rechtswissenschaften, wandte sich aber bald der Musik zu. Er studierte unter anderem bei Max Reger und lebte lange Jahre als Komponist und Violinvirtuose in München. Später wohnte er in Berlin-Wilmersdorf und wurde Professor am Stern’schen Konservatorium. Wegen seiner beeindruckenden Konzerte wurde Siber oft als „Teufelsgeiger“ und „Paganini redivivus“ (wiedererstandener Paganini) bezeichnet. Zeitgenössischen Berichten zufolge verband er bei seinen Auftritten die Musik mit eigenen Erzählungen, aus denen er rezitierte. Er spielte vor zahlreichen europäischen Königshäusern und versetzte sein Publikum in wahre Ekstasen.

Siber schrieb auch mehrere Romane, unter ihnen Seelenwanderung (1914) und Paganini. Ein Roman von alten Göttern und Hexentänzen (1920). Ersterer erschien 2011 in der von Wolfram Setz herausgegebenen Reihe Bibliothek rosa Winkel erneut. Über den italienischen Violinisten Niccolò Paganini (1782–1840) und die Jünglingsliebe veröffentlichte Siber ebenfalls eine „psychologische Studie“, die 1914 im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen erschien. Siber war mit dem norwegischen Schriftsteller und späteren Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun (1859–1952) befreundet und widmete sich in Zeitschriftenbeiträgen Fragen der Esoterik und des Okkultismus.

Mitglied des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde Jules Siber 1912. In einer Besprechung von Sibers Seelenwanderung schrieb Kurt Hiller (1885–1972) später, Siber sei um jene Zeit „der Paganini unsrer Komitee-Abende“ gewesen. 1920 wurde er auch zum Obmann des WhK ernannt. Jules Siber starb 1943 in Berlin.

Schriften (Auswahl)

Siber, Jules (1914): Niccolò Paganini. Eine psychologische Studie. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 14, S. 39-44.

Siber, Jules (2011): Seelenwanderung (Bibliothek rosa Winkel, 57). Mit einem Vorwort von Olaf N. Schwanke und Nachworten von Florian Mildenberger und Wolfram Setz. Hamburg: Männerschwarm Verlag.

Weiterführende Literatur

Hiller, Kurt (1914): Wo bleibt der homoerotische Roman?, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Jg. 14), S. 338-341.

Setz, Wolfram (2011): „Seelenwanderung und okkulter Zauber“, in: Siber, Jules: Seelenwanderung (Bibliothek rosa Winkel 57). Hamburg: Männerschwarm Verlag, S. 165-182.

Spohr, Ferdinand (Verlagsbuchhändler) geb. 26.8.1856 (Braunschweig) – gest. 18.5.1941 (Leipzig)

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Ferdinand Spohr war ein jüngerer Bruder des Leipziger Verlegers Max Spohr (1850–1905), der 1897 zusammen mit Magnus Hirschfeld, Franz Joseph von Bülow (1861–1915) und Eduard Oberg (1858–1917) das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK) gründete. Als Max Spohr 1903 an Krebs erkrankte, übergab er den Verlag seinem Bruder Ferdinand.

Ferdinand Spohr wurde 1856 in Braunschweig geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Karl Wilhelm Friedrich Spohr (1809–1876) und dessen Ehefrau Ferdinandine Lisette Lüttge (1813–1876). Das Ehepaar hatte vier Söhne. Ferdinand Spohr heiratete 1888 in Ostfriesland Maria Gesine Lindeboom (1864–1941), die Tochter eines Schiffskapitäns, und wurde Vater von vier Kindern. Als Ferdinand Spohr den Verlag seines Bruders übernahm, war er 47 Jahre alt. Bisher ist unbekannt, welchen Beruf er erlernt und welche Tätigkeiten er bis 1903 ausgeübt hatte. Offenbar war er mit seiner Frau und den beiden erstgeborenen Söhnen erst nach 1890 aus Ostfriesland nach Leipzig gezogen.

Ferdinand Spohr führte die bisherige Firma „Max Spohr“ ganz im Sinne seines Gründers fort. So erschien auch nach dem Tod Max Spohrs das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen weiter in dem Verlag (es erschien von 1899 bis 1922), obwohl die Publikation wohl von Anfang an ein Verlustgeschäft war. Von den bis zu 2000 gedruckten Exemplaren wurden zeitweise nur etwa 100 abgesetzt und davon noch ein Großteil zum halben Preis an die Mitglieder des WhK. Zum Obmann des WhK wurde Ferdinand Spohr 1912 gewählt. 1917 gründete er auch den separaten „Verlag ‚Wahrheit’ Ferdinand Spohr”.

Vermutlich 1920 übertrug Ferdinand Spohr die Geschäftsleitung des „Max Spohr Verlags“ seinem jüngsten Sohn Rudolf Otto Günther Spohr (1892–?). Dieser wurde aber erst 1937 offizieller Inhaber des Unternehmens. Über die Geschäftstätigkeit von Vater und Sohn nach dem Ersten Weltkrieg ist heute nur wenig bekannt. Vermutlich konzentrierten sich die beiden auf den Betrieb ihrer Sortiments- und Antiquariatsabteilung, als Verleger neuer Titel haben sie sich nicht mehr besonders hervorgetan. Ab 1933 erlitt das Unternehmen erhebliche Verluste aufgrund der im „Dritten Reich” verhängten Bücherverbote.

1942 stellte das Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb ein. Ferdinand Spohr war im Jahr zuvor verstorben, sein Sohn Rudolf gilt heute als im Zweiten Weltkrieg verschollen. Der „Max Spohr Verlag“ wurde am 6. August 1951 „von Amts wegen“ aus dem Handelsregister der Stadt Leipzig gelöscht.

Weiterführende Literatur

Lehmstedt, Mark (2002): Bücher für das „dritte Geschlecht“. Der Max Spohr Verlag in Leipzig. Verlagsgeschichte und Bibliographie (1881–1941) (Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte 14). Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, S. 14-16.

Stabel, Heinrich (Dr. med., Arzt) geb. 19.2.1867 (Bad Kreuznach) – gest. 6.12.1943 (Berlin)

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Heinrich Karl Theodor Stabel wurde als Sohn des Bad Kreuznacher Sanitätsrats Eduard Stabel und dessen Frau Elise geb. Ackermann geboren. Er studierte Medizin an den Universitäten in München und Kiel und legte seine Dissertation 1892 vor. Noch im selben Jahr zog er nach Berlin, wo er zunächst als Assistenzarzt tätig wurde. 1900 ließ sich Stabel als Facharzt für Chirurgie und Frauenleiden nieder und gründete eine eigene Praxis am Schöneberger Ufer (Berlin-Tiergarten).

Heinrich Stabel war zwei Mal verheiratet, zuletzt mit Doris geb. Bahr (1881−1943). Er gehörte dem dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK), dem Bund für Mutterschutz (BfM) Helene Stöckers (1869−1943) und dem Kartell für Reform des Sexual-Strafrechts an und setzte sich bereits in den 1910er Jahren für die Abschaffung der §§ 175 und 218 RStGB ein.

Wann genau und auf welchem Weg Heinrich Stabel in Kontakt mit Magnus Hirschfeld und dem WhK trat, ist nicht belegt. Vermutlich lernte er die Organisation über Veranstaltungen des BfM kennen, an denen er in den 1910er Jahren teilnahm. Stabel führte künstliche Befruchtungen bei Frauen mit Kinderwunsch und Hodentransplantationen an Männern durch, sofern diese das Bedürfnis hatten, von ihrer Homosexualität „befreit” zu werden. Im Zuge von geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei sogenannten „männlichen Transvestiten”, die als Frau leben wollten, nahm er auch Amputationen der Hoden vor – so etwa bei Dorchen Richter (1891–?). Zudem unterzeichnete er die Petition des WhK zur Streichung des § 175 RStGB.

1931 löste Heinrich Stabel Otto Juliusburger (1867–1952) als Ersten Vorsitzenden des WhK ab, nachdem dieser zwei Jahre zuvor die Nachfolge Magnus Hirschfelds angetreten hatte. Hirschfeld schrieb später von einem „höchst unwürdigen Intrigenspiel”, das 1929 zu seinem Rücktritt und zum Personalwechsel an der Spitze des WhK geführt hatte.

Nach 1933 wurde Heinrich Stabel mehrfach kriminalisiert. Er wurde Ende 1938 unter dem Verdacht gesetzeswidriger Handlungen verhaftet und im Dezember 1939 wegen gewerbsmäßiger Abtreibung in vier Fällen und versuchter gewerbsmäßiger Abtreibung in einem weiteren Fall zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Als er im März 1942 aus der Haft entlassen wurde, konnte er gleichwohl in sein früheres Leben nicht zurückkehren. Seine Praxis war ihm im Zuge der Verurteilung Ende 1939 entzogen worden, so dass das Ehepaar danach nur noch von Erspartem leben konnte.

Heinrich Stabel und seine Frau Doris wohnten seit März 1939 am Lützowplatz 27 (Tiergarten). Ihre Wohnung wurde beim Fliegerangriff auf Berlin vom 22. November 1942 vollkommen zerstört. Die Eheleute kamen daraufhin bei einer Schwester Doris Stabels unter, schieden aus Verzweiflung aber schon wenige Wochen später durch Selbstmord aus dem Leben.

Weiterführende Literatur

Wolfert, Raimund (2020): Heinrich Stabel (1867−1943), Frauenarzt und Chirurg – eine biographische Skizze, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 64, S. 9-17.

Stelter, René (Redakteur)

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Zum Lebensweg und zur Identität René Stelters liegen kaum verwertbare Angaben vor. René Stelter wurde 1923 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt, seine Identität ist aber nach wie vor ungeklärt. Vermutlich bediente er sich eines Pseudonyms. Möglicherweise handelte es sich bei ihm um den Hauptschriftleiter Hans [Johann Eduard] Stelter (1895–1945), der 1923 in der Pleßstraße 38 in Wilhelmshagen bei Berlin verzeichnet war.

Zwischen 1921 und 1923 gab René Stelter zusammen mit dem Insektenkundler und Sexualwissenschaftler Ferdinand Karsch-Haack (1853–1936) die „urnische Monatsschrift” Uranos heraus. Sie sollte zeigen, „wie sich Gesellschaft und Staat vergangener und gegenwärtiger Zeit in den einzelnen Staatswesen zu der Erscheinung des Uranismus [so der zeitgenössische Ausdruck für Homosexualität] gestellt haben und wie es häufig in vollendeter Weise gelungen ist, das Uraniertum zum Nutzen und Frommen der Allgemeinheit wie zum Wohlbefinden der Uranier zur Geltung zu bringen.“ Doch war das Projekt nicht von Erfolg gekrönt. Schon der zweite Jahrgang (1922/23) sollte nicht mehr komplett erscheinen.

René Stelter war von Mai bis September 1923 auch Redakteur der Zeitschrift Die Freundschaft. Über seine weiteren publizistischen Tätigkeiten liegen keine gesicherten Angaben vor. Die zwölf erhaltenen Ausgaben der Zeitschrift Uranos wurden 2003 in der Reihe Bibliothek rosa Winkel (Bd. 32) im Hamburger Verlag Männerschwarm erneut als Reprint herausgegeben.

Der oben erwähnte Hans [Johann Eduard] Stelter stammte gebürtig aus Oberhausen. Er studierte Geschichte, Volkswirtschaft und Philosophie an der Universität in Berlin und wurde im April 1923 Herausgeber des in Wilhelmshagen ansässigen Deutschen Tageblattes. Nach der Reichstagswahl im Mai 1924 zog er für die Nationalsozialistische Freiheitspartei in den Reichstag ein. Am 1. April 1941 wurde Hans Stelter Mitglied der NSDAP.

Weiterführende Literatur

Karsch-Haack, Ferdinand; Stelter, René. Hrsg. (2003): Uranos. Unabhängige uranische Monatsschrift für Wissenschaft, Polemik, Belletristik, Kunst. Herausgegeben von Ferdinand Karsch-Haack und René Stelter. Jahrgang 1 (1921/22). Nachdruck mit einem Nachwort und Register von Sabine Schmidtke (Bibliothek rosa Winkel, 32). Hamburg: MännerschwarmSkript.

von Stempel, Heinz (Baron)

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Sämtliche Angaben zur Identität und zum Lebensweg Heinz Baron von Stempels fehlen. Es gibt lediglich einen Hinweis darauf, dass er 1907 in Riga (Reggen bei Goldingen) gelebt haben könnte. Heinz Baron von Stempel wurde 1907, 1910 und 1920 als Mitglied im Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Stöcker, Helene (Dr. phil., Publizistin) geb. 13.11.1869 (Elberfeld) – gest. 24.2.1943 (New York, USA)

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Helene Stöcker. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Helene Hulda Caroline Emilie Stöcker wuchs in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) als älteste Tochter eines Textilwarenfabrikanten und dessen Frau auf. Erst im Alter von etwa 22 Jahren erhielt sie von ihren Eltern die Erlaubnis, in Berlin eine Ausbildung zur Lehrerin zu absolvieren. Als 1896 Frauen erstmals als Gasthörerinnen an preußischen Universitäten zugelassen wurden, gehörte sie zu den ersten vierzig Studentinnen der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. In der Folge studierte sie Literaturgeschichte, Philosophie und Nationalökonomie in Berlin, Glasgow und Bern. Nach ihrer Promotion in der Schweiz kehrte sie nach Berlin zurück und wurde zunächst als Dozentin an der privaten Lessing-Hochschule tätig. Später machte sie sich als freie Publizistin durch Vorträge, Lesungen und zahlreiche Veröffentlichungen einen vielbeachteten Namen.

Helene Stöcker setzte sich für ein demokratisches Frauenwahlrecht, die rechtliche, soziale und ethische Gleichstellung lediger Mütter und ihrer Kinder, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und das Recht der Frau auf Empfängnisverhütung ein. Sie vertrat ihre Positionen unter anderem im Bund für Mutterschutz (BfM, ab 1908 Bund für Mutterschutz und Sexualreform) und in der Zeitschrift Die Neue Generation, die von 1908 bis 1933 unter ihrer Schriftleitung erschien. Privat lebte sie ab 1905 mit ihrem Lebensgefährten, dem jüdischen Rechtsanwalt Bruno Springer (?–1931), in einer „modernen” Lebensgemeinschaft zusammen, die kinderlos blieb. Als Springer starb, war er 57 Jahre alt, er dürfte mithin um 1874 geboren sein. Bruno Springer stammte aus Ostrowo (heute Ostrów Wielkopolski, Polen).

Mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) kam Helene Stöcker 1909 in Kontakt, und 1912 trat sie der Vereinigung auch offiziell bei. Im selben Jahr wurde sie in das Obmännerkollegium des WhK gewählt. Aber bereits am 10. Februar 1911 veranstaltete der Bund für Mutterschutz unter dem Vorsitz von Helene Stöcker in Berlin einen Vortragsabend gegen die damals geplante und im Gespräch befindliche Ausdehnung des § 175 RStGB auf die Frauen. Anwesend war neben Magnus Hirschfeld auch der Arzt und spätere Erste Vorsitzende des WhK Heinrich Stabel.

Helene Stöcker war Frauenrechtlerin, Sexualreformerin und Pazifistin. Sie war unter anderem Mitbegründerin der Internationale der Kriegsdienstgegner im niederländischen Bilthoven, Vorstandsmitglied in der Deutschen Liga für Menschenrechte und schloss sich später der Gruppe Revolutionärer Pazifisten Kurt Hillers an. 1929 nahm sie am zweiten Internationalen Kongress für Sexualreform in Kopenhagen teil.

Stöcker kam eine große integrative Kraft zu. Kurt Hiller schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg an die befreundete lesbische Berliner Journalistin Eva Siewert (1907–1994): „Die hysterische Tribade mit Männerfeindschaft war fin-de-siècle ein verhältnismäßig verbreiteter Typus, welcher sogar, wegen seiner Komik, einige Popularität genoss, aber doch bereits um 1910, sicher 1920 überwunden war, nicht ohne Hilfe erfreulicher Frauengestalten wie Helene Stöcker, Else Lasker-Schüler oder Renée Sintenis. In den Kreisen des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts galt es einfach als schlechter Ton, die Propaganda der Freiheit für androtrope Männer mit Antifeminismus zu verbinden oder die feministische Propaganda mit Feindseligkeiten gegen den Mann.”

1932 begann Helene Stöcker mit der Niederschrift ihrer Memoiren, konnte sie aber unter den herrschenden Umständen bis an ihr Lebensende nicht abschließen. Nach der „Machtübernahme” der Nationalsozialisten verließ sie Deutschland im Frühjahr 1933 und ging ins Exil zunächst nach Zürich. Ende 1938 zog sie von hier weiter nach London. Die Nationalsozialisten hatten sie inzwischen ihrer Staatsbürgerschaft, ihres in Deutschland verbliebenen Vermögens und etlicher Kisten mit wichtigen Manuskripten beraubt. Von Schweden aus bemühte sich Helene Stöcker ab 1939 um die Einreise in die USA, die sie nach einer langen und beschwerlichen Reise über Moskau, Wladiwostok und Japan 1941 schließlich erreichte.

Helene Stöcker starb am 24. Februar 1943 in New York an einem Krebsleiden. Ihre unvollendete Autobiographie konnten Reinhold Lütgemeier-Davin und Kerstin Wolff erst 2015 herausgeben. Unklar ist vor diesem Hintergrund, warum Helene Stöcker in ihren Lebenserinnerungen ihre langjährige Zusammenarbeit mit Magnus Hirschfeld so gut wie unerwähnt ließ. So hielt sie in Hinblick auf Hirschfeld lediglich fest: „So mannigfache Bedenken man gegen seine Persönlichkeit und gegen seinen Charakter haben mag, so bleibt doch das Verdienst in seinem Kampf gegen die Härten einer Gesetzgebung gegenüber den Homosexuellen unbestritten.“

Schriften (Auswahl)

Stöcker, Helene (1908): Das Recht über sich selbst [Besprechung zu Kurt Hiller: Das Recht über sich selbst]. In: Die neue Generation (Jg. 4), Nr. 7, S. 270-273.

Stöcker, Helene (1919): Die Revolution des Herzens. In: Kurt Hiller (Hg.): Das Ziel. Jahrbücher für geistige Politik (Das Ziel, 3). München: Kurt Wolff Verlag, S. 16-21.

Stöcker, Helene (1924): Erotik und Altruismus. Leipzig: E. Oldenburg.

Stöcker, Helene (1925): Liebe. Roman. Berlin: Verlag der Neuen Generation.

Stöcker, Helene (1929): Kameradschaftsehe und Sexualreform. In: Hertha Riese und J. H. Leunbach (Hrsg.): Sexual Reform Congress. W.L.S.R. World League for Sexual Reform. Proceedings of the Second Congress. Copenhagen, 1–5 July 1928. Kopenhagen, Leipzig: Levin & Munksgaard, Georg Thieme Verlag, S. 100-106.

Stöcker, Helene (2015): Lebenserinnerungen. Die unvollendete Autobiographie einer frauenbewegten Pazifistin (L’homme Archiv, 5). Hrsg. von Reinhold Lütgemeier-Davin, Kerstin Wolff, Stiftung Archiv der Deutschen Frauenbewegung, Kassel. Köln: Böhlau.

Weiterführende Literatur

Kokula, Ilse (1985): Helene Stöcker (1869–1943), der „Bund für Mutterschutz” und die Sexualreformbewegung, mit besonderer Berücksichtigung des Emanzipationskampfes homosexueller Frauen und Männer, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (6), S. 5-24.

Wickert, Christl (1991): Helene Stöcker 1869–1943. Frauenrechtlerin, Sexualreformerin und Pazifistin. Eine Biographie. Bonn: Dietz.

Wickert, Christl (2009): Helene Stöcker (1869–1943), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 672-678.

Zeitleiste zum Lebensweg Helene Stöckers auf Lebendiges Museum Online.

Strehlow, Leopold (Elektrotechniker) geb. 29.12.1877 (Berlin) – gest. nach 1923 (vermutlich in Südamerika)

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Über den Lebensweg des Elektrotechnikers Leopold Eugen Strehlow ist nur wenig bekannt. Strehlow wurde am 29. Dezember 1877 in Berlin geboren, sein Vater Friedrich Strehlow soll Gärtner gewesen sein. Um 1906 fuhr Leopold Strehlow von Hamburg aus nach Valparaiso (Chile). Er muss spätestens um 1910 nach Deutschland zurückgekehrt sein, denn als er 1911 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt wurde, war sein Wohnort wieder Berlin. Am 5. Dezember 1922 wurde Strehlow ebenfalls zum Zweiten Vorsitzenden im Bund für Menschenrecht (BfM) ernannt. Doch schon 1923 fuhr er von Hamburg aus erneut nach Südamerika, wo sich seine Spuren verlieren.

Weiterführende Literatur

Dobler, Jens (2003): Von anderen Ufern. Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain. Berlin: Bruno Gmünder Verlag, S. 72 und 76.

von Teschenberg, Hermann (Freiherr) geb. 6.7.1866 (Gut Teschenberg, heute Tschechien) – gest. 6.11.1911 (Neapel, Italien)

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Hermann von Teschenberg (links) mit einem Freund. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Hermann Freiherr von Teschenberg wurde am 6. Juli 1866 in Teschenberg (Mähren) geboren, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Seine Eltern waren der Chefredakteur der Wiener Zeitung Ernst von Teschenberg und dessen Frau Rosa geb. Peez, die schon ein halbes Jahr nach der Geburt ihres zweitgeborenen Sohnes starb.

Laut Magnus Hirschfeld besuchte Hermann von Teschenberg das Wiener Internat Kalksburg, und sein ursprünglicher Berufswunsch war, Intendant des Hofburgtheaters zu werden. Doch studierte Teschenberg von 1885 bis 1888 zunächst Jura an der Universität in Wien, wodurch er sich zu einem Amt im höheren Staatsdienst qualifizierte. Schon in jungen Jahren reiste Teschenberg viel. Er besuchte unter anderem Italien und England, wo er Oscar Wilde (1854–1900) persönlich begegnete, vermutlich lernte er ihn aber eher aus der Ferne kennen. Mehrere dramatische Werke Wildes übertrug Teschenberg später, zum Teil zusammen mit Isidore Leo Pavia (1875–1945), ins Deutsche. Die Übersetzungen wurden zu ihrer Zeit nicht ohne Vorbehalte aufgenommen, und beispielsweise Richard Strauß griff bei dem Libretto für seine Oper Salome (UA 1905) nicht auf Teschenbergs und Pavias Arbeit zurück.

Bereits 1898 war Hermann von Teschenberg nach Berlin gezogen, wo er einer der „eifrigsten Mitarbeiter“ Magnus Hirschfelds im kurz zuvor gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) wurde. Im Berliner Adressbuch wurde er als „Privatier“ geführt, das heißt, er ging keinem Beruf nach, sondern konnte von einem privaten Vermögen leben. Teschenberg war starker Raucher, wodurch seine Gesundheit früh in Mitleidenschaft gezogen wurde. 1905 siedelte er deshalb von Berlin nach Italien über, wo er am 6. November 1911 in einem Krankenhaus in Neapel starb.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 1166-1167.

Schroeder, Horst (2008): Der erste Herausgeber der Vierakt-Fassung von The Importance of Being Earnest: Hermann Freiherr von Teschenberg. In: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 41, S. 17-28.

Thalbitzer, Sophus (Dr. med., Arzt und Psychiater) geb. 1.11.1871 (Fredericia, Dänemark) – gest. 25.3.1941 (Roskilde, DK)

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Sophus Thalbitzer, o.J. Quelle: Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen.
Sophus Thalbitzer war Oberarzt am St. Hans-Hospital in Roskilde bei Kopenhagen. Durch zwei Artikel, die er 1924 und 1925 in juristischen Fachzeitschriften seines Heimatlandes veröffentlichen konnte, nahm er großen Einfluss auf die dänische Strafgesetzgebung zur Homosexualität.

Thalbitzer stützte sich vorbehaltlos auf Magnus Hirschfelds Monographie Die Homosexualität des Mannes und des Weibes von 1914 als „allgemein anerkanntem Standardwerk zum Thema”, argumentierte ganz im Sinne Hirschfelds im Namen der Wissenschaft und konnte erreichen, dass 1930 das gesetzliche Jugendschutzalter bei gleichgeschlechtlichem Verkehr in Dänemark nicht auf 21, sondern auf 18 Jahre festgelegt wurde und dass Prostitution für denjenigen, der einen Prostituierten bezahlte, keine Straftat war.

Sophus Thalbitzer, der behauptete, seine ablehnende Haltung gegen die zunächst geplanten schärferen Strafgesetze werde von „allen dänischen Psychiatern” geteilt, war zuvor nicht durch Artikel zur Homosexualität oder allgemeiner zur Sexualwissenschaft hervorgetreten. Thalbitzer war nicht verheiratet, doch es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass er homosexuell war. Als Arzt und Psychiater hatte er sich auf manisch-depressive Psychosen spezialisiert. Er wurde 1922 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.

Schriften (Auswahl)

Thalbitzer, Sophus (1920): Stimmungen, Gefühle und Gemütsbewegungen. Psychobiologische Beobachtungen und Analysen. Unter Mitarbeit von Harald Höffding (Verfasser des Vorworts). Berlin, Kopenhagen, Kristiania, Stockholm: Neuer Nordischer Verlag.

Thalbitzer, Sophus (1924): Forarbejder til den nye danske Straffelov. En overflødig Paragraf, in: Nordisk Tidskrift for Strafferet (Jg. 12), Nr. 3, S. 320-327.

Thalbitzer, Sophus (1925): Straffelovsforslaget og de Homosexuelle, in: Ugeskrift for Retsvæsen, S. 1905-1909.

Weiterführende Literatur

Rosen, Wilhelm von (2001): Thalbitzer, Sophus (1871–1941), in: Aldrich, Robert and Garry Wotherspoon (Hrsg.): Who Is Who in Gay and Lesbian History. From Antiquity to World War II. London und New York: Routledge, S. 438.

Thellier, Marcel (= Félix Tellier, franz. Konsul) geb. 8.10.1880 (Buenos Aires, ARG) – gest. nach 1929 (Ort nicht belegt)

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Über die wahre Identität „Marcel Thelliers“ herrschte lange Unklarheit. Aufgrund einer Notiz in den Monatsberichten des Wissenschaftlich-humanitären Komitees vom November 1907 wurde der Name immer als Pseudonym gelesen, und da der französische Schriftsteller Achille Essebac (eigentlich Achille Bécasse, 1868–1936) ihn in seinem autobiografisch gefärbten Erfolgsroman Dédé (1901) verwendete, ist angenommen worden, hinter „Marcel Thellier“ könne sich eben Achille Essebac verborgen haben. Essebacs Dédé war Anfang des 20. Jahrhunderts ein ausgesprochen erfolgreiches Werk, das die Liebe zwischen Marcel Thellier und André Dalio (genannt Dédé) thematisiert. Noch 1931 gab es in Berlin eine „Nachtbar des Herrn“, die den Namen „Dédé“ trug. Sie lag an der Ecke Bülow- und Frobenstraße (Berlin-Schöneberg).

Neuere Forschungen (2023) im russischen Sprachraum haben indes etwas Licht in das Dunkel gebracht. Demnach war zwar „Marcel Thellier“ in der Tat ein Pseudonym, es war aber der französische Vizekonsul in St. Petersburg (François Louis) Félix Tellier-Mattei, der sich seines bediente. Félix Tellier wurde am 8. Oktober 1880 in Buenos Aires (Argentinien) geboren. Über seine Lebensumstände ist heute aber nur wenig bekannt. Tellier war offenbar Absolvent der Universität in Paris und wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. 1907 wurde er in St. Petersburg von einem russischen Schriftsteller namens Wladimir Botzianowsky „geoutet“, indem er öffentlich als „leidenschaftlicher“ Bewunderer und Verteidiger des homosexuellen russischen Dichters und Komponisten Michail Kusmin (1872–1936) dargestellt wurde.

Welche Bedeutung dieses „Outing“ für Félix Tellier hatte, lässt sich bislang nicht entscheiden. Wenige Monate nach der Veröffentlichung des Feuilletons von Wladimir Botzianowsky verließ Tellier vorübergehend Russland, um indes bereits 1909 dorthin zurückzukehren. Seine diplomatische Karriere wurde durch den Vorfall nicht beeinträchtigt. Am 24. September 1921 wurde Tellier als französischer Konsul in Trinidad bestätigt, und Anfang 1925 wechselte er von Trinidad nach Mexiko-Stadt, wo er wohl mit der Beschaffung französischer Mandatsunterlagen für Schriftsteller und Intellektuelle aus dem osmanisch beherrschten Libanon, Syrien und Palästina betraut war, die als „Mahjar“ von sich reden machten. Als französischer Konsul in Mexiko-Stadt wurde Tellier am 8. Juli 1925 zugelassen.

Das letzte heute bekannte Lebenszeichen Félix Telliers stammt aus dem Jahr 1929. Laut einer Kurzmeldung in der London Gazette wurde er im April 1929 zum französischen Konsul in St. John‘s in Newfoundland (Kanada) ernannt.

Als Obmann im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) wurde „Marcel Thellier“ 1920 genannt.

Weiterführende Literatur

Féray, Jean-Claude (2008): Achille Essebac und sein Roman Dédé (Nachwort), in: Essebac, Achille: Dédé (Bibliothek rosa Winkel, 47). Hamburg: Männerschwarm Verlag, S. 239-256.

Sokolinsky, Lev (2023): Die leuchtenden Schwulen des Kaiserreichs. Outing für das Allgemeinwohl (auf Russisch).

Monatsbericht des Wissenschaftlich-humanitären Komitees vom 1.11.1907 (Jg. 6, Nr. 11), S. 217-218.

Diario Oficial. Secretaría de Gobernación. Organo del Gobierno Constitucional de los Estados Unidos Mexicanos (Jg. 31, Nr. 31) vom 5.8.1925, S. 738.

Compagnie minière Santiago y anexas (1928): Inauguration de l’usine de traitement de Huautla, état de Morelos. Discours de M.M. Ch. Berrogain, A. Puente, J. Reynoso, F. Tellier Mattei, P. Roustan et de la Parra. Mexico: editorial Cultura.

Notiz in der London Gazette vom 26.7.1929, S. 4922.

von Thun, Hugo (Dr. med., Arzt) geb. 26.6.1878 (Bjerge, Dänemark) – gest. 1.5.1922 (Nakskov, Dänemark)

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Über den dänischen Oberarzt Hugo von Thun liegen nur wenige Angaben vor. Nach seinem Studium der Medizin in Horsens legte Hugo von Thun das medizinische Examen 1906 ab. Er wurde zunächst zwei Jahre als Reservearzt am Frederiksberg Hospital tätig, wechselte dann an das Aarhus Kommunehospital, arbeitete vorübergehend an zwei Krankenhäusern in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen und wurde 1918 schließlich Oberarzt am Amts- und Stadtkrankenhaus in Nakskov auf der Insel Lolland.

Hugo von Thun wurde 1914 zum Obmann des WhK gewählt. Vermutlich war er erst im Jahr zuvor in Kontakt mit Magnus Hirschfeld und dem WhK getreten. Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen wird er zwischen 1913 und 1920 einige Male erwähnt. Vor 1919 stiftete er Hirschfeld ein signiertes Foto von sich, das fortan im Institut für Sexualwissenschaft neben etlichen anderen Fotos von „zeitgenössischen Gelehrten und Sexualforschern” an der Wand hing.

Magnus Hirschfeld dankte seinem Kollegen Hugo von Thun neben etlichen anderen im Vorwort zu Die Homosexualität des Mannes und des Weibes (1914) für „wertvolle Beiträge über die homosexuellen Verhältnisse im Ausland”, in diesem Fall Dänemark. An anderer Stelle hob Hirschfeld lobend hervor, dass von Thun sich zur Zeit des Ersten Weltkriegs vor allem bei der Ermittlung des Aufenthaltsortes deutscher Kriegs- und Zivilgefangener „in den gegnerischen Staaten” verdient gemacht habe. Er habe so dazu beigetragen, die Angehörigen dieser Gefangenen zu beruhigen, zu trösten und zwischen den Gefangenen und ihnen die Korrespondenz zu vermitteln.

Weiterführende Literatur

Kraks Blå Bog. København: Kraks Forlag 1921, S. 736-737.

Tischler, Max (Dr. med., Arzt) geb. 1.2.1876 (Dobrzyca, Provinz Posen, heute Polen) – gest. 20.7.1919 (Berlin)

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Max Tischler zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, o.J. Foto in Privatbesitz.
Max Tischler wurde 1876 in eine jüdische Familie geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Levy Tischler und dessen Frau Amalie geb. Goetz. Er hatte mindestens eine Schwester und zwei Brüder, von denen einer wie er auch Arzt wurde.

Max Tischler studierte in Berlin, legte seine medizinische Dissertation über „multiple symmetrische Lipome” aber 1906 an der Universität in Leipzig vor. Zwei Jahre später war er in Charlottenburg gemeldet, und spätestens um diese Zeit muss er in Kontakt mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) getreten sein. Um diese Zeit übernahm er die Praxis seines kurz zuvor verstorbenen Berufskollegen Alfred Lubowski (1874–1907) in der Charlottenburger Danckelmannstraße 61, der wie Tischler jüdischer Herkunft war und sich ebenfalls im WhK betätigt hatte. Ende 1908 wurde Tischler zum Schriftführer der Organisation gewählt, und bis zu seinem frühen Tod 1919 behielt er eine Stellung als Vorstandsmitglied des WhK bei.

Max Tischler betrieb zeitweise eine ärztliche Praxis zusammen mit Magnus Hirschfeld in der Berliner Straße 121 in Charlottenburg (bei Berlin) und arbeitete 1909 neben anderen an der von Hirschfeld initiierten Neuauflage des Psychobiologischen Fragebogens mit. Er wurde 1910 zum Obmann des WhK gewählt. Max Tischler war ab März 1908 verheiratet und wurde Vater von zwei Töchtern, die 1909 und 1913 geboren wurden.

Im Ersten Weltkrieg kam Max Tischler vorübergehend als Arzt zum Einsatz, unbekannt ist aber, wo. Im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (JfsZ) hieß es 1918, Tischler sei „krank aus dem Felde zurückgekehrt” und bedürfe „äußerster Schonung”. Nach seinem Tod gab das WhK bekannt, er sei nach „langem, im Kriege erworbenen Leiden” verstorben. Max Tischler schied am 20. Juli 1919 im Alter von nur 43 Jahren durch Selbstmord aus dem Leben.

Alle drei namentlich bekannten Geschwister Max Tischlers wurden im Lauf des Jahres 1942 von Berlin aus in nationalsozialistische Lager deportiert und dort ermordet. Max Tischlers Witwe, die eine Tochter deutsch-jüdischer Auswanderer aus dem Raum Posen (Poznań) und gebürtige Amerikanerin war, konnte noch Ende der 1930er Jahre in die USA zurückkehren. Die Töchter wanderten 1934 bzw. 1936 nach Palästina aus, wo sie Familien gründeten.

Gedenken

Der Grabstein Max Tischlers auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee (Feld E, Abt. V. Reihe 27) wurde auf Initiative der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 2015 restauriert.

Weiterführende Literatur

Wolfert, Raimund (2014): Max Tischler (1876–1919), eine biographische Skizze, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 50/51, S. 89-91.

Wolfert, Raimund (2015): Nachrichten aus Israel. Max Tischler „reloaded“, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld- Gesellschaft Nr. 53, S. 50-52.

Wolfert, Raimund (2020): Berliński nagrobek. Ścieżki życia, które wiodą z Dobrzycy do Izraela, in: Miasteczko Poznań. Pismo społeczno-kulturalne 2020, Nr. 1, S. 64-73.

Topf, Gertrud (Polizeigehilfin) geb. 1880/81 (Pillkallen, heute Dobrowolsk, Russland) – gest. 7.10.1918 (Berlin)

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Die Polizeibeamtin Gertrud Topf wurde neben der Schriftstellerin Toni Schwabe 1910 als eine der ersten beiden Frauen in das Obmännerkollegium des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt – auf „vielseitig, auch aus Frauenkreisen geäußerten Wunsche”, wie es in den Unterlagen der Organisation hieß. Das ungefähre Geburtsjahr Gertrud Topfs lässt sich bislang nur aus ihrer Sterbeurkunde ableiten. Im Übrigen ist über ihren Lebensweg – abgesehen davon, dass sie bei der Berliner Polizei tätig war – nur wenig bekannt.

Ende Januar 1905 unterzeichnete Gertrud Topf neben etlichen anderen, unter ihnen der Maler Hermann Struck, die Schriftsteller Hans Ostwald und Hermann Sudermann sowie der Direktor des Berliner Lessingtheaters Otto Brahm, einen Aufruf zur Rettung des russischen Schriftstellers Maxim Gorki (1868–1936), der seit seiner Kritik am harten Vorgehen der russischen Behörden gegenüber unbewaffneten Zivilisten am „Petersburger Blutsonntag” in Russland in Festungshaft einsaß.

Vermutlich war Gertrud Topf lesbisch. Als der Publizist und langjährige Mitarbeiter Hirschfelds im WhK Kurt Hiller Ende der 1940er Jahre die lesbische Journalistin Eva Siewert (1907–1994) kennenlernte und diese ihn brieflich nach Frauen aus dem Umfeld Hirschfelds fragte, nannte Hiller ihr gegenüber den Namen Topfs und den von Margarete Dost. Eva Siewert antwortete: „Die Damen Dost und Topf dürften schwer wiederzufinden sein. Schade, schade. Ich kannte sie nicht.“

Quellen

Aufruf „Rettet Gorki!”, in: Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, 30.1.1905, S. 1.

Boxhammer, Ingeborg und Christiane Leidinger (2020): Ereignisse im Kaiserreich rund um Homosexualität und „Neue Damengemeinschaft“ (hier: ND). LGBTI-Selbstorganisierung und Selbstverständnis, S. 8. Online hier.

Herzer, Manfred (2017): Magnus Hirschfeld und seine Zeit. Berlin: De Gruyter Oldenbourg, S. 102.

Tremmel, Emil (Dr. med., Nervenarzt) geb. 8.5.1888 (Gerlachsheim, Baden) – gest. 13.4.1936 (Heidelberg)

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Emil (Christian) Tremmel wurde als Sohn des Oberreallehrers Eduard Tremmel und dessen Ehefrau Amalie im badischen Gerlachsheim geboren. 1907 legte er im benachbarten Tauberbischofsheim die Reifeprüfung ab, und anschließend studierte er an den Universitäten in Heidelberg und München Medizin. Die ärztliche Vorprüfung bestand er 1910, und das ärztliche Staatsexamen legte er am 21. Dezember 1912 in Heidelberg ab. In der Folge wurde er als Praktikant am Anatomischen Institut in Heidelberg und am Städtischen Krankenhaus in Mainz tätig, und am 1. Januar 1914 wurde er Volontär-Assistent.

Seine Dissertation legte Emil Tremmel 1915 unter dem Titel „Untersuchungen über die Faradische Auslösung des Normalen und des Babinskischen Fuszsohlenreflexes“ in Heidelberg vor. Schon Ende 1914 hatte er sich zum Lazarettdienst in Bonn abgemeldet, und 1916 wurde ihm vom Badischen Staatsministerium das Kriegsverdienstkreuz verliehen. Im Mai 1918 erhielt er als leitender Arzt eines Vereinslazarettzuges in Bonn die Militär-Verdienstmedaille mit dem roten Kreuz. Von April 1919 bis April 1920 wohnte Emil Tremmel schließlich in Berlin (Viktoriastraße 55), und möglicherweise wurde er in dieser Zeit persönlich mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) bekannt. Zum Obmann des WhK wurde er 1920 gewählt.

Emil Tremmel praktizierte ab 1920 als „Spezialarzt für Nervenleiden” in Heidelberg. Dabei wohnte er wie auch schon zu seinen Studienzeiten über weite Strecken wieder bei seinen Eltern in der Schröderstraße 10. Am 7. Dezember 1926 heiratete er in Stettin Luise Lehmann, die gebürtig aus Braunschweig stammte. Sie betrieb anschließend in Heidelberg eine Schule für Mensendieck-Gymnastik. Emil und Luise Tremmel bekamen zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Die Familie wohnte zunächst in der Brückenstraße 49 und ab 1931 in der Sofienstraße 25.

Emil Tremmel starb 1936 plötzlich im Alter von 47 Jahren. In einem kurzen Nachruf im Heidelberger Tageblatt hieß es über den Verstorbenen: „Sein liebenswürdiges und stets hilfsbereites Wesen sicherten ihm Freundschaft und Achtung aller, die ihn kannten.”

Schriften (Auswahl)

Tremmel, Emil (1915): Untersuchungen über die Faradische Auslösung des Normalen und des Babinskischen Fuszsohlenrefelexes (Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Medizinischen Doktorwürde). Berlin: Julius Springer.

Tremmel, Emil (1931): Drei kurze Traumanalysen, in: Psychoanalytische Praxis. Vierteljahrsschrift für die aktive Methode der Psychoanalyse (Jg. 1), S. 152ff.

Quellen

Nachruf auf Dr. Emil Tremmel im Heidelberger Tageblatt, 14.4.1936, S. 6.

Todesanzeige im Heidelberger Tageblatt, 15.4.1936, S. 13.

Turville-Petre, Francis (Archäologe) geb. 4.3.1901 (vermutlich London, Großbritannien) – gest. 16.8.1942 (Kairo, Ägypten)

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Francis Turville-Petre wurde 1901 in eine englische katholische Familie geboren – vermutlich in London. Er verbrachte aber die meiste Zeit seiner Kindheit in Bosworth Hall zwischen Birmingham und Leicester. Seine Eltern waren Oswald Turville-Petre und dessen Frau Margaret geb. Cave. Das Paar hatte zwei Söhne und drei Töchter. Francis Turville-Petre besuchte die Schule in Eastbourne und immatrikulierte sich 1920 am Exeter College in Oxford. Sein Studium schloss er jedoch nie ab, auch weil seine Mitstudenten ihm wegen seiner Homosexualität das Leben schwer machten.

Francis Turville-Petre erkannte früh, dass seine Berufung die Archäologie des Nahen Ostens war, und schon 1923 verbrachte er ein Jahr an der British School of Archaeology in Jerusalem. 1925 führte er Ausgrabungen in zwei Höhlen am See Genezareth durch und fand den Schädel eines „Homo heidelbergensis”, der in und außerhalb von Fachkreisen schnell auf ein großes wissenschaftliches Interesse stieß. Noch heute gilt er als einer der ältesten und wesentlichsten Hominidenfunde des Nahen Ostens. Obwohl Francis Turville-Petre früh zu Ruhm gekommen war, viel beachtete Vorträge hielt und ebensolche Schriften vorlegte, fand seine Karriere bereits wenige Jahre später ein abruptes Ende. Seine letzten Grabungen führte Turville-Petre 1931 in den Kebara-Höhlen südlich von Haifa durch.

Vor und nach seinem dritten Aufenthalt in Palästina führte Francis Turville-Petre ein rastloses Leben außerhalb Großbritanniens. Er wohnte zunächst als Mieter von Recha Tobias (1857–1942), Magnus Hirschfelds Schwester, in Berlin direkt neben dem Institut für Sexualwissenschaft und später überwiegend in Griechenland. Nach Berlin war er gekommen, um sich von Magnus Hirschfeld gegen die Syphilis behandeln zu lassen. Während dieser Zeit lernte Turville-Petre unter anderem die britischen Schriftsteller Christopher Isherwood (1904–1986), W. H. Auden (1907–1973) und Stephen Spender (1909–1995) kennen, die ihm nur leicht verfremdet in ihren literarischen Arbeiten Denkmäler setzten. Insbesondere für Isherwood hatte Turville-Petre vorübergehend eine besondere Bedeutung, weil er ihn mit den Bars rund um das Hallesche Tor in Berlin-Kreuzberg bekannt machte, in denen junge Männer aus der Arbeiterklasse der Prostitution nachgingen.

1928 gehörte Turville-Petre neben den Sexualreformern Havelock Ellis (1859–1939) und Norman Haire (1892–1952) auch dem Gründungsausschuss der Weltliga für Sexualreform an, und in diesem Jahr wurde er ebenfalls zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.

1931 ließ sich Francis Turville-Petre in Griechenland nieder, wo er ein Grundstück auf einer kleinen Insel in der Nähe von Chalkida pachtete. Ursprünglich wollte er auch hier Grabungen durchführen, doch verweigerten die griechischen Behörden ihm die nötige Lizenz. Offenbar hatten kursierende Gerüchte über Turville-Petres ausufernden Alkoholkonsum und seine Homosexualität hierzu beigetragen.

Kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Griechenland verließ Francis Turville-Petre das Land mit einem der letzten Schiffe aus Piräus und floh nach Alexandria in Ägypten. Francis Turville-Petre starb im Sommer 1942 im Kairoer Stadtteil El-Zeitoun an den Folgen der Syphilis und seines langjährigen Alkoholmissbrauchs.

Weiterführende Literatur

Bar-Yosef, Ofer; Callander, Jane (1997): A Forgotten Archaeologist. The Life of Francis Turville-Petre. In: Palestine Exploration Quarterly 129, S. 2-18.

Viereck, George Sylvester (Schriftsteller, Propagandist) geb. 31.12.1884 (München) – gest. 18.3.1963 (Holyoke, MA, USA)

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George Sylvester Viereck war der Sohn des sozialdemokratischen Politikers und Journalisten Louis Viereck (1851–1922) und dessen Ehefrau Laura. Die Eltern hatten 1881 geheiratet. Es heißt, dass der Vater ein illegitimer Sohn des späteren Kaisers Wilhelm I. war. Er wanderte 1896 mit seiner Familie in die USA aus und ließ sich in New York nieder. Magnus Hirschfeld hatte Louis Viereck noch als Student in München kennengelernt und übertrug die Freundschaft später vom Vater auf den Sohn.

George Sylvester Viereck machte in den USA zunächst als feinsinniger Lyriker von sich reden. Seine Gedichte erschienen sowohl in liberalen als auch in konservativen Zeitschriften. Ab etwa 1907 entwickelte er sich zu einem germanophilen Propagandisten. Auch in den 1930er und 1940er Jahren sprach er sich noch positiv über den Nationalsozialismus aus und trat publizistisch für Adolf Hitler und das „Dritte Reich“ ein. Bereits 1923 hatte er ein Interview mit Hitler geführt, und als sich in den USA keine Zeitung fand, die es drucken wollte, publizierte er es in seinem eigenen Journal, dem American Monthly. Hier „prophezeite“ Viereck, dass Hitler „im Guten oder im Schlechten“ Geschichte schreiben werde.

1933 half George Sylvester Viereck dem Deutschen Touristikbüro in den USA, eine nazifreundliche Broschüre zu erstellen, und 1940 engagierte er sich im America First Committee (AFC), das gegen ein Eintreten der USA in den Zweiten Weltkrieg agitierte. Für seine pro-nationalsozialistische publizistische Tätigkeit saß George Sylvester Viereck schließlich von 1942 bis 1947 über vier Jahre in Haft. Seine Gefängniserlebnisse, die 1952 unter dem Titel „Men into Beasts“ in Buchform erschienen, beschreiben die brutalen Verhältnisse in amerikanischen Gefängnissen, wie er sie kennen gelernt hatte. Sie gingen ihm zufolge mit einem Verlust der Menschenwürde einher.

Trotz seiner Sympathien für die Nationalsozialisten hat Magnus Hirschfeld George Sylvester Viereck die Freundschaft zeit seines Lebens nicht gekündigt. 1930/31 begleitete Viereck Hirschfeld auf seiner Vortragsreise durch die USA publizistisch. Von ihm stammen ein Porträt Hirschfeld in seinem Buch Glimpses of the Great (1930) und eine Artikelserie in den Blättern des „Pressemoguls” Randolph Hearst (1930/31). Es war Viereck, der die Bezeichnung „Einstein of Sex“ für Magnus Hirschfeld prägte.

George Sylvester Viereck war seit 1911 mit Margaret Edith Hein verheiratet und wurde Vater von zwei Söhnen. Nach dem britischen Okkultisten Aleister Crowley (1875–1947) war er ein „seelischer, aber kein praktizierender Homosexueller“. Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde George Sylvester Viereck 1912 gewählt. Es ist jedoch fraglich, ob er die Wahl annahm, da sie ihm nur brieflich mitgeteilt wurde.

Schriften (Auswahl)

Viereck, George Sylvester (1923): Hitler the German Explosive. In: American Monthly (Oktober 1923), S. 235-238.

Viereck, George Sylvester (1930): Glimpses of the Great. New York: Macaulay (mit einem Porträt Magnus Hirschfelds auf S. 285-309); britische Ausgabe London: Duckworth (hier das Porträt Hirschfelds S. 240-259); auf Deutsch: Viereck, George Sylvester (1930): Schlagschatten. Sechsundzwanzig Schicksalsfragen an Grosse dieser Zeit. Berlin, Zürich: Deutsch-Schweizerische Verlagsanstalt Eigenbrödler (mit dem Hirschfeld-Porträt auf S. 127-150).

Viereck, George Sylvester (1930): „Love Awakening in America Observed by Dr. Hirschfeld.” In: Chicago Herald and Examiner, 30.11.1930 (Teil 3), S. 1, 4. („In a dialogue with George Sylvester Viereck.” Auch in Albany Times-Union, Detroit Times, Los Angeles Examiner, New York American, Pittsburgh Sun-Telegraph, Rochester Sunday American, Washington Herald.)

Viereck, George Sylvester (1931): „Could You Answer These Questions When You Were Married?” In: Liberty 8, Nr. 34, S. 18-22. („As told to George Sylvester Viereck.”)

Viereck, George Sylvester (1931): „‚Dr. Einstein of Sex’ Not So Favorably Impressed by U.S.” In: Wisconsin News (Milwaukee), 2.2.1931, S. 1, 4. („In a dialogue with George Sylvester Viereck.” Auch in: Albany Times-Union, Chicago Herald and Examiner, Detroit Times, Los Angeles Examiner, Pittsburgh Sun-Telegraph, San Francisco Examiner, Seattle Post-Intelligencer, Washington Herald.)

Viereck, George Sylvester (1931): „Harlem’s Emotional Beauty Charms ‚Einstein of Sex.’” In: Wisconsin News (Milwaukee), 3.2.1931, S. 6. („In a dialogue with George Sylvester Viereck.” Auch in Chicago Herald and Examiner.)

Viereck, George Sylvester (1931): „Hirschfeld Asks Scientific Sex View, Not Theological.” In: Wisconsin News (Milwaukee), 4.2.1931, S. 5. („In a dialogue with George Sylvester Viereck.” Auch in Chicago Herald and Examiner.)

Viereck, George Sylvester (1952): Men Into Beasts. New York: Fawcett Publications.

Weiterführende Literatur

Dose, Ralf. Hrsg. (2013): Magnus Hirschfeld. Testament. Heft II. Berlin: Hentrich & Hentrich, S. 102 und 223.

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 1203.

Vieröckl jun., Rudolf (Bankbeamter) geb. 25.12.1892 (Wien, Österreich) – gest. 4.4.1915 (Großwardein, heute Oradea, Rumänien)

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Grabstätte der Familie Vieröckl auf dem Wiener Zentralfriedhof. Foto: Andreas Brunner, 2021.
Über die Lebensumstände Rudolf Vieröckls ist bislang nicht viel bekannt. Sein Geburtsname lautete Rudolf Karl Ferdinand Vierekl, der Familienname wurde erst 1897 in Vieröckl geändert. Rudolf Vieröckls Eltern waren der katholische Fleischselcher Rudolf Anton Vierekl/Vieröckl und dessen Frau Anna Maria Kießl. Der Sohn machte eine Ausbildung zum Bankbeamten und wohnte zeitweise in der Wiener Florianigasse 16.

Rudolf Vieröckl wurde 1914 als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Am 8. April 1915 hielt die Wiener Zeitung fest: „Der 22jährige Bankbeamte Rudolf Vieröckl aus Wien, der zu Beginn des Krieges als Freiwilliger eingerückt war, wurde am 17. Februar in den Karpathen schwer verwundet und ist am Ostersonntag in Großwardein gestorben. Die Leiche Vieröckls, der ein Sohn des Bezirksvorsteher-Stellvertreters des 8. Wiener Bezirkes Rudolf Vieröckl war, wird hierher überführt und übermorgen, Freitag, Nachmittags 2 Uhr, auf dem Zentralfriedhof im Heldengrabe beigesetzt.“ 1931 wurden Rudolf Vieröckls sterblichen Überreste offenbar in das Familiengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof umgebettet.

Weiterführende Literatur

Hauer, Gudrun (1989): Lesben- und Schwulengeschichte. Diskriminierung und Widerstand. In: Handl, Michael, Gudrun Hauer, Kurt Krickler u.a. (Hrsg.): Homosexualität in Österreich. Wien: Junius, S. 56f.

Todesfallmeldung in Wiener Zeitung vom 8.4.1915, S. 8.

Vogel, Bruno (Schriftsteller) geb. 29.9.1898 (Leipzig) – gest. 5.4.1987 (London, Großbritannien)

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Bruno Vogel, 1976. Foto in Privatbesitz.
Bruno Vogel war ein pazifistischer und emanzipatorischer Schriftsteller, der vor allem mit zwei Büchern auf sich aufmerksam gemacht hat. Sein Erstling Es lebe der Krieg! (1924) wurde Anlass eines gerichtlichen Prozesses und schließlich verboten, sein Jugendroman Alf (1929) war eines der ersten Werke der deutschsprachigen Literatur, in dem der selbstverständliche, positive Wert homosexueller Empfindungen offen und unverhüllt zum Ausdruck kommt.

Bruno Vogel hatte in seiner Heimatstadt Leipzig bereits um 1922 die „Gemeinschaft Wir” gegründet, um im Sinne des Berliner Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) lokal den Kampf gegen die rechtliche und gesellschaftliche Ächtung der Homosexuellen aufzunehmen. Er lernte Magnus Hirschfeld im Folgejahr persönlich kennen, und nach der gerichtlichen Auseinandersetzung um sein Buch Es lebe der Krieg! zog er auf Anraten Hirschfelds nach Berlin.

Hier wurde Vogel 1928 zum Obmann des WhK ernannt und erhielt nach eigenen Worten „eine bemerkenswert untergeordnete und uninteressante Anstellung” am Institut für Sexualwissenschaft. Vogel wurde mit Archiv- und Bibliotheksarbeiten unter Georg Plock (1865–1930) beauftragt, mit dem er sich nie gut verstand. Gleichwohl wurde Vogel 1929 neben Otto Juliusburger (1867–1952), Kurt Hiller (1885–1972) und Richard Linsert (1899–1933) auch in den Vorstand des WhK gewählt. Um diese Zeit schrieb er seinen Roman Alf, der eine begeisterte Aufnahme fand und bis heute ein Klassiker der deutschsprachigen „homoerotischen Literatur” ist. Er erschien 1992 auch in einer englischen und 2013 in einer slowenischen Übersetzung.

Bruno Vogel verließ Deutschland schon im Sommer 1931 und zog zunächst mit einem Freund nach Österreich, von wo er, aufgeschreckt durch den Berliner Reichstagsbrand, nach Norwegen flüchtete. 1937 wiederum flüchtete er aus Angst vor einem möglichen Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Norwegen weiter nach Südafrika und schlug sich hier mit wechselnden Aushilfstätigkeiten durchs Leben. Anfang der 1950er Jahre kehrte er – angewidert von der südafrikanischen Apartheid-Politik – nach Europa zurück und ließ sich in London nieder. Hier verstarb er 1987 im Alter von 88 Jahren.

Bruno Vogel betätigte sich auch in Südafrika und in London journalistisch und schriftstellerisch. Er konnte jedoch nie wieder an seine literarischen Erfolge von vor 1933 anknüpfen. Wenige Jahre vor seinem Tod wurde er unter anderem von Manfred Herzer und Charlotte Wolff zu seinen Erfahrungen am Institut für Sexualwissenschaft und als Protagonist der ersten deutschen Homosexuellenbewegung befragt und wurde so zu einem wichtigen Zeitzeugen und Chronisten (nicht nur) deutscher Verhältnisse.

Nachlass

Ein Teilnachlass Bruno Vogel liegt heute im Deutschen Exilarchiv Frankfurt, eine Bestandsübersicht findet sich hier.

Schriften (Auswahl)

Vogel, Bruno (1924): Es lebe der Krieg! Ein Brief. Leipzig-Plagwitz: Verlag Die Wölfe.

Vogel, Bruno (1929): Alf. Eine Skizze. Berlin: Asy-Verlag und Gilde freiheitlicher Bücherfreunde (Gildenbücher, Bd. 1).

Beide Bücher haben zahlreiche Neuauflagen erfahren.

Vogel, Bruno (1977): Vita. Anläßlich der Neuauflage meines Romans „Alf”, in: ders. Alf. Lollar: Achenbach, S. 235-240.

Weiterführende Literatur

Hergemöller, Bernd-Ulrich. Hrsg. (2010): Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Berlin/Münster: Lit, S. 1204-1206.

Wolfert, Raimund (2011): „Zeiten der Hoffnung waren das“. Bruno Vogel und sein Roman Alf, in: Vogel, Bruno: Alf. Eine Skizze (Bibliothek rosa Winkel 59). Herausgegeben von Raimund Wolfert. Hamburg: Männerschwarm Verlag, S. 219-246.

Wolfert, Raimund (2012): Nirgendwo daheim. Das bewegte Leben des Bruno Vogel. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag.

Wolfert, Raimund (2013): Vom Krieg gezeichnet. Bruno Vogels unermüdlicher Kampf gegen Unterdrückung und Unrecht, in: Gegner, Nr. 32, S. 34-39.

Wagner, Arno

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Die Identität Arno Wagners hat sich noch nicht ermitteln lassen. Wagner wurde 1928 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Berlin mindestens drei Männer, die den Namen Arno Wagner trugen. Der Maschinenarbeiter Arno W. wohnte in der Köllnischen Str. 128 (Neukölln), ein Rentner des gleichen Namens in der Donaustr. 1 (ebenfalls Neukölln) und ein Gießer Arno W. in der Wilhelm-Kuhr-Str. 65 (Pankow).

Walder, Fritz (Kaufmann)

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Sämtliche Angaben zur Identität und zum Lebensweg des Kaufmanns Fritz Walder fehlen. Walder wurde 1911 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt. Zu dem Zeitpunkt soll er in Krefeld gewohnt haben. Fritz Walder wurde auch 1920 als Obmann des WhK genannt.

Weber, Hermann (Bankangestellter und Buchhalter) geb. 29.9.1882 (Offenbach) – gest. 20.8.1955 (Frankfurt/Main)

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Hermann Weber, um 1955. Foto in Privatbesitz.
Hermann Weber war vor 1933 Leiter der Ortsgruppe Frankfurt/Main des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) und nach 1949 Ehrenvorsitzender des Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) sowie Präsident des von dem Frankfurter Arzt Hans Giese (1920–1970) gegründeten Nachkriegs-WhK.

Hermann Weber war der Sohn eines hessischen Brauereibesitzers und dessen amerikanischer Frau. Nach dem Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete er zunächst als Angestellter einer Bank in seiner Heimatstadt. Ab 1914 führte er hier mit seinem Freund und Lebensgefährten Paul Dalquen (1893–1975), den er über Magnus Hirschfeld kennen gelernt hatte, einen gemeinsamen Haushalt und übernahm die Buchhaltung in dessen Eisenkonstruktionsbetrieb. Später nahmen die beiden Männer einen Jungen an Sohnes statt an, und noch 1949 schrieb Weber über diesen Sohn und dessen Familie stolz an Kurt Hiller (1885–1972): „Sehen Sie, lieber Freund, das sind Resultate des verfemten Magnesen.”

Seine produktivste Zeit als Mitglied und Aktivist des WhK erlebte Hermann Weber in der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Er organisierte unter anderem einen Vortrag des Berliner Sexualwissenschaftlers Arthur Kronfeld (1886–1941) in Frankfurt und konnte den hessischen Staatspräsidenten Carl Ulrich (1853–1933) als Unterzeichner der Petition des WhK zur Abschaffung des § 175 RStGB gewinnen. Im Anschluss an die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen des WhK wurde er in Berlin zum Obmann der Vereinigung gewählt.

Über die Lebensumstände Hermann Webers, seines Lebensgefährten und des von diesem in der Zwischenzeit adoptierten Sohnes zwischen 1933 und 1945 liegen nur wenige Angaben vor. Einen persönlichen (anonymisierten) Einblick gewährt Hans Giese in seiner 1958 veröffentlichten Studie Der homosexuelle Mann in der Welt.

Nach 1945 litt Hermann Weber zunehmend unter gesundheitlichen Gebrechen, er fühlte sich müde und „verbraucht”. Doch „blühte” er merklich wieder auf, als im Sommer 1949 mit dem Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) in Frankfurt eine erste Organisation für Homosexuelle nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Wie der Arzt Hans Giese ließ er sich in den Vorstand des Vereins wählen. Als im Herbst desselben Jahres ebenfalls in Frankfurt von Giese das WhK neu gegründet wurde, übernahm Weber hier die Präsidentschaft.

Hermann Weber erfuhr 1949 von einer massiven nächtlichen Polizeiaktion, bei der etwa 60 amerikanische und deutsche Polizisten das Vereinslokal des Frankfurter VhL umstellten und schließlich 150 anwesende Gäste erkennungsdienstlich erfassten, und zusammen mit Heinz Meininger (1902–1983) legte er beim Frankfurter Polizeipräsidenten Beschwerde gegen die Razzia ein. Im Spätsommer 1952 eröffnete er den zweiten Kongress des ICSE (International Committee for Sexual Equality), der in Frankfurt stattfand, und noch im selben Jahr verfasste er wiederum zusammen mit Heinz Meininger ein Memorandum an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in Bonn, in dem die Aufhebung des § 175 StGB gefordert wurde.

Hermann Weber arbeitete zunächst bereitwillig mit Hans Giese zusammen, der 1949 in der Tradition Magnus Hirschfelds ein Institut für Sexualforschung gegründet hatte, distanzierte sich aber schon bald von ihm, als er erfuhr, dass Giese sich bei gleichgeschlechtlichem Verkehr für ein Jugendschutzalter von 21 Jahren für Männer aussprach (das damit bedeutend höher als das Schutzalter für junge Frauen gewesen wäre) und in einem öffentlichen Vortrag die Homosexualität als „Funktionsstörung” bezeichnete.

Schriften (Auswahl)

Weber, Hermann (1952): Magnus Hirschfeld zum Gedenken. In: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 1, S. 10-12.

Weber, Hermann (1952): Hochgeehrte Gäste! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zweiter Internationaler Kongreß für sexuelle Gleichberechtigung in Frankfurt a. M. vom 29. August bis 2. September 1952. Feierliche Eröffnung durch den Alterspräsidenten des VHL, Herrn H. Weber, Frankfurt am Main. In: Die Gefährten (Jg. 1), Nr. 5, S. 1-3.

Archivalien

Seit 2019 befindet sich das Gästebuch Hermann Webers und seines Lebensgefährten Paul Dalquen im Besitz der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft.

Weiterführende Literatur

Giese, Hans (1958): Der homosexuelle Mann in der Welt. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, S. 133-138.

Wolfert, Raimund (2015): Hermann Weber – Leben und Wirken eines „Gentleman“, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 53, S. 27-42.

Wolfert, Raimund (2015): Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (Hirschfeld-Lectures 8). Göttingen, Wallstein.

Wolfert, Raimund (2020): Weber, Hermann. In: Frankfurter Personenlexikon (online).

Weil, Arthur (Dr. med., Privatdozent) geb. 3.10.1887 (Braunschweig) – gest. 9.5.1969 (München)

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Nachdem er das Abitur in Hannover abgelegt hatte, studierte Arthur Weil zunächst Veterinärmedizin in München, Hannover und Berlin, wandte sich nach der entsprechenden Promotion aber der Humanmedizin zu. 1917 promovierte er nach Studien in Berlin und Halle ein weiteres Mal, diesmal zum Dr. med. In der Folge wurde er als Arzt tätig.

Bereits an der Tierärztlichen Hochschule in Berlin war Arthur Weil in Kontakt mit dem Schweizer Physiologen Emil Abderhalden (1877–1950) getreten, mit dem er etliche gemeinsame Veröffentlichungen vorlegte. Weil nahm 1913 an der ersten Sitzung der „Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik” teil, und im folgenden Jahr wurde er als „Dezernent für wissenschaftliche Arbeit” in einen Ausschuss des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) berufen. Am Institut für Sexualwissenschaft wurde er 1921 zum Leiter der „Abteilung für Innere Sekretion” ernannt. In dieser Position nahm er eine Schlüsselposition innerhalb des Instituts wie des WhK ein, und wenig später wurde er auch in das Kuratorium der „Dr.-Magnus-Hirschfeld-Stiftung” gewählt.

Gleichwohl verließ Arthur Weil Deutschland 1923, um fortan in den USA zu arbeiten. Er wurde zunächst in New York und später in Chicago auf Gebieten wie der Neuroanatomie, Endokrinologie und Immunologie tätig. Auch war er an der Herausgabe des Journal of Neuropathology & Experimental Neurology beteiligt. Er stand in Verbindung mit der sich formierenden amerikanischen Homosexuellenbewegung, hielt sich diesbezüglich aber im Hintergrund, und führte in seinen Publikationen die ursprünglich von Magnus Hirschfeld formulierten sexualwissenschaftlichen Ideen weiter fort. Seine eigene Mitarbeit am Institut für Sexualwissenschaft verschwieg Weil nach dem Zweiten Weltkrieg selbst in Hinblick auf die meisten seiner einst in Deutschland veröffentlichten Arbeiten.

Arthur Weil fühlte sich auch in den USA eng mit Europa verbunden, er soll stets Heimweh gehabt haben. Im Alter von 81 Jahren kehrte er nach Deutschland zurück, um hier zu sterben. Er erlag am 9. Mai 1969 in München einem Herzleiden und einer Lungenentzündung.

Weiterführende Literatur

Herrn, Rainer (2009): Arthur Weil (1887–1969), in: Sigusch, Volkmar und Günter Grau (Hrsg.): Personenlexikon der Sexualforschung. Frankfurt/New York: Campus, S. 735-740.

Weimann, Felix (Bankbeamter)

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Die Lebensdaten und alle weiteren Angaben zu Felix Weimann fehlen. In den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen von 1914 und 1920 wird er als Bankbeamter geführt. Weimann scheint dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) seit 1910 angehört zu haben. Im Mai 1914 wurde er zum Obmann der Vereinigung gewählt, es wurde jedoch nicht vermerkt, an welchem Ort er wohnte.

Wichert, Hermann (Dr. chir. dent) geb. 19.2.1860 (Danzig, heute Gdańsk, Polen) – gest. 14.12.1933 (Berlin)

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Hermann Wichert wurde wie sein älterer Bruder Benno Wichert (geb. 1855 in Thorn, heute Toruń, Polen) in den USA zum Zahnchirurgen ausgebildet. Seine Approbation als D.D.S. – Doctor of Dental Surgery erhielt er 1887 in New York; Benno Wichert erwarb die gleiche Qualifikation 1888 am Atlanta-Southern Dental College. Bei der Heirat seines Bruders 1896 war Hermann Wichert Trauzeuge. Um 1893 übernahmen die beiden Brüder die Firma Hermann Conrad – (mit dem Werbeslogan) „künstliche Zähne, Gebisse, Plomben, Zahnziehen völlig schmerzlos unter Anwendung von Lachgas” – in der Alexanderstr. 49 in Berlin. Spätestens seit 1914 befand sich die Praxis in der Friedrichstr. 48.

Hermann Wichert war 1908 und 1909 Kassenwart des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), 1910 wurde er als Beisitzer in den WhK-Vorstand gewählt, und er war nun auch Mitglied des Obmänner-Kollegiums. Wichert wurde (in der Fassung vom 31. Januar 1918) als einer der Stiftungsvorstände für die zu gründende Magnus-Hirschfeld-Stiftung genannt und 1919 auch im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen in dieser Funktion erwähnt. Warum Hermann Wichert nach 1919 nicht mehr Mitglied im Vorstand bzw. Kuratorium der Magnus-Hirschfeld-Stiftung war, ist unbekannt.

Wiehr, Bruno (Fotograf) geb. 6.3.1882 (Bad Reinerz, heute Duszniki-Zdrój, Polen) – gest. nach 1936 (Ort nicht belegt)

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Bruno (Franz Viktor) Wiehr wurde 1882 im niederschlesischen Bad Reinerz (heute Duszniki-Zdrój, Polen) geboren. Seine Eltern sollen Otto und Luise geheißen haben. Vermutlich ließ er sich noch in seiner Heimatstadt zum Fotografen ausbilden.

Ab 1903 ist Wiehr durch fotografische Aufnahmen, die Teilnahme an Wettbewerben und Textbeiträgen für diverse Zeitschriften in Dresden nachweisbar. Ab 1908 leitete er hier zusammen mit einem oder zwei Geschäftspartnern das „Atelier für künstlerische Photographie und Malerei“ (Prager Straße 30). Wiehr beschäftigte und bildete mehrere Fotografen aus, die sich später einen Namen machen sollten, unter ihnen etwa der Hannoveraner Will Burgdorf (1905–1944). Belegt ist ferner, dass Wiehr 1926 an einer “Schau künsterlischer Photographien” der Rheinisch-Bergischen Photographen-Zwangsinnung in Düsseldorf teilnahm.

Um 1931 gab Wiehr sein Fotoatelier auf, betrieb ab dem Folgejahr aber zusammen mit P. Titus Priemer in Dresden ein neues Geschäft unter der Bezeichnung „Bildnisse, Film und Photohandlung“. Ab den 1920er Jahren war Wiehr auch als Dokumentar- und Werbefilmer tätig. Nach wie vor bekannt sind seine Dokumentationen „Filmische Plaudereien. Ein Spaziergang durch Alltäglichkeiten“ (1927), „Die Grundsteinlegung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden am 7. und 8. Oktober 1927“ und „Die Rohrverlegung des Wasserbauamtes“ (1929).

Im Zuge polizeilicher Ermittlungen wegen Verstoßes gegen den von den Nazis verschärften § 175 RStGB soll Bruno Wiehr 1935 aus Dresden geflüchtet sein. Der spätere Lebensweg Wiehrs liegt nach wie vor im Dunkeln. Belegt ist, dass Wiehr im Sommer 1935 nach Belgrad (Serbien) ging, wo er nach wie vor als Fotograf tätig war. 1936 zog er weiter in das 100 km nordwestlich gelegene Novi Sad.

Bruno Wiehr wurde 1928 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) gewählt.

Veröffentlichungen (Auswahl)

Wiehr, Bruno (1922): Der männliche Körper in Linien und Licht. 30 Naturaufnahmen männlicher Körperschönheit. Mit einem Begleittext von Magnus Weidemann. Kettwig: Lichtkampfverlag H. Altermann.

Bekannt ist ebenfalls eine Porträt Magnus Hirschfelds von Bruno Wiehr (o.J.).

Weiterführende Literatur

Siehe den Eintrag zu Bruno Wiehr auf der Seite der Deutschen Fotothek, Dresden.

Die künstlerische Photographie [Kurzkritik], in: Kölnische Zeitung, 20.8.1926 [Nr. 616], S. 2.

Zusammenstellung von fotografischen Arbeiten Bruno Wiehrs und Angaben zu seinem Lebenswege auf der Seite des Staatstheaters Hannover (mit Ergänzungen hier).

Wietfeldt, Heinrich (Dr. med., Nervenarzt) geb. 28.1.1887 (Meinerdingen) – gest. 21.10.1969 (Bremerhaven)

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Zur Biografie des Bremerhavener Nervenarztes Dr. med. Heinrich Wietfeldt liegen nach wie vor nur bruchstückhafte Angaben vor. Wietfeldt wurde 1887 als Sohn des evangelischen Pastors Heinrich Wietfeldt in dem Dorf Meinerdingen in der Nähe von Walsrode geboren. Die Schriftstellerin Lena Voß (1882–1972), Verfasserin der erfolgreichen Studie Goethes unsterbliche Freundin über Charlotte von Stein (1921), war eine ältere Schwester, der DEFA-Schauspieler Willi Wietfeldt (1881–1969) ein jüngerer Bruder. Heinrich Wietfeldt jun. studierte ab Herbst 1909 Medizin, zunächst in Göttingen und dann in Freiburg im Breisgau, wo er seine medizinische Dissertation unter dem Titel „Vierzehn Fälle von Sexualvergehen und ihre forensische Begutachtung” 1912 vorlegte.

Während des Ersten Weltkriegs war Wietfeldt Marinearzt in einem Militärhospital in Bremerhaven. Besondere Bedeutung kam ihm seinerzeit zu, weil er seine Patienten zur Zeit der Großen Grippeepidemie um 1917 erfolgreich mit einer Quecksilberpaste behandelte. In seinem Buch Das rettende Quecksilber hat er 1963 seine praktischen Erfahrungen dargelegt. 1923 meldete Wietfeldt des Weiteren das Injektionsbesteck „Sterilofix”, bei dem Nadeln und Spritzen getrennt voneinander in mit Alkohol gefüllten Behältern steril aufbewahrt und transportiert wurden, zum Patent an, doch fand er keinen Unternehmer, der aus seiner Idee ein Produkt machen wollte. Da er zur Zeit der Inflation die Patentgebühr nur für ein Jahr bezahlen konnte, verkaufte Wietfeldt das Patent 1924 nach Kanada.

Heinrich Wietfeldt wurde 1920 als Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) genannt.

Schriften (Auswahl)

Wietfeldt, Heinrich (1912): Vierzehn Fälle von Sexualvergehen und ihre forensische Begutachtung. Freiburg i. Br.: Univ. (Diss.).

Wietfeldt, Heinrich (1936): Kriegsneurose als psychisch-soziale Mangelkrankheit. Leipzig: Thieme.

Wietfeldt, Heinrich (1963): Das rettende Quecksilber. Moderne Therapie. Ulm: Haug.

Weiterführende Literatur

Heits, Edward (1989): Das rettende Quecksilber – In memoriam Dr. Heinrich Wietfeldt †, in: Allgemeine Homöopathische Zeitung (AHZ), Nr. 5 (Band 234), S. 204-205.

Kurznachricht (Todesfallmeldung) in Ars Medici. Das Organ des praktischen Arztes 1970 (Bd. 60) Nr. 2, S. 148.

Historisches Museum Bremerhaven: Krankenhäuser, Ärzte und Hebammen 1920–1960.

Winckelmann, Horst (Fabrikbesitzer)

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Horst Winckelmanns Exlibris. Quelle: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin.
Über die Lebensumstände von Horst Winckelmann bzw. Horst Kretschmann-Winckelmann, wie er sich auch nannte, liegen heute nur wenige gesicherte Erkenntnisse vor. So sind nicht einmal seine Lebensdaten belegt. Unbekannt ist auch, welcher Art die Fabrik war, die er besaß, und ob Horst Kretschmann-Winckelmann mit der Berliner Malerin Frieda Kretschmann-Winckelmann (1870–1939) verwandt war. Möglicherweise waren die beiden verheiratet. Vielleicht war Frieda Kretschmann-Winckelmann aber auch eine Schwester von Horst Kretschmann-Winckelmann, denn um 1912 wird sie in wenigstens einer Quelle als „Fräulein“ bezeichnet.

Im Mai 1914 suchte Frieda Kretschmann-Winckelmann per Zeitungsanzeige in Wien einen „ruhigen Aufenthaltsort“ für einen älteren „alleinstehenden Herrn“, und wenige Wochen später hielt sich Horst Kretschmann-Winckelmann laut einer veröffentlichten „Fremdenliste“ in der österreichischen Hauptstadt auf.

Horst Kretschmann-Winckelmann wohnte offenbar in Berlin. 1921 benutzte er die postalische Anschrift „Kurfürstendamm 126“, doch ist er unter dieser Anschrift nicht im Berliner Adressbuch verzeichnet. Unter dem Namen „Horst Winckelmann” wurde er 1922 zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) ernannt, und 1931 wurde er als „Horst Kretschmann-Winckelmann” zum Beisitzer in den Vorstand des WhK gewählt. Am 4. September 1928 empfing der Reichsminister der Justiz, Dr. Erich-Weser (1875–1944), Magnus Hirschfeld und Horst Kretschmann-Winckelmann „zu einer ausführlichen Aussprache“ zur geplanten Strafrechtsreform. Von Seiten des WhK hieß es wenig später, das Ergebnis der Aussprache sei als „befriedigend“ anzusehen.

Um 1929 scheint Horst Kretschmann-Winckelmann in finanzielle Schwierigkeiten geraten zu sein, denn am 26. September 1929 wurde seine Bibliothek, zusammen mit Büchern aus anderem Besitz, im Berliner Auktionshaus und Antiquariat Max Perl, Unter den Linden 19, versteigert. „Die reichhaltigen Bestände umfassen die verschiedensten Gebiete: Manuskripte, alte Drucke und Inkunabeln, deutsche und ausländische Literatur, Miniaturen, Silhouetten, Luxus- und Pressendrucke, illustrierte Bücher [und] Mappenwerke“, hieß es etwa in der Kölnischen Zeitung.

Quellen und weiterführende Literatur

Kant-Studien. Philosophische Zeitschrift 1921 (Bd. 26), S. 283.

Kommende Versteigerungen, in: Kölnische Zeitung 24.9.1929 (Abendausgabe, Nr. 524b), S. 2.

Pfäfflin, Friedemann. Hrsg. (1985): Mitteilungen des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees 1926–1933 (Arcana bibliographica, 4). Faksimile-Nachdruck. Mit einer Einleitung. Hamburg: C. Bell, S. 133.

Wirz, Caspar (Prof. Dr. theol.) geb. 1.8.1847 (Zürich, Schweiz) – gest. 14.8.1915 (Rom, Italien)

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Caspar Wirz (links) und Ferdinand Karsch-Haack. Aus Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde, 1926.
Der evangelische Pfarrer Caspar Wirz war zunächst in einer Landgemeinde im Schweizerischen Thurgau tätig, bevor er vorübergehend nach München zog. Hier lebte er zunächst mit seiner sieben Jahre älteren Ehefrau zusammen, die er kurz zuvor geheiratet hatte, doch trennte sich das Paar schon ein Jahr später.

Caspar Wirz wohnte längere Zeit in Mailand und in Rom und besuchte auf ausgedehnten Reisen weite Teile Europas und die Länder Nordafrikas, wo er Gespräche mit Strichern und ihren männlichen Freiern führte. Er begriff so, dass Homosexualität nichts Erworbenes, sondern angeboren war, und er setzte sich nun um so kritischer mit den Stellen in der Bibel auseinander, in denen es um Gleichgeschlechtliches ging. 1904 legte er unter seinem Klarnamen das Buch Der Uranier vor Kirche und Schrift vor, das zwei Jahre später im Verlag von Max Spohr in Leipzig in einer überarbeiteten und erweiterten Fassung erneut erschien. 1903 war Wirz für seine Kirchenstudien zum Doktor honoris causa der Zürcher Universität ernannt geworden.

Caspar Wirz trat 1902 in Kontakt mit dem WhK, und er zählte schon bald zu den „bewährtesten und ältesten” Mitgliedern der Vereinigung. Bemerkenswert ist, dass er sich unter seinem Klarnamen im WhK betätigte und dass er der Vereinigung wiederholt größere Geldbeträge spendete.

Magnus Hirschfeld und Caspar Wirz trafen einander oft, ob in Berlin oder in Italien, wo Wirz als Hirschfelds kundiger Reiseführer auftrat. Das letzte Mal sahen sich die zwei Ende 1913 in Rom. Bei einem Spaziergang von der vatikanischen Gemäldegalerie bis zum Capitol zeigte Wirz Hirschfeld allerlei Stätten und Orte, die für die Geschichte der Homosexualität von Bedeutung waren, vom letzten Wohnsitz Michelangelos über die Grabstätte Kaiser Hadrians und dem Blumenmarkt, an dem Giordano Bruno hingerichtet wurde, bis hin zum Trajansforum. „Zieht sich für den Kenner nicht der Uranismus [so die zeitgenössische Bezeichnung für Homosexualität] wie ein roter Faden durch die Weltgeschichte?“, fragte Wirz bei der Gelegenheit rhetorisch. Der ebenfalls anwesende Archäologe Paul Hartwig (1859–1919) soll geantwortet haben, dass das wohl auch für die Kulturgeschichte gelte, und Hirschfeld setzte hinzu, dass das die gesamte Naturgeschichte betreffe.

In Von einst bis jetzt hielt Hirschfeld über das Buch Der Uranier vor Kirche und Schrift fest, es sei die wertvollste Arbeit, die „unsere Bewegung“ Wirz verdanke: „Wenn irgendwo, so ringt hier ein Mensch mit seinem Gott. Jede Bibelstelle, die auf gleichgeschlechtliche Vorgänge Bezug haben könnte, wird von dem gelehrten Verfasser auf das Gewissenhafteste untersucht, und man hört ihn förmlich aufatmen, wenn er am Ende der Schrift ausruft: ‚Ich schließe, indem ich der festen Überzeugung Ausdruck gebe, der Uranier habe sich nicht gegen die heilige Schrift zu verteidigen, nicht gegen eine einzige Stelle derselben, nur gegen eine althergebrachte Auslegung.“

Schriften (Auswahl)

Wirz, Caspar (1905): Der Uranier vor Kirche und Schrift. Zweite, gänzlich umgearbeitete Auflage. Leipzig: Max Spohr.

Weiterführende Literatur

Frischknecht, Beat (2007): Caspar Wirz – eine „unstete Natur”. Versuch eines Porträts des Schweizer Theologen, Historikers und WhK-Aktivisten, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten (Jg. 9), S. 38-70.

von Zastrow, Hans (Major a. D.) geb. 3.9.1876 (Naseband, heute Nosibądy, Polen) – gest. 12.1.1955 (Hämelschenburg)

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Hans von Zastrow, o.J. Foto in Privatbesitz.
Hans (Otto Karl Ferdinand) von Zastrow wurde 1876 als zweites Kind des Rittergutbesitzers Bernhard von Zastrow und dessen Frau Anna von Eisenhart-Rothe geboren. Er hatte vier Geschwister, eine Schwester, zwei Brüder und einen Halbbruder aus der ersten Ehe seines Vaters. 1899 wurde er königlich-preußischer Leutnant im Garde-Füsilier-Regiment in Berlin. Zum Obmann des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) wurde er 1913 gewählt, da war er Major a. D.

Hans von Zastrow hat 1904 geheiratet. Zusammen mit seiner Frau Erika hatte er fünf Kinder, vier Töchter und einen Sohn. Nach Angaben seiner 1926 geborenen Tochter Adelheid wurde Hans von Zastrow bereits 1934 enteignet, weil er das nationalsozialistische Regime ablehnte, offenbar aus einer christlichen Grundhaltung heraus. Die Familie unterhielt Beziehungen zu Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) und zur Bekennenden Kirche. Adelheid von Zastrow selbst konnte erst verspätet die Oberschule besuchen, weil den Eltern in Folge der Enteignung das Schulgeld fehlte.

Am 21. Juli 1944, einen Tag nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907–1944) im ostpreußischen Führerhauptquartier Wolfsschanze, wurde Hans von Zastrow verhaftet, weil die Nationalsozialisten glaubten, er könne in das Attentat verwickelt gewesen sein. Doch war dies nicht der Fall. Hans von Zastrow wurde in das Gefängnis in Neustettin (heute Szczecinek, Polen) gesperrt, und es gelang seiner Tochter Adelheid erst durch persönliche Vorsprache bei Heinrich Himmler, die Freilassung ihres Vaters zu bewirken. Hans von Zastrow wurde am 14. November 1944 nervlich angeschlagen aus der Haft entlassen.

1946 wurde Hans von Zastrow wie die übrige im nunmehr polnischen Nosibądy verbliebene deutsche Bevölkerung von den Behörden ausgewiesen. Er starb 1955 im niedersächsischen Hämelschenburg.

Weiterführende Literatur

Matthies, Helmut (2011): Sie schaffte es bis zu Himmler, in: IDEA-Spektrum. Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt, Nr. 51/52, S. 24-25.

Beteiligte Mitarbeiter_innen

WhK-Obleute zusammengestellt nach folgenden Quellen:

(Mb = Monatsbericht des WhK; JfsZ = Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen; ZfS = Zeitschrift für Sexualwissenschaft; MittWhK = Mitteilungen des WhK)

1 – Mb 1.11.1904, S. XX
2 – Mb 1.11.1906, S. 201ff.
3 – Mb 1.1.1907, S. 20 – Zuwahl von 14 Mitgliedern am 18.12.1906
4 – Mb 1.3.1907, S. 41f. – 29 Obmänner am 17.2.1907 auf fünf Jahre gewählt
5 – Mb 1.11.1907, S. 212 – Zuwahl von sieben Obmännern
6 – Komitee-Angelegenheit, Beilage zu ZfS 1/1908, Heft 1
7 – JfsZ 1910, S. 441f.
8 – JfsZ 1911, S. 443ff. – Neuwahl von sieben Obleuten
9 – JfsZ 1912, S. 497ff. – Neuwahl von neun Obleuten
10 – JfsZ 1913, S. 497ff. – Neuwahl von sieben Obmännern
11 – JfsZ 1914, S. 373ff. – Zuwahl von 16 Obleuten, damit die Zahl 70 erreicht wurde
12 – JfsZ 1920, S. 178f. – vollständige Liste der 70 (zum Teil neu gewählten) Obleute
13 – JfsZ 1923, S. 195 – Neuwahl von sechs Obmännern
14 – MittWhK 1928, S. 155 – Ernennung von neun Obmännern